Nr. 2424. JahrgangDie GleichheitZeitschrist für die Interessen der ArbeiterinnenMit den Beilagen: Für unsere Mütter und Kausfrauen und Für unsere KinderDie Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal.. Zuschriften an die Redaktion der GleichheitPrei« der Nummer lv Pfennig, durch die Pos« vierteljährlich iOtUttgarr sind zu richten an Frau Klara Zetkin<Zundel>, Wilhelmshöhe,ohne Bestellgeld bb Pfennig; unter Kreuzband«S Pfennig....s,.r»,. Post Degerloch dei Stuttgart. Die Expedition befindet sichJahres-Abonnement 2,K0 Mark.»o. �tUgUfl likl» m Stuttgart. Furtbach-Slraße 12.Inhaltsverzeichnis.Jean Jaurös. Von Klara Zetkin.— Unsere Aufgaben. Von LuiseZieh.— Ein Erinnerungsblatt.— Gewerkschaftliche Rundschau.— Aus der Holzindustrie. Von kk.Jean Iaurös.Ehe noch der Weltkrieg mit erzenen Sohlen Fluren undMenschen zerstampfte, ist dem Nationalitätenhab in Paris einMann zum Opfer gefallen, der bis zum letzten Atemzug deniFrieden und der Völkerverbrüderung gedient hat. JeanJaures wurde durch die Kugel eines Meuchelmörders getötet,dessen Hand blindwütender Fanatismus lenkte, der in demVorkämpfer des internationalen Sozialismus einen Verräteram französischen Vaterland erblickte. Der Schrei des Schmerzes,der Empörung, den das Verbrechen aus dem werktätigen VolkeFrankreichs eniporsteigen ließ, fand ein Echo in der Arbeiterklasse aller Länder. Denn nicht bloß das französische Proletariat hat mit Jaures seinen einflußreichsten und geliebtestenFührer verloren. Der große Bruderbund der mit Hand undHirn Schaffenden aller Länder ist eines Voranschreitenden beraubt worden, der mit durchdringendem Blicke die bewegendenKräfte der Menschheitsgeschichte zu erfassen trachtete, um mitleidenschaftlichem Herzen und starker Hand die Zukunft erfüllter Ideale in der Gegenwart vorzubereiten. Hier wie inder französischen Arbeiterbewegung sah man ihn besonnen imRat und kühn zur Tat, gleich mild zu verstehen, wie unermüdlich zu wirken und vorwärts zu treiben.Jaurös' sozialistische Überzeugung ist nicht auf dem rauhenBoden proletarischer Not und harter Lebenskämpfe erwachsen.Sie reifte allmählich als die Frucht eines warm und tief empfindenden Herzens an der Sonne umfassender Studien, einerausgedehnten Allgenieinbildung. Das klassische Altertum, diegroße französische Revolution waren es namentlich, die Jaurösseine ersten Ideale schenkten und lebenslänglich seine Erkenntnis, seinen Willen nährten. Jedoch auch die Geschichte undLiteratur, die gesamte Geisteskultur der anderen europäischenLänder, ja der ganzen Welt war diesem allzeit regen, fragenden Geist ein nie versiegender Quell der Förderung. So entwickelte sich in Jaures die Eigenart seiner Rasse nicht hinterden engen Gitterstäben nationaler Vorurteile, sondern in derfreien Luft weltbürgerlichen Wesens, das die Vorziige desBlutes reicher entfalten, nur um so Heller leuchten ließ. Sokam es aber auch, daß Jaures über das enge Reich der Gegenwart und der bürgerlichen Ordnung hinausstrebte, seinen Blickder stolzesten Zukunftshoffnung, den hehrsten Menschheitsidealen zugewandt.Eine Natur wie die seine, so ganz auf Erkennen und Handeln gestellt, mußte sich früh dem politischen Leben zuwenden.Wessen Blick in die Tiefe des geschichtlichen Geschehens dringtund das Allgemeinwohl sucht, dem ist die Politik etwas anderes als das oft recht unangenehme, ja wiiste Gezänk derParteien: ein Handwerkszeug, um den gesellschaftlichen Bodenvon dein Schutt der Zeiten zu säubern und ihn freizulegen fürden gewaltigen Bau einer Ordnung, in dem eine freie undglückliche Menschheit wohnen wird. Und für Jaurös ist diePolitik stets ein Mittel zu diesem Zwecke gewesen. Er begannseine politische Laufbahn als bürgerlicher Demokrat und Reformer und mußte sie in Harmonie mit sich und seinen Idealenals Sozialist beschließen. Die Worte Wahrheit, Gerechtigkeit,Güte, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit waren für seinHerz und seinen Geist nicht tönender Schall und blutleere Begriffe: Zeichen und Ziele des Aufstieges unseres Geschlechtesaus dumpfer Tierheit zu bewußter Menschlichkeit. Sie verkörperten für ihn die Qualen und Wonnen, in denen Millionen um ihre Erhebung, ihre wahre Menschwerdung gerungenhaben und noch ringen. Deshalb blieben sie für Jaurös diegroßen Maße, an denen er wieder und wieder die Dinge undMenschen um sich wertete. Deshalb lernte er in der heutigenOrdnung nur eine Entwicklungsstufe sehen, aber kein Endziel,so hoch er sie auch als Fortschritt über die feudale Gesellschafthinaus schätzte. Jaures besaß die Kühnheit des Geistes undden moralischen Mut, die Gedanken der Reform und der Demokratie konsequent zu Ende zu denken. Er fand damit denWeg vom bürgerlichen Republikanismus zum Sozialismus.Jaures kam zu den Armen und Kleinen, eine bereits einflußreiche politische Persönlichkeit, umstrahlt vom Glänze seinerunvergleichlichen Rednergabe, angesehen und stark im politischen Leben durch das Wissen und den Elan, mit dem er sichstets für seine Überzeugung einsetzte. Aber erst das Ringender Armen und Kleinen um eine freie Zukunft gab ihm dieHeimat und Werkstatt, in der er wirkend ganz er selbst zu werden vermochte. Die bürgerliche Welt war zu eng, zu sehr mitdem Hauche des Welkens und Verfallens erfüllt, als daß er inihr die Lebensluft gefunden hätte, deren sein vorwärts-stllrmender schöpferischer Geist, sein glühendes Herz bedurfte.Erst als er sich mit Leib und Seele für die höchsten Menschheitsideale einsetzte, gelangten seine überragenden Talente zurvollen Blüte.Es begreift sich, daß Jaurös' sozialistische Überzeugungendie Muttermale seines ideologischen Entwicklungsgangestrugen. In der Folge kam er in den Anfängen seiner Betätigung als Sozialist in Gegensatz zu den alten Parteiführern, die wie Guesde, Lasar gue und Vaillantein Menschenalter und ein Lebenswerk daran gegeben haben,die französischen Proletarier auf dem Boden des wissenschaftlichen Sozialismus zu sammeln, wie er von Marx-Engels begründet worden ist. Allein die Gegensätze milderten sich bald.Wenn auch Jaures' Anschauungen bis zuletzt das Geprägeseiner festumrissenen Eigenart behielten, haben sie sich dochimmer mehr im Sinne des historischen Materialismus geklärt.Es war der verzehrende Drang zu handeln, nicht bloß Geschichte verstehend zu erleben, sondern bewußt eingreifend zugestalten, der Jaures immer wieder aus den gesellschaftlichenTheorien und namentlich aus den gesellschaftlichen Dingenund Ereignissen lernen ließ. Denn was ihm den Beruf zumFührer verlieh, war neben der hinreißenden Redegewalt.Massen zu erwecken, zu überzeugen, zu sammeln und bu-sammenzuhalten, die Fähigkeit zur Initiative, die Massen