376

Die Gleichheit

fönnen nicht nur den weiblichen Mitgliedern selbst zu­gebilligt werden, sondern auch den versicherungsfreien Ehe­frauen der Versicherten. Man sieht: es sind mancherlei Lei­stungen, die die Krankenkassen zur Fürsorge für die Mutter­schaft gewähren können, die sie aber nur zum kleinen Teil ge­währen müssen, wie es die Sozialdemokratie verlangte.

Leider stoßen sich auch bei den Kassen oft genug ,, hart im Raume die Sachen". Bei allem guten Willen ist es ihnen vielfach nicht möglich, die verschiedenen freiwilligen Mehr­leistungen einzuführen. übersteigen die Beiträge für die Kasse ein gewisses Maß, so ist die besondere Zustimmung der Unter­nehmer zu den Fürsorgeeinrichtungen nötig. Diese erfolgt feineswegs immer. Auch sonstige Schwierigkeiten treten den Mehrleistungen für Mutterschutz hindernd in den Weg. Bei der Einführung der Reichsversicherungsordnung und der Auf­stellung der neuen Kassensazungen kamen die Ärzte mit un­geahnten Forderungen, ebenso fast überall die Kranken­häuser, die Bandagisten, Optiker, Zahntechniker usw. Die er­hobenen Ansprüche waren so erhebliche, daß zu ihrer Er­füllung allein schon meist eine Beitragserhöhung beschlossen werden mußte. Unter diesen Umständen unterblieb leider viel­fach die Einführung der Mutterschaftsfürsorge, soweit sie nicht gesetzlich vorgeschrieben war.

Durch eine Umfrage bei einer Anzahl allgemeiner Orts­frankenkassen hat der Unterzeichnete festzustellen versucht, in­wieweit diese Rassen die Möglichkeit ausgenuẞt haben, die Unterstützungen für Wöchnerinnen und Schwangere weiter auszugestalten. Die Antworten besagen häufig, daß die Zeit nicht dazu angetan gewesen sei, neue Mehrleistungen ein­zuführen. Zu den größeren Kassen, die erklärten, aus finan­ziellen Gründen zurzeit nicht über das gesetzliche Minimum hinausgehen zu können, gehören die in: Barmen, Halle an der Saale , Magdeburg , München , Osnabrück , Harburg, Görlitz , Köthen , Koburg , Cannstatt, Spremberg , Speyer , Sanger­ hausen , Ludwigsburg , Arnstadt , Plauen , Zittau , Pirna , Hei­ delberg , Freiberg , Reichenbach i. V., Stendal , Worms , Zerbst , Nowawes , Annaberg, Buchholz usw..

Eine große Anzahl von Kassen haben den§ 196 der Reichs­versicherungsordnung ganz oder teilweise in ihre Satzungen übernommen. Danach kann an Stelle des Wochengeldes Kur und Verpflegung in einem Wöchnerinnen­heim oder Hilfe und Wartung durch Hauspflegerinnen ge­währt werden. Unter welchen Bedingungen, das haben wir be­reits oben angegeben. Unter den Kassen, die die Besserung haben, finden wir die von Braunschweig , Kattowitz , Neukölln, Rathenow , Dippoldiswalde , Flensburg usw. Im Grunde ge­nommen handelt es sich dabei nicht um ,, Mehrleistungen" im Sinne des§ 179 der Reichsversicherungsordnung. Erstens können die angegebenen Dinge auch von einer Kasse gewährt werden, wenn sie das nicht in ihren Sagungen stehen hat. Zweitens ist die Durchführung ganz in das Belieben der Kasse gestellt. Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist es möglich, daß sie jahrelang in der Sagung gedruckt steht, ohne daß sie in einem einzigen Falle zur Anwendung kommt.

Zu den wirklichen Mehrleistungen gehören zunächst die in § 198 vorgesehenen Hebammendienste und ärzt­liche Geburtshilfe, die bei der Niederkunft erforder­lich werden. Die Sagung kann diese Fürsorge nur den ver­sicherungspflichtigen Ehefrauen oder auch allen weiblichen Versicherungspflichtigen zubilligen, mit anderen Worten: es ist in ihr Belieben gestellt, ob sie auch für ledige Mütter etwas mehr tun will. Das letztere ist fast immer der Fall, z. B. bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse in Berlin . Sie bezahlt allen weiblichen Versicherungspflichtigen die Hebammendienste im Betrag bis zu 15 Mk. Die Allgemeine Ortskrankenkasse Berlin- Pankow gewährt freie ärztliche Geburtshilfe und eine Beihilfe von 15 Mk. zu den Hebammendiensten. Die All­gemeine Ortskrankenkasse zu Greiz gibt 5 Mr. Beihilfe zu den Hebammendiensten; die Ortskrankenkasse zu Jena ge­währt ,, Hebammendienste im ortsüblichen Umfang und bis zum Betrag von 12 Mr. und kassenärztliche Geburtshilfe";

Nr. 25

die Allgemeine Ortskrankenkasse zu Stiel: ,, bei Lebendgeburten einen Zuschuß von 10 Mk. zu den Hebammendiensten"; die Allgemeine Ortskrankenkasse Sonneberg: ein Entbindungs­geld im Betrag von 6 Mt. für alle Wöchnerinnen"; die All­gemeine Ortsfrankenkasse für das rechtsrheinische Düsseldorf ,, Vergütung von 5 Mk. für die Hilfe einer Hebamme bei der Entbindung sowie freie ärztliche Geburtshilfe". Die Heb­ammendienste bezahlen noch, teils in vollem Umfang, die Ortskrankenkassen in: Bremen , Kottbus , Eilenburg , Lud­ wigshafen a. Rh., Merane, Frankfurt a. M.( Schluß folgt.)

Auf die Holzindustrie hat der Kriegsausbruch geradezu ver­Heerend gewirkt. So waren zum Beispiel in der Berliner Klavierindustrie von vordem über 7000 Beschäftigten in der zweiten Kriegswoche nur noch 140 in Arbeit. Andere Berufe haben noch zahlreiche Entlassungen vorgenommen, obgleich ihnen viele Ar­beitskräfte durch die Mobilmachung entzogen worden sind. Auf eine Anregung des Deutschen Holzarbeiterverbandes hat der Vorsitzende des Arbeitgeberschußverbandes für das deutsche Holz­gewerbe, Herr Rahardt, an die Mitglieder dieser Organisation öffentlich die herzliche Bitte" gerichtet, angesichts des Krieges ..jeden Groll zu vergessen, alles zu tun, das schwere Los der Fa= milienangehörigen aller im Felde Stehenden zu mildern und nach Möglichkeit für die Frauen und Kinder der kämpfenden Mitarbeiter einzutreten und zu erwächen, ob nicht in Gemeinschaft mit der ört­lichen Organisation der Arbeiter eine Hilfsaktion eingeleitet wer­den kann". Weiter heißt es in dem Aufruf: Es wird ferner not­wendig sein, die geringe Arbeitsmöglichkeit für die Zurückbleiben­den in der Weise zu verteilen, daß die Arbeitszeit auf ein beliebiges Maß herabgesetzt wird, denn auch diese Leute gehen mit ihren Familien schweren Wochen entgegen. Auf gar keinen Fall darf die Zeit zum eigenen Vorteil ausgenutzt oder der Versuch gemacht werden, die vereinbarten Arbeits­bedingungen illusorisch zu machen, denn das wäre im Augen­blick eines gerecht und billig denkenden Arbeitgebers unwürdig, ja im höchsten Grade unpatriotisch gehandelt."

Die Freie Vereinigung deutscher Pianofortefabrikanten hat eben­falls ihre Mitglieder ersucht, die Betriebe möglichst aufrechtzu­erhalten und die Arbeitszeit zu verkürzen. Es muß abgewartet werden, inwieweit diese Mahnungen praktische Wirksamkeit er­langen und vielleicht einzelne unter dem ersten Eindruck der Mobil­machung geschlossene Betriebe die Arbeit teilweise wieder auf­nehmen. Es ist leider damit zu rechnen, daß dafür andere Betriebe noch Einschränkungen erfahren. Die wöchentliche Umfrage des Deutschen Holzarbeiterverbandes hat schon für den Schluß der ersten Kriegswoche ein recht trübes Bild ergeben. Die eingegangenen Berichte erstreckten sich auf gut drei Viertel der Gesamtmitglied­schaft, die Berichte der ausstehenden Orte dürften infolge der lang­samen Postbeförderung oder auch der Einziehung der ganzen Zahl­stellenverwaltung zum Militär ausgeblieben sein. Die Umfrage er­gab, daß 18 Prozent der Mitglieder in den berichtenden Orten ein­gezogen, 33 Prozent arbeitslos und 49 Prozent noch in Arbeit waren. Insgesamt waren am 8. August von den 145 688 Mitglie­dern, über die Angaben vorlagen, 25 497 zum Militär einberufen, darunter 16828 Verheiratete; arbeitslose Mitglieder wurden 48341 gezählt, nämlich 36 021 verheiratete und 9837 ledige männliche, 2201 weibliche und 282 jugendliche. 71 770 unserer Mitglieder stan­den noch in Arbeit. Unter ihnen befanden sich allerdings bereits viele, die nur tage- oder stundenweise Beschäftigung hatten. Die Zählung vom 15. August zeigt, daß die Dinge sich noch verschlechtert haben. Angaben wurden von Zahlstellen mit zusammen 146 342 Mitgliedern gemacht, davon waren 51 623 gleich 35 Prozent arbeits­Ios, 30 835 gleich 21 Prozent einberufen und nur noch 63 884 gleich 44 Prozent in Arbeit. 1218 ledige Arbeiterinnen und 1452 verhei­ratete Frauen waren unter denen, die ihre Beschäftigung verloren hatten. Mit der weiteren Einberufung des Landsturms dürften diese Zahlen noch eine wesentliche Verschiebung erfahren. Da der Holzarbeiterverband jezt sämtliche arbeitslosen Mitglieder unter­stützt, die ihm mindestens ein Jahr angehören, erwachsen ihm ganz außerordentliche Ausgaben, die er um so leichter wird decken fönnen, je pünktlicher die in Arbeit Gebliebenen in der Beitrags­zahlung sind. Die leider noch vorhandenen vielen Unorganisierten dürften jest empfinden, wie sie sich mit ihrem unsolidarischen Ver­halten selbst geschädigt haben.

fk.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zetkin ( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.§. in Stuttgart .