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Die Gleichheit

Kobiet", die dem Frauentag gewidmet war. Wir haben uns von dem Nutzen überzeugt, ein eigenes, schön illustriertes Flugblatt her. auszugeben, da die Auflage noch vor dem Frauentag bis zum letzten Exemplar verkauft wurde. Der Verlauf des Frauentages hat bewiesen, daß die polnische sozialdemokratische Frauenorganisation feste Wurzel geschlagen hat. Es wird unsere Aufgabe sein, sie durch weitere Ar beit kräftig zu fördern. D. Kluszynska.

Frauenstimmrecht.

Eine englische Arbeiterinnendeputation vor dem Minister­präsidenten. Im Kampfe für das Frauenwahlrecht in England ist die schier unabsehbare Reihe wahnwiziger Taten von Suffra= getten durch ein erfreuliches Ereignis unterbrochen worden. Eine Deputation von Arbeiterinnen aus dem Ostende   von London  hat vor dem Ministerpräsidenten Asquith   die Forderung des Frauenwahlrechts sehr geschickt und eindrucksvoll begründet. Aller­dings heißt es, daß die Tore sich nur für die Deputation geöffnet hätten, weil die Suffragettenführerin Sylvia Pankhurst   in einer theatralischen Szene gedroht hatte, andernfalls auf den Stufen des Parlaments verhungern zu wollen. Die Deputation erklärte auch Asquith   ausdrücklich, daß sie aus Mitgliedern des " Suffragettenverbandes für Ostlondon" bestehe, der vor etwa zwei Jahren gegründet worden ist. Sie betonte, daß Fräulein Bank hurst ihre Führerin sei und lehnte mit keinem Wort die von dieser bertretene terroristische Taktik ab. Jedoch sie drohte ebensowenig mit dieser Tattit, sondern ließ durchblicken, daß die längere Ver­weigerung des Frauenwahlrechts einen Streit der Arbeiterinnen im Ostende   von London   verursachen könne. Bedeutsamer aber ist diese Tatsache: während die Suffragetten früher nur das Frauen­wahlrecht an sich" forderten und sich mit dem reaktionärsten Damenwahlrecht zufrieden geben wollten, heischte die Arbeite­rinnendeputation mit allem Nachdruck das Wahlrecht für alle großjährigen Frauen, also das allgemeine Frauen= woahlrecht. Der Fortschritt ist die unbestreitbare Folge davon, daß die englischen Sozialisten mit steigendem Nachdruck das Damenwahlrecht verurteilt und das allgemeine Frauenwahlrecht gefordert haben.

Die Deputation bestand aus sechs Arbeiterinnen und Arbeiter­frauen, die von großen öffentlichen Versammlungen in verschie denen Bezirken des Ostendes gewählt worden waren. Die Ge­nossen Lansbury und Scurr begleiteten sie. Hauptsprecherin war Frau Scurr. Mit großer Gewandtheit und eindringlicher Wärme rollte sie vor dem Ministerpräsidenten die Frauenfrage als Arbeiterinnenfrage auf, wie sie jemand auffaßt, der nur den fozialen Gegensatz der Geschlechter sieht und nicht den tieferen so­zialen Gegensatz der Klassen. Um die Notwendigkeit des Frauen­wahlrechts zu begründen, führte sie ein übel nach dem anderen an, unter denen die Arbeiterinnen, die Arbeiterfrauen leiden. Sie zeigte die erwachsene Arbeiterin, die im Ostende   mit 7 Schilling Wochenverdienst anständig" leben und vielleicht dabei für alte Eltern sorgen soll; die Arbeiterfrau, die bei der Teuerung nicht aus und ein weiß; die Witwe und verlassene Gattin, das Weib des Arbeitslosen, die alle die Kinder zu erhalten und dabei die häuslichen Arbeiten zu verrichten haben; das ledige und verführte Mädchen, das schutzlos dem Laster in die Arme getrieben wird. Sie wies nach, wie wichtig es für die Frauen sei, daß sie durch das Wahlrecht die Versicherungsgeseze, das Ehescheidungsgeseh, die Steuergesetzgebung usw. beeinflussen könnten. Ebenso hob sie die ungerechtigkeit hervor, daß die Frauen wohl Steuern zahlen und den Gesetzen untertan sein müßten wie die Männer, aber teine Stimme im Staat hätten. Zum Schluß berief sie sich auf bas Beispiel anderer Staaten und der australischen Kolonien Englands, die das politische Frauenwahlrecht eingeführt haben. Im Auftrag der großen Meetings, in denen die Wahl der De­putation erfolgt war, forderte sie von der Regierung sofortige Maßnahmen zur Einführung des Wahlrechts für alle Frauen, die bas 21. Lebensjahr vollendet haben. Des weiteren plädierte sie für die Freilassung von Frau Walker und Fräulein Bank­Hurst, die beide als Suffragetten wegen bloßer Reden verurteilt worden wären. Miß Pankhurst   sei wegen ihrer Agitation neun­mal ins Gefängnis gewandert und siebenmal durch den Hunger­streit dem Tode nahe gewesen, sie habe genug gelitten. Nach Frau Scurr sprach eine Bürsten arbeiterin, die seit ihrem zehnten Jahre, nun 48 Jahre lang vom Kapital ausgebeutet wird und deren Mann Halbinvalide ist. Ich habe hart zu arbeiten," erklärte fie, 19 Stunden täglich, wenn wir durchkommen wollen. Ich halte es für ungerecht und falsch, daß ich keine Stimme bei ber Gesetzgebung habe." Dann schilderten kurz die Gattin eines

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Transportarbeiters und eine Konfektionsarbeiterin ihr sorgen­bebürdetes Leben.

Die Darlegungen machten sichtbar Eindruck auf den Minister­präsidenten, doch blieb er in der Sache des Frauenwahlrechts der alte schlaue Fuchs. Asquith   antwortete mit Herzlichkeit", hütete sich aber vor jeder bestimmten Zusage. Er erklärte von vornherein, nicht in eine Auseinandersetzung über die Streitfrage eintreten zu wollen. Er halte aber als Hauptpunkt der Darlegungen die über­zeugung der Deputation fest, die wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen die Frauen in einem großen Bezirk wie das Ostende  lebten und arbeiteten, seien derart, daß die Frauen weder durch die Gesetzgebung noch Verwaltung gründliche und einsichtsvolle Ne­formen durchsetzen könnten, solange es ihnen bersagt bleibe, ihre Vertreter ins Parlament zu wählen. Die von ihnen angeführten Verhältnisse hätten bewiesen, daß es sich dabei nicht um rhetorische Behauptungen handle, sondern um Tatsachen des gegenwärtigen Lebens im Ostende  . Niemand fühle tiefer als er, daß die Zustände in vieler Hinsicht beklagenswert seien. Allein sogar wenn alle groß­jährigen Frauen das Stimmrecht besäßen, es ausübten und Leute in das Parlament entsendeten, die mit den Wünschen der arbeiten­den Bevölkerung sympathisierten, würde sich herausstellen, daß die Gesetzgebung wenn auch nicht unlösbare, so doch immer schwierige Aufgaben vor sich habe, solle sie den Interessen der arbeitenden Frauen gerecht werden. Der Knoten könne nicht kurzerhand durch­hauen oder durch heroische Mittel" gelöst werden. Asquiths Mei­nung stimmt, daß die bürgerliche Gesetzgebung allein die Lage der arbeitenden, ausgebeuteten Frauen nie voll befriedigend gestalten wird. Sie läßt ja die Wurzel aller sozialen übel bestehen: die kapi­talistische Ausbeutungswirtschaft. Aber von diesem Grund redete der Ministerpräsident natürlich kein Wort. In einem Punkt, er­flärte er, stimme er mit der Deputation ganz überein. Wenn die Frauen das Wahlrecht erhalten sollten, so müßten sie es auf demokratischer Grundlage erlangen. Mit einer Sache dieser Art lasse sich nicht scherzen. Wenn der Unterschied der Ge­schlechter nicht rechtfertige, daß ein Geschlecht das Wahlrecht besikt, das andere nicht, so fann es von vornherein auch nicht rechtfertigen, daß das eine Geschlecht ein unbeschränktes, das andere aber ein beschränktes Wahlrecht erhält. Wenn die Besserung kommt, so müssen wir sie kühn ins Auge fassen und auf durchaus demo­kratischer Grundlage durchführen." Was die bedingungslose Frei­lassung der beiden Suffragetten anbelangt, so gab Asquith   das ganz nichtssagende Versprechen, er werde darüber mit dem Minister des Innern reden. Die Arbeiterinnendeputation wurde bei Ankunft und Abfahrt von der Menge freudig und zustimmend begrüßt. Die Viertelszugeständnisse des Ministerpräsidenten waren in so viele Wenn und Aber eingewickelt, daß es klar ist: nicht das Wohlwollen der liberalen Regierung, der Kampf der Arbeiterklasse wird in England ein demokratisches Frauenwahlrecht bringen.

Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Mitarbeit der Frauen bei der Wohnungsaufsicht in Prenken. Mit der selbständigen Ausübung der Wohnungsaufsicht sind Aka­demikerinnen in den Städten Halle a. d. S., Charlottenburg  und Berlin   betraut. Als Wohnungspflegerinnen find praktisch vor­gebildete Frauen angestellt in Frankfurt   a. M., Halberstadt  , Königsberg  , Magdeburg  , Schöneberg   und noch anderen Ge­meinden. Bei der ersten Lesung des Entwurfes zu einem Wohnungs­gesetz hat der preußische Handelsminister im Abgeordnetenhaus darauf hingewiesen, wie nüzlich die Mitarbeit der Frauen bei der Wohnungs­aufsicht sei.

Die erste weibliche Dozentin an einer deutschen Universität soll nach Zeitungsnachrichten Gräfin Marie von Linden werden, die schon früher den Titel als Professor erhalten hat und Vorsteherin des Parasitologischen Instituts der Bonner   Universität ist. Der Ge­lehrten wurde das Amt als Abteilungsleiterin des Anatomisch- Patho­logischen Instituts der Universität Rostock   angetragen; gleichzeitig wurde sie aufgefordert, sich dort zu habilitieren. Folgt sie dem Rufe, so würde sie als erste Frau einen Lehrstuhl an einer deutschen Uni­versität besteigen.

Amtliche Studienreise einer Japanerin. Zum erstenmal will das japanische Ministerium für Handel und Landwirtschaft eine Frau zu Studienzwecken ins Ausland senden. Auf Kosten des Staates soll eine Japanerin in den europäischen   Industriebezirken die Herstellung von Spizzen erlernen. Damit fie in diesem Arbeitsgebiet ganz bewan­dert wird, soll sie auch in Paris  , London   und Berlin   Studien machen. Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  . Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.g. in Stuttgart  .