Nr. 26
24. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen
Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder
Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.
Jahres- Abonnement 2,60 Mart.
Inhaltsverzeichnis.
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Das Friedensgestade. Die Arbeitslosigkeit. Die neue Mutterschaftsfürsorge in der Praxis. Von Fr. Kleeis.( Schluß.)- Gewerkschaftliche Rundschau. Genossenschaftliche Rundschau. Von H. F.
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Das Friedensgestade.
Wenn das Gewitter sich mit höchster Gewalt über den sturmgepeitschten Meereswogen entlädt, wenn das Schiff in der schwarzen Nacht dem aufgewühlten Element preisgegeben ziellos umbertreibt, zeigen sich der Mannschaft vielleicht gerade zwischen krachenden Donnerschlägen im grellen Lichte eines aufleuchtenden Blizes am Horizont die friedlichen Umrisse des rettenden Gestades. So scheint jetzt aus dem Schrecken des Weltkrieges die erste Möglichkeit einer friedlichen Wendung aufzutauchen.
Freilich: einzelne Stimmen des Hasses in der Presse predigen die gegenseitige Zerfleischung der Nationen und der Staaten. In der hungrigen Phantasie dieser Leute ist Belgien schon deutsche Provinz, Holland ein deutscher Bundesstaat, Marokko eine deutsche Kolonie. Von den leitenden Kreisen ist solchen Phantasten bereits ein Eimer kühlendes Wasser über den Kopf geschüttet worden. Allein wir wissen, wie zäh die Kreise der überpatrioten an ihren Phantasien festhalten, und wie gefährlich für Deutschland schon die Äußerung ihrer Appetite in der Öffentlichkeit ist.
Nicht Eroberung, sondern die Niederzwingung des russischen Zarismus war der Zweck des Krieges, wie ihn Regierung und Volksvertretung vor aller Welt in völliger übereinstimmung proklamiert haben. Und dieser Zweck ist auch von der sozialdemokratischen Fraktion in ihrer Erklärung als der ausschlaggebende Grund anerkannt worden, weshalb sie dem Kriege ihre Zustimmung und Mitwirkung lieh. Nach so vielen Schlachten und Siegen, nach einer so energischen Aktion der deutschen Waffen im Westen und auch im Osten, darf man nunmehr wohl die Frage stellen: Sind wir dem Ziele des Krieges näher gerückt?
Der Verlauf der Dinge im Westen erlaubt allem Anschein nach die Frage zu bejahen. Die Politik der Bündnisse, die wir seit jeher kritisierten, hat dazu geführt, daß als der Alliierte Rußlands Frankreich gegen die deutschen Heere im Kampffelde stand. Nunmehr ist der Widerstand dieses Bundesgenossen des Zarismus in seiner Hauptmacht gebrochen, die französische Offensive ist zurückgeschlagen. Lauter und deutlicher noch als die Berichte des deutschen Generalstabs spricht von der bedrängten Lage des französischen Heeres die eine Tatsache, daß die Führer der sozialistischen Arbeiterpartei Frankreichs Sitz und Amt in der Regierung der Republik angenommen haben. Jules Guesde und Marcel Sem bat stehen auf dem äußersten linken Flügel des französischen Sozialismus und haben seinerzeit gegen das ministerielle Erperiment Millerands all ihre Energie und ihren Einfluß eingesetzt. Männer dieser charakterfesten Art treten nicht in ein bürgerliches Ministerium ein, wenn ihrer überzeugung nach
Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit sind zu richten an Frau Klara Zetkin ( Zundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.
nicht alles auf dem Spiele steht: Vaterland, Republik , Unabhängigkeit, Freiheit. Guesdes und Sembats Schritt ist von der Befürchtung diktiert, daß für die Republik aus der nationalen Gefahr und Demütigung das drohende Gespenst des Zäsarismus, der inneren Reaktion aufsteigen könnte. Ihr Eintritt ins Ministerium ist ein lauter Schrei aus tiefster nationaler Not. Und gerade deshalb ist die Beteiligung dieser Männer des glühenden sozialistischen und internationalen Glaubens an der französischen Regierung eine Bürgschaft dafür, daß ein ehrenvoller Friede mit Frankreich möglich ist. Ja mehr noch: diese Männer, denen jeder Revanchegedanke grundsäßlich fern liegt, die den alten Revanchewahn in ihrem Lande mit Zähigkeit und Mut bekämpften, sie werden als die ersten dafür sorgen, daß das zurückgeworfene, aber nicht gedemütigte Frankreich die dargebotene Hand zum Friedensbund mit Deutschland ergreift.
Welche segensreichen Aussichten eröffnet ein solcher Friedensbund für die europäische Kultur, für die Zyklopenarbeit der Völker, die in der nächsten Zukunft notwendig sein wird, um den Schutt und die Trümmer wegzuräumen, die der jetzige Krieg hinterläßt, um die blutigen Spuren seines Zuges zu verwischen, um dem unglücklichen Belgien das Gefühl der Sicherheit und der nationalen Selbständigkeit wieder zu geben, um der russischen Freiheitsbewegung die Wirkungen dieser Weltkatastrophe nun wirklich zugute kommen zu lassen! Alle diese lichteren, tröstenden Aussichten würden vernichtet werden, wenn die weiteren Geschehnisse jenen unheimlichen Weg nehmen sollten, den einzelne Fanatiker weisen. Denn der Krieg, der unter den Auspizien der nationalen Verteidigung und der Friedensabsichten begonnen wurde, würde dann neue Drachensaat der Gegensäße ausstreuen, neue Feindschaften schaffen, nie zu verschmerzende Demütigungen zufügen, nie heilende Wunden schlagen. Aus einem solchen Ausgang der Dinge könnte nur der russische Absolutismus neue Lebenssäfte ziehen, wie er bisher seine Existenz von dem deutsch - französischen Gegensatz fristete. Der oberste Ruf dieses Krieges: nieder mit dem Zarismus! kann deshalb heute mit anderen Worten so formuliert werden: ehrenvoller Friede mit Frankreich ! Der alte deutsche Patriot Ludwig Börne hat einmal gesagt: „ Deutschland und Frankreich vereint können alles erreichen und alles verhindern." Heute können Deutschland und Frank reich vereint der Menschheit den ersehnten Frieden wiedergeben, auf daß sie nach den Schauern des Weltkrieges aufatme. Sie können verhindern, daß der Taumel des Völkerhasses immer weitere Länder ergreift und Werke jahrtausendealter Kultur in Schutt und Asche aufgehen.
Die Arbeitslosigkeit.
Während der Krieg seine Geißel über die Völker schwingt, während er auf den Schlachtfeldern im Westen und Osten mit einem einzigen Hauch Tausende blühender Menschenleben auslöscht, fällt in der Heimat ein anderer erbarmungsloser Feind
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