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Die Gleichheit

ment erhob gegen die Fortsetzung des Deutsch  - Französischen   Krieges als Eroberungskrieg und gegen die Annegion von Elsaß- Lothringen  wie die Solidaritätserklärung mit den Pariser   Arbeitern und Klein­bürgern, die mit ihren Leibern die bedrohte Republik   deckten. Und die letzte große Tat Bebels war auf der internationalen Tagung zu Basel   sein Eintreten für den Frieden, das begeisterte Bekenntnis seines Glaubens an die völkervereinigende Macht des Sozialismus.

Es war eine Mannestat von unsterblicher Bedeutung, als Bebel und Liebknecht vor mehr als vierzig Jahren im Namen des Sozialismus den Frieden forderten. Einen für den Gegner nicht demütigenden Frieden mitten im berauschenden Waffenlärm eines fiegreichen Krieges, der politisch vollendet hatte, wofür Tausende der Besten des deutschen   Volkes gelitten und gekämpft: das einige Deutschland  . Dazu die Genugtuung, die jeder Freund der Freiheit, ja der politischen Reinlichkeit über den Zusammenbruch der Herr­schaft des Staatsstreichlers Napoleon   des Kleinen empfinden mußte. Die ganze Situation war dazu angetan, den Blick für das zu er­weitern, was im höheren und dauernden Interesse des deutschen  Volkes lag. Schmähungen und Verfolgungen beantworteten die Haltung der beiden sozialdemokratischen Führer, hinter denen nur eine kleine, schlecht organisierte Partei stand. Liebknecht zeichnete die Lage später also: Gegen den Strom schwimmen ist nie leicht, und wenn der Strom mit der reißenden Schnelle und Wucht eines Niagara dahinstürzt, dann ist's erst recht keine Kleinigkeit.... Aber was war zu machen? Was sein mußte, mußte sein. Da hieß es die Zähne zusammenbeißen und was kommen sollte, an sich heran­kommen zu lassen. Zu Furcht war keine Zeit.... Das Feld räumen konnten wir nicht, wir mußten auf dem Posten bleiben, komme was komme."

Einem Fanal gleich ist Bebel   und Liebknechts Proklamation des Brüderlichkeitsideals der Völker am düsteren Kriegshimmel jener Zeit emporgeflammt, wegweisend, hoffnungbelebend, von den erwachenden Arbeitern aller Länder jubelnd begrüßt. Sie hat entscheidend dazu beigetragen, daß die Proletarier sich international im Zeichen des Sozialismus sammelten, und von ihr ist zumal eine starke, nach­haltige Kraft ausgegangen, die immer mehr die Schatten der Ver­gangenheit zwischen dem deutschen   und französischen   Volke bannte.

Das Feld konnten wir nicht räumen, wir mußten auf dem Posten bleiben, komme was komme." In diesem schlichten Wort Liebknechts haben wir den ganzen Bebel vor uns, wie er fast ein halbes Jahr­hundert lang furchtlos und treu das Parteischiff durch wilde Stürme steuerte. Das Wort sei unsere Losung angesichts der Zeiten Be drängnis. Wie ein Erdbeben fährt der gewaltigste aller Kriege über Europa  . Er wird Trümmer säen und neues Leben erblühen lassen. Auch für die Einsicht, die Hingabe, den Bekennermut, kurz alle Bürgertugenden der Frauen stellt er die höchsten Anforderungen. Beweisen wir durch Ausharren und Pflichterfüllung, daß Bebel   mit Recht an uns und unsere Zukunft geglaubt hat. Wir, die wir ihm so viel verdanken, wollen die Erinnerung an seine geschichtliche Größe hüten, die uns ein kostbares Erbe edler Menschlichkeit ist, eine Bürgschaft sich erfüllenden Zukunftsglaubens.

Gewerkschaftliche Rundschau.

Der Krieg, der Europa   durchwütet, hat in Deutschland   die wirt­schaftlichen Kämpfe zum Schweigen gebracht. Zurzeit ist jeder Lohnkampf unmöglich, und jeder Streit ist aufgehoben worden.

In dieser für das Proletariat so schicksalschweren Zeit treten für die Gewerkschaften andere bedeutsame Aufgaben in den Vorder­grund. Einmal gilt es, die Organisationen zu erhalten, den Zu­sammenhang der Organisation zu wahren, dann aber deren und ihrer Angehörigen Not nach Kräften zu lindern. Die Generalfom­mission und die Vorstände der Gewerkschaften haben die Mitglieder aufgerufen, der Organisation treu zu bleiben. Die zum Heere ein­berufenen Funktionäre der Zahlstellen haben dafür gesorgt, daß die Lücken ausgefüllt werden durch Arbeitsgenossen, die vom Militär­dienst befreit sind. So ist wenigstens die Erledigung der Kaffen­geschäfte gesichert. Notwendiger als je ist es, daß die Organisierten nach Möglichkeit ihre Beiträge weiter leisten, damit die Verbände ihre Verpflichtungen erfüllen können. Vor allem gilt es, die Or­ganisationen stark zu erhalten für die schweren Aufgaben, die nach dem Kriege an sie herantreten werden. Viele Gewerkschaften müssen die Krankenunterstützung fallen lassen, auch Umzugs- und Sterbe­unterstützungen werden nicht gezahlt werden können. Es ist eine der wichtigsten Verpflichtungen, vor der äußersten Not die vielen Mit­glieder zu schüßen, die durch den Krieg arbeitslos geworden sind. Die Arbeitslosenunterstüßung wird mithin weiter bestehen, möglich nur, daß sie bei einzelnen Verbänden gekürzt wird. Dafür sollen die zurückgebliebenen Familien der zum Heeresdienst eingezogenen

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Mitglieder eine Unterstüßung erhalten, die vielleicht 3 Mt. wöchent­lich betragen könnte. Um der Arbeitslosigkeit und drohender Hungers­not zu steuern, haben die Gewerkschaften noch eine besondere Auf­gabe übernommen. Arbeitskräfte, die durch den Stillstand der In­dustrie brachgelegt sind, vermitteln sie der Landwirtschaft, der das Heer Arbeiter wie Gespanne entzogen hat. Erwerbsbedürftige Proletarier sollen sich daher bei den gewerkschaftlichen Vermittlungs­stellen melden. Durch diese ist Vorsorge getroffen, daß ihnen an­gemessene Löhne gezahlt und anständige Unterkunftsräume beschafft werden. Ein weiterer Vorteil ist, daß sie dann nicht den Bestim= mungen der Gesindeordnung unterstehen. All diese Bedingungen sind durch einen Normalvertrag festgelegt, den der Arbeitskräfte suchende Landwirt anerkennen muß.

In einem gemeinsamen Aufruf des Parteivorstandes und der Generalfommission werden die Organisationen dringend aufge­fordert, Auskunftsstellen überall einzurichten, wo es möglich ist. Wo Arbeitersekretariate und Parteisekretariate bestehen, wirken diese einheitlich zusammen. Die Auskunftsstellen haben auch darauf zu achten, daß die Partei- und Gewerkschaftsmitglieder, die Ernte­arbeiten verrichten wollen, sich bei den gewerkschaftlichen Vermitt­lungsstellen melden. Bei der Tätigkeit der Auskunftsstellen ist die Mithilfe der Frauen unbedingt notwendig. Gerade unsere Ge­nossinnen werden den Frauen der im Felde stehenden Männer mit Rat und Tat behilflich sein können, diese schwere Zeit zu über­stehen und nicht der Verzweiflung anheimzufallen. Sie kennen die Not, die schon in den Tagen des Friedens in vielen proletarischen Familien ein ständiger Gast ist, und die nun unheimlich zu wachsen droht. Sie wissen aus Erfahrung, wo angepackt werden muß, um zu helfen. Sie werden ihre ganze Kraft einsetzen, um die Bürden und Sorgen der Hausmütter zu erleichtern und annehmbare Ver­dienstmöglichkeit zu schaffen. Sie werden namentlich den Kindern der Notleidenden liebevollsten Beistand zuwenden, um sie gesund an Leib und Seele zu erhalten. Es sind große und mannigfaltige Pflichten, die ihrer warten. Unsere Genossinnen müssen beweisen, daß sie auch in diesen schweren Zeiten reif sind, Bürgerpflicht und Bürgertugend zu erfüllen. #

Die Holzindustrie wird durch den Krieg außerordentlich hart getroffen, einzelne ihrer Zweige sind nahezu lahmgelegt. Es find dies vor allem die auf den Export angewiesenen Berufe. Auch die Bautätigkeit ist ganz unterbunden und damit der Bedarf an Tischler­arbeit. Möbel werden in der gegenwärtigen Zeitlage auch wenig be­stellt oder gekauft. Von den vielen verschiedenen Zweigen der Holz­industrie bleibt fast nur der Fahrzeugbau übrig, der voraussichtlich noch eine Zeitlang volle Beschäftigung bietet. Verschiedentlich find schon in den ersten Mobilmachungstagen Betriebe ganz geschlossen worden. In Berlin   stieg die Zahl der arbeitslosen Holzarbeiter in der ersten Kriegswoche von rund 3500 auf 9000. Inwieweit die nächsten Wochen eine Milderung oder eine Verschärfung des Zu­standes bringen werden, läßt sich noch nicht übersehen.

Der Vorstand des Deutschen Holzarbeiterverbandes hat darum zu außerordentlichen Maßnahmen gegriffen, um eine dauernde Unterstützung den Arbeitslosen zu sichern, wie auch den vielen Tausenden Familien von Mitgliedern, die zu den Waffen eingezogen worden sind und werden. Da die statutarischen Be­stimmungen natürlich auf den Kriegszustand nicht zugeschnitten sind, mußte eine Anpassung jetzt ohne den sonst erforderlichen Ver­bandstagsbeschluß erfolgen. Damit die nötigen Mittel für jene außerordentliche Unterstützung vorhanden sind, hat nun der Vor­stand beschlossen, alle bisherigen Bestimmungen des Statuts über die Unterstützung der Mitglieder außer Kraft zu setzen und dafür allen arbeitslosen Mitgliedern mit mindestens einjähriger Ver­bandszugehörigkeit eine Unterstüßung auf vorläufig unbegrenzte Zeit( bisher nur sieben Wochen) zu gewähren. Diese Unterstützung wird 6 Mt. die Woche für Verheiratete und 4 Mt. für Ledige be­tragen. Eine Beihilfe in der Regel von 3 Mt. die Woche sollen die Familien erhalten, deren Ernährer jetzt zu den Fahnen berufen ist und mindestens ein Jahr dem Verband angehörte. Die Frauen der einberufenen Mitglieder haben diese Unterstüßung am Schlusse jeder Woche bei der örtlichen Zahlstellenverwaltung abzuheben. Der Verband selbst seßt seine Tätigkeit während der Kriegsdauer so gut fort, als es eben geht, und muß natürlich von den in Arbeit ver­bleibenden Mitgliedern erwarten, daß sie jetzt noch strenger als seit­her die sich aus der Verbandsgemeinschaft ergebenden Pflichten er­füllen. Nur strenge, eifrige Pflichterfüllung ermöglicht die Auf­rechterhaltung der Arbeitsbedingungen wie die Fürsorge für die fk. notleidenden Mitglieder und Familien.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  .

Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.H. in Stuttgart  .