Nr. 23
Die Gleichheit
zuständigen Richter ausgesprochen auf Grund der freien überzeugung, die er bei dem Verhör gewonnen hat". Die dem Bater auferlegten Zahlungen können zwangsweise eingetrieben werden. Silja Pärssinen.
Ferienplauderei.
Große Ferien in Groß- Berlin! Wirklich, die Menschen in den Heinen und mittleren deutschen Städten und erst recht die auf dem flachen Lande können sich schwerlich einen Begriff davon machen, was das bedeutet: Große Ferien in Groß- Berlin.
Drei Tage vorher schon ließen die Eisenbahnverwaltungen zum Arger der Berliner Schuldirektoren Sonderzüge fahren, sogenannte Ferienzüge, um dem unglaublichen Überandrang am Tage des offiziellen Ferienbeginns ein wenig vorzubeugen. Die vorzeitig abreifenden Schulkinder bedürfen einer besonderen Erlaubnis der Schulleitung, das stört, macht Mühe. Nun sind die meisten Ferienausflügler fort, und der von der Hize tatsächlich weich gewordene Berliner Asphalt kann sich von den Eindrücken der Kinderschuhabsätze erholen. Die Berliner Zeitungen verkündeten aller Welt, wieviel Hunderttausende von Kindern in diesem Jahre wieder von den verschiedenen Bahnhöfen aus in die Sommerfrischen befördert wurden und daß der heurige Ferienfernverkehr den vorjährigen bei weitem übertroffen hat. Nach den verkauften Fahrkarten haben bom 2. bis 7. Juli mehr als eine halbe Million Menschen die Reichshauptstadt verlassen.
Die Schiffe nach den Ost- und Nordseebädern waren natürlich alle überfüllt. Weil ich bei den Binnenschiffern einen Vortrag halten mußte, hatte mich der Zufall auf einen solchen Dampfer verstaut. Den Reisetrubel dort muß man miterlebt haben. Ganze Familien, dicht aneinandergekoppelt, waren erster und zweiter Kajüte auf dem Dampfer. Die reichsten Berliner, die Erstklassigen, nehmen meist ihre Dienstmädchen mit in die Bäder. Sie wollen nicht ohne die erprobte Bedienung sein, sie wollen selbst kochen laffen, weil die Hotelküche an den Badeplätzen nicht immer dem Gaumen der Verwöhnten ganz gerecht wird. Minna und Berta, die haben das heraus. Ach, wie viele Minnas und Bertas trifft man unten beim Gepäckraum in der zweiten Kajüte der Dampfer an, die leise gleitend die reichen Berliner Familien nach Swinemünde , nach Ahlbeck , nach Heringsdorf tragen. Die ziemlich ungenierten Unterhaltungen dieser Hausangestellten werfen manch grelles Schlaglicht auf unsere sozialen Zustände. Davon ein anderes Mal. Oben auf dem Deck, im Salon, wird diniert. Sehr fein. Ein langes Menü. An der Ostseeküste speist man nach den Anschauungen gewöhnlicher Sterblicher überhaupt nicht schlecht. Zwischen den einzelnen Gängen kommen manchmal etliche der Herrschaftsfinder herbeigerannt, suchen Minna, Berta, ihre Vertrauten. ,, du, wir haben so dicke Karpfen gegessen, gleich kommt noch junge Gans und Kompott und Budding und Bücklereis. Ach, du, Minna, auf das Eis, da freu ich mich!" Oder Friß, der vierzehnjährige älteste Sohn der Herrschaft, stapft gemessenen Schrittes im Auftrag der Mama heran und erkundigt sich:" Berta, ob Sie auch genug Stullen mitgenommen hätten?"" Jawohl, junger Herr."„ Berta, um 3 Uhr könnten Sie sich eine Tasse Kaffee geben lassen!" Oben gibt es nur Mokka.
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Es ist ein wundervoller, reichlich heißer Reisetag. Eine angenehme Brise fährt über das Wasser, über das Schiff und beugt das Schilf am Ufer. Dann treten die grünen Oderufer unversehens ganz zurück, das weite dreieckige Stettiner Haff nimmt plötzlich das Schiff auf, und gleichzeitig entdeckt das Auge am fernen Horizont lang vorgelagert Wollin mit seinen grauweißen doppelten Hügelfetten. Kurz, stumpf liegt ihm Usedom gegenüber, weil wir das Haff quer durchschneiden. An dem viele, viele Meter langen Geländer einer der künstlichen, grünbestandenen Inseln mit ihren modern vollkommenen Signalapparaten blinken in merkwürdig gleichmäßigen Abständen Hunderte von blendendweißen Möwen, die dort Rast halten, uns Geländerspiken vortäuschend. Beim dumpfen Zubaton der Schiffspfeife, den der Kaptein" hier oft zu seinem und der Passagiere Bergnügen erschallen läßt, steigen die Tierchen angstvoll freischend in den stahlblauen äther auf, schwirren durcheinander, als ob sie angeschossen wären, beruhigen sich allmählich und werden wieder zu Geländerspitzen. Ein einziges fleines weißes Wölkchen, zart wie Spinnweben, fliegt an der hochstehenden Sonne borüber, und wer nun einen tiefen Blick in die am Bug des Schiffes aufschäumenden Wogen zu tun vermag, der hört Vinetas Glocken läuten. Bim... Bam... Bum...
So geht's mit dem Schiff in die Ferien. Nach Swinemünde , nach Misdroh, nach Heringsdorf . Und mit der Eisenbahn, mit dem
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Ferien- D- 3ug, hui, da geht's in die Schweiz , in den Harz , nach Thüringen ....
Thüringen ...? Ferien?... Ja, wie war das doch? Richtig, nun fällt's mir wieder ein, nun taucht das müde, entsagungsvolle Frauenantlik jählings vor mir auf, nun trifft der energisch verzichtende Klang der weichen Frauenstimme wieder mein Ohr: „ Nein, nein, das geht eben nicht, so schön wie's auch wär'!" Es war im Vorfrühling, im März, nach der roten Woche, als mich die Agitationsarbeit ins sächsisch- thüringische Gebiet verschlagen hatte. Unten in Bad Blankenburg und in Schwarza lugten schon die blühenden Krokus, weiße und gelbe, lugten die blauen Perlblumen und herzige Veilchenköpfe aus dem wohlgepflegten braunen Erdreich der Vorgärten hervor. Oben in den Industriedörfern, die zur Sommerzeit ein herrliches Waldidyll neben das andere stellen, lag noch Eis und Schnee, wennschon auch hier bereits der über Welschland gekommene Tauwind brummig herumschnob und Regenschauer und Graupeln ausschüttete. Wenn er es gar zu toll trieb, blickten wohl die Glühbirnchenheimarbeiter einen Augenblick erschrocken auf, die unablässig vor Flammen schafften, die der Blasebalg anfauchte; oder die bunten Holzperlenheimarbeiter, oder die Pappzigarettenspibendreherinnen, oder die Porzellanmalerinnen, oder die Christbaumschmuckbläser- und-vergolderinnen. Ein Kinderhändchen rastete kurz und warf ein frisches Holzscheit in den Ofen, der zugleich der Herd ist. Dann weiter, weiter, weiter im Hunderttausend- Akkordlohn,
An einem solchen Nachmittag flog ich verfrüht und im wahrsten Sinne des Wortes regengepeitscht in die mit einer Schlächterei verbundene Wirtschaft, wo sich abends die Genossen und Genossinnen einiger Dörfer zusammenfinden sollten. Nur die Kellnerin war anwesend. Sie hatte sich in ihrer Einsamkeit bei der Spißenhandarbeit die Augen did und rot geweint, trocknete sich rasch die Tränen und blickte unmutig auf mich, vor der sie die Spuren eines Kummers nicht schnell genug mehr zu verbergen vermocht hatte. Es war eine ansehnliche Kellnerin, eine wie hundert andere auch, eine deren guter Ruf zu wünschen übrig ließ. Wer die Kellnerinnenfrage studiert hat, weiß genau, daß sie nicht durch Verbot des Kellnerinnenberufs gelöst werden kann. Er weiß, daß die Kellnerinnen Opfer des tapitalistischen Zeitalters find.
Wenn man Vertrauen erringen will, dann darf man nicht drängeln. So dauerte es fast zwei Stunden, und die Dämmerung war längst schon hereingebrochen, bis ich mein Ziel erreicht hatte und die Kellnerin aus ihres Herzens Grunde zu mir sprach. Langsam, ruckweise fügte sie Satz an Satz:... Der Junge... ja, ich habe ein Kind.... Ich bin eine von den... von den 180 000 jedes Jahr.... Er ist nun schon bald neun Jahre alt... ein hübscher Junge... genau wie der Vater.... Zuerst hat mir der ja etwas beigestanden... wir wollten uns doch heiraten... zuerst schickte er jeden Monat... fünf Mark oder so.... Die Hauptsache mußte ich natürlich schaffen... und meine Eltern haben nichts... können eben so leben.... Na, und die Schande!... Das sind nämlich so anständige Leute.... Jawohl, das können Sie mir ruhig glauben. ... Sie wohnen unten in Schlesien ... alle Jahr fahre ich einmal acht Tage hin.... Seit vier Jahren haben sie ihn ja nun auch bei sich... das hat Mutter durchgefekt... und jetzt gäben sie ihn nie wieder her.... Aber erst hatte ich ihn bei fremden Leuten... zwanzig Mark mußte ich jeden Monat aufbringen... und sein Vater... Vaterliebe gibt es nicht!... Ja, die gibt es nicht!... Der war mit einmal weg... nach Amerika .... Als Dienstmädchen in Dresden konnte ich die zwanzig Mark nicht schaffen... es ging wahrhaftig nicht... man reißt doch auch Zeug kaputt, Schuhe... Und da wurde ich denn Kellnerin... nicht zu meinem Vergnügen. ... Das wissen meine Eltern aber nicht.... Auch der Junge weiß es nicht... und das soll er auch nie und nimmer gewahr werden. ... Nie!... Sie meinen alle... die da unten in Schlesien ... sie meinen, ich wäre hier bei dem Schlächter im Laden... die wissen gar nicht, daß er auch eine Wirtschaft hat... und das sollen sie auch nicht anders wissen.... Meine Briefe kommen immer an den Schlächter Friedrich Meher und als wenn ich sein Ladenmädchen wäre.... Zwei und ein halbes Jahr bin ich jetzt schon hier... und die Familie, der Schlächter und seine Frau, find sehr ordentlich gegen mich... alle, auch die Kinder... und was hat man denn auch von dem vielen Wechseln?... Hier kennt mich nun schon feder... Weihnachten hat der Schlachter an meine Eltern einen ganzen Korb voll Wurstwaren geschickt... eine Extraleberwurst für den Jungen... baß ich mich freuen soll... und nächste Woche schickt er wieder einen Korb voll hin für Ostern.... Und da haben sie nun Heute morgen zu mir gesagt... fte denken sich immer was Gutes für mich aus..." Blöblich standen die hübschen blauen Augen der Kellnerin wieder voll Wasser, zornig fuhr sie mit dem Taschentuch