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Die Gleichheit
Noch in einer anderen Beziehung birgt der Schoß der nächsten Zukunft schwere Gefahren für den Weltfrieden. Der Weltfrieg dauert kaum einen Monat, und schon hat er die staatspolitischen Verhältnisse Europas erschüttert. Er hat die Eristenzfähigkeit der neutralen Länder in Frage gestellt. Der ,, Kleinbetrieb" scheint auch auf dem Gebiete der Staaten bildung dem Tode geweiht. Die ersten Ereignisse des Krieges haben das Kränzlein der kleinen formell oder tatsächlich neutralen Staatswesen zerzaust, das sich von der Schweiz über Luxemburg nach Belgien , Holland , Dänemark , Schweden und Norwegen mitten durch das waffenstarrende Europa der Großstaaten wand. Sollte das der Anfang zum historischen Welfen sein? Schon die letzten Jahre brachten die Kunde von eiligen und sehr starken Rüstungen, von der militärischen Reorganisation jener kleinen neutralen Staaten. Wird der Ausgang des Krieges ihre Existenzmöglichkeit für die Dauer in Frage stellen? Wenn die Ereignisse darauf mit Ja antworten sollten, so würde auch auf dem Gebiet der Staatenbildung der Prozeß der Konzentration" unaufhaltsam rasch weiter vor sich gehen und sein sicheres Ergebnis müßten Rüstungen und neue Kriege sein.
So schimmert am Horizont das Licht des letzten Krieges" und des ewigen Friedens einstweilen noch in bläulicher Ferne, dort, wo auch die geschichtliche Heldengröße des internationalen Proletariats als rosige Zukunftswolfe winkt. Bor uns lagern zunächst düstere Gewitterwolfen. Sollen die Völker Europas eine Zeitspanne ruhiger Sammlung und Wiederaufrichtung für ihre große geschichtliche Aufgabe gewinnen, so darf das Bismarcksche Rezept nicht morgen schon neue Waffengänge und Katastrophen mit ihren Greueln vorbereiten. Die Völker haben schwer genug daran zu tragen, daß es ein erstes Mal so gründlich zur Sicherung des Weltfriedens versagt hat.
Von Tina Kyrkoff.
Wiederholt hat in diesem Jahre die„ Gleichheit" davon berichtet, daß in Bulgarien eine sozialistische Frauenbewegung in Fluß gekommen ist und Anschluß an die Schwesterbewegung anderer Länder genommen hat. Die geplante Internationale Konferenz der sozialistischen Frauen zu Wien sollte die verbindenden Fäden fester knüpfen. Der Krieg hat diese Fäden zerrissen, vorläufig wenigstens, nicht aber für die Dauer, das ist unsere feste Überzeugung. Wir lassen daher an dieser Stelle den Bericht folgen, den unsere bulgarischen Genossinnen für die Wiener Konferenz bestimmt hatten. Er ist gerade in der gegenwärtigen Lage von besonderem Interesse.
Die sozialdemokratischen Frauenorganisationen Bulgariens können in ihrem ersten Bericht keine großen Erfolge aufweisen. Das liegt an der noch schwachen kapitalistischen Entwicklung unferes Landes wie auch an der Jugend unserer Bewegung selbst. Die nachfolgenden Einzelheiten werden das übrigens erkennen lassen.
Die Morgenröte der sozialdemokratischen Bewegung lenkte den Blick der bulgarischen Arbeiterschaft auf die unmenschliche Ausbeutung, deren Opfer sie ist, auf das bergehoch getürmte Elend, unter dem die Arbeiter und die Arbeiterinnen gleicherweise leiden. Sie ließ die Notwendigkeit der Organisation erkennen. Dem Mahnruf zum Zusammenschluß leisteten naturgemäß zunächst die Arbeiter Folge, indem sie Fachvereine gründeten.
Die Frauen des arbeitenden Volkes waren damals noch ganz in kleinbürgerlichen Anschauungen befangen, sie hatten mur sehr geringes Interesse für die gesellschaftlichen Verhält nisse, ja nicht einmal ihre eigene Lage brachte sie zum Erwachen. Sie betrachteten ihre Erwerbsarbeit als etwas Zeitweiliges. Das schnelle Vordringen des Kapitalismus jedoch, die Einführung von Maschinen, die starke ausländische Konfurrenz beschleunigten den Verfall des Kleingewerbes und führten
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zur massenhaften Proletarisierung von Handwerkern und Kleingewerbetreibenden. An Stelle der kleinen Betriebe und Werkstätten traten nun große Fabrikanlagen mit geräumigen Arbeitssälen, die ihre Türe den Frauen und Kindern der untergehenden Handwerker und Bauern öffneten. Die niedrigen Löhne, der lange Arbeitstag, die schlechten hygienischen Verhältnisse, der Mangel an gesetzlichem Arbeiterschutz führten zu elementar ausbrechenden Streiks, an denen sich auch Arbeiterinnen beteiligten. Dabei zeigen sich die ersten Keime proletarischen Bewußtseins, sie entwickeln sich, auch Arbeiterinnen treten den Fachvereinen bei. So zählten unsere Gewerkschaftsorganisationen im Jahre 1904 nur 7 Arbeiterinnen, 1905 schon 56, im Jahre 1906 109, 1907 97, 1908 104, 1909 202, 1910 340, 1911 227. Bis zum 17. September 1912 belief sich die Zahl der organisierten Arbeiterinnen auf 280. Das Jahr 1913 schloß mit einer weiblichen Mitgliederzahl von 276, und bis März 1914 gehörten mehr als 450 Arbeiterinnen den klassenbewußten Arbeiterverbänden an. Die sozialdemokratische Partei hatte 1908 nur 17 eingeschriebene weibliche Mitglieder, 1909 24, 1910 26, 1911 52, bis Juli 1912 82. Für die Jahre 1912 und 1913 liegt der Parteibericht noch nicht vor, wir können aber bestimmt behaupten, daß die bulgarische Sozialdemokratie heute mehr als 150 Frauen in ihren Reihen zählt. Das sind bescheidene Erfolge, aber doch Erfolge. Sie sind der regen und mühsamen sozialistischen Agitation unter Arbeiterinnen zu verdanken.
1912, in dem Jahre, wo die sozialdemokratische Partei fortwährend an Einfluß und Anhängern unter den Arbeitermassen gewann, brach im September bekanntlich der Balkankrieg aus. Noch während der Mobilisation zerfielen sämtliche Gewerkschafts- und Parteiorganisationen. Alles, was Waffen tragen konnte, zog in den Krieg, zurück blieben mur Greise, Krüppel, Frauen, Kinder und eine kleine Anzahl sogenannter Militärfreier. In dieser Lage blieb unseren Gewerkschaftsführern und dem Zentralvorstand der Partei nichts übrig, als in regste Fühlung zu treten mit den zurückgebliebenen Genossen und Genofsinnen wie auch mit den Familien der in den Krieg gezogenen Arbeiter und mit ihnen allen rege Beziehungen zu unterhalten. Es wurden zu diesem Zwecke provisorische Komitees gewählt, denen auch Frauen angehörten. Die besondere Pflicht der Frauen war es, eine rege Agitation unter den in Industrie und Handel beschäftigten Frauen zu be treiben, zu Arbeiterfamilien in Beziehung zu treten, ihnen die Ursachen ihres Elends zu erklären und sie zum Kampfe gegen den Kapitalismus zu ermutigen. Unsere Genossinnen haben sich dieser Aufgabe auf das beste entledigt, und sehr gute Erfolge krönten ihr opferreiches Wirken. In allen Industriestädten, wie Sofia , Philippopel, Rustschuk , Varna , St. Zagora wurden Bildungsvereine für Arbeiterinnen gegründet, deren Mitgliederzahl noch vor der Demobilifation auf 150 gestiegen war. Diese Vereine sorgten für die sozialistische Bildung und Schulung der Arbeiterinnen. Zu diesem Zwecke wurden eine Reihe Versammlungen mit Vorträgen abgehalten. Nach der Demobilisation sezten die Arbeiterinnenbildungsvereine ihre Tätigkeit mit verstärkter Kraft fort und führten den Gewerkschafts- und Parteiorganisationen recht viele neue Mitglieder zu. Nach ihrer Rückkehr von den Schlachtfeldern begannen unsere Genossen mit regem Eifer und angespannter Energie an dem raschen Wiederaufbau der gewerkschaftlichen und Parteiorganisationen zu arbeiten. Ihre Bemühungen wurden von den Arbeiterinnenbildungsvereinen tatkräftig unterstützt, namentlich gewannen unsere Gewerkschaften viele weibliche Mitglieder.
In die Zeit dieser aufreibenden Tätigkeit fielen die Wahlen. Sämtliche Mitglieder unserer Bildungsvereine beteiligten sich auf das hingebungsvollste am Wahlkampf. Es zeigte sich durch die Tat, daß unsere Frauengruppen Glieder der sozialistischen Partei sind und sich unter ihrer trefflichen Führung gedeihlich entivickeln. Keine Fabrit, keine Werkstätte und keine Arbeiterfamilie blieb ohne Agitation durch Genossinnen. Überall wurden unsere Parteizeitung ,, Rabotnischeski Bestnik"( Arbeiter