Nr. 6

Die Gleichheit

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" so wunderschön,

wo meine Toten auferstehn,

wo meine Träume wandelnd gehn. Das Land, das meine Sprache spricht."

Ein Traum führt den Dichter in eine voll entwickelte so­zialistische Gesellschaft, wie er sich diese vorstellte". Morris ist der Gast" des neuen Geschlechts, das unter den Segnungen einer kommunistischen   Ordnung erblüht und wirkt, an Körper und Geist eine Bestätigung des prophetischen Aus­spruchs von Richard Wagner  : Das Ziel der geschichtlichen Entwicklung ist der starke Mensch, ist der schöne Mensch. Die Revolution gebe ihm die Stärke, die Kunst die Schönheit." Er befreundet sich mit Männern und Frauen, die in ihrer Güte, Anmut und Klugheit wie ein vollendetes Meisterwerk der Natur erscheinen, durch die sie den Gast" geleiten. Und wie hat der Sozialismus die Natur selbst gleichsam neu er­schaffen! Sind diese lachenden Gefilde der Seligen, die der Dichter zu Wagen durchfährt, an denen vorüber er im Boot die Themse   aufwärts gleitet, sind sie wirklich einst die häß­lichen, rußgeschwärzten und tränenüberströmten Steinhaufen Londons   gewesen? Sind es die nämlichen Wiesen, Felder und Wälder, deren Liebreiz durch armselige Hütten und ver­fümmerte, zu Boden gedrückte Menschen verdunkelt wurde?

In einer Reihe flüchtig umrissener, farbenfroher Bilder zeigt der Dichter das Leben und Weben in der sozialistischen  Gesellschaft, ein Leben und Weben, das auf der Grundlage des Gemeineigentums die Arbeit zum Mittelpunkt hat, als den selbstverständlichen, natürlichen Ausdruck vollkommenen harmonischen Menschentums. Wer mit dem Gast" der Kom­munisten in der anheimelnden Herberge ausruhte, mit ihm im Schatten dichtbelaubter Bäume zum Großvater Hammond fuhr oder sich von Dick durch die liebliche Themselandschaft zur Heuernte rudern ließ, der wird die schmerzliche Resigna­tion nachempfinden, mit der Morris schließlich in der alten fapitalistischen Gesellschaft wieder aufwacht.

William Morris   war kämpfender Sozialist, sein ,, Nir­gendwo" entsteht aus einem großen gesellschaftlichen Um­schwung, dessen wichtigste treibende Kraft das Proletariat ist. Troßdem wird der wissenschaftliche Sozialismus hinter gar manche Einzelheit in dieser Utopie Fragezeichen setzen. Es scheint, daß in Nirgendwo" die Menschen auf die Verwen­dung von Maschinen ganz oder doch so weit verzichtet haben, daß ihnen nicht mehr eine ausschlaggebende Bedeutung inne­wohnt. Wir hören nur von Handarbeit, die von dem Druck des Profitmachens und Verdienenmüssens befreit in Muße, aus Neigung und in Freude vollbracht, allen ihren Erzeugnissen, ihrem ganzen Um und Auf ein künstlerisches Gepräge verleiht.

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Mit dieser Auffassung hat Morris  , der angesehene Dichter, Kunstgelehrte und Kunstgewerbler, das Wort, eine durch und durch künstlerisch gerichtete Persönlichkeit, die die kapitalistisch beherrschte Maschinenarbeit nicht gerecht zu würdigen ver­mochte. Der Verfasser sah nur die Tendenzen der Maschinen­arbeit richtiger des Kapitalismus  - die Eigenart und Schön­heit des Schaffens bedrohen und vernichten, indem sie die produktive Arbeit in winzige, mechanisch verrichtete Teilfunk­tionen zerlegen und damit Schöpfungstrieb und Schöpfer­freude verkümmern lassen. Das Entsetzen über die Häßlichkeit der Massenerzeugnisse strupelloser Profitgier machte ihn blind für die befreienden Tendenzen der Maschinenarbeit, für die Möglichkeiten neuer eigener Schönheitswerte, die sie in sich trägt, oder denen sie die Wege bahnt. Die Rückkehr zur Hand­arbeit deuchte ihm ein Schritt der Rückkehr zur Natur und damit ein Schritt vorwärts zur Wiedergeburt der Kunst.

Morris   haftete mit dieser Wertung im Ideenkreise seines Freundes Burne- Jones   und anderer Maler der sogenannten präraffaelitischen Schule, im Jdeenkreise Ruskins des kenntnis­reichen, eigene Wege wandelnden Kunstgelehrten und Sozial­reformers. In der Kunde von Nirgendwo" wird sie mehr als einmal unseren Widerspruch, unsere Stritit reizen. Jedoch fällt in dem Roman auch helles Licht auf den fruchtbaren Kern,

der unter mancher Verschrobenheit und Einseitigkeit liegt. Das ist das starke Bewußtsein von der Einheit aller menschlicher Arbeit, der Kopf- und der Handarbeit, dem ,, praktisch alltäg­lichen", wie dem wissenschaftlichen und künstlerischen Schaffen; das ist die klare Erkenntnis, daß die Arbeit schlechthin das vollkommenste Mittel ist, Leib und Seele des Menschen zu bilden, das vollkommenste Mittel, alle seine Gaben und Kräfte schöpferisch wirksam werden zu lassen.

Der Rückblick" und die Kunde von Nirgendwo" haben schon ihre Zeit großer Beliebtheit bei der Vorhut der er­wachenden deutschen Proletarier gehabt. Das war bald nach dem Erscheinen der beiden utopischen Romane, in den ersten Jahren nach dem Fall des Sozialistengesetzes. Zum Greifen nahe sahen damals viele das sozialistische Endziel vor sich, und mit Feuereifer wurde alles gelesen und diskutiert, was Aufschluß über das große geahnte geschichtliche Morgen ver­sprach. Dem ganzen Kapitalismus   stellte man damals den ganzen Sozialismus entgegen, als Erlöser der Menschheit vom übel. Wir sind überzeugt, daß im Gefolge des gegen­wärtigen Krieges solche Zeiten sich früher oder später erneuern werden.

Die Gewerkschaften im Jahre 1913.

Anfang dieses Jahres konnte nach summarischen Berichten ein oberflächlicher Blick über die Entwicklung der freien Gewerkschaften gegeben werden. Er ließ ein sehr starkes Nachlassen der Mitglieder­zunahme befürchten. Erfreulich genug zeigt die Statistit der Generalfommission doch ein günstigeres Bild. Allerdings nicht, was die Wirtschaftslage anbelangt. Sie war schon 1912 eine sehr flaue gewesen und verschlechterte sich im Berichtsjahr noch recht erheblich weiter. Die Arbeitsnachweis statistik gibt darüber den besten Aufschluß. Danach muß 1913 neben die starken Krisen­jahre 1908, 1909 und 1910 gestellt werden. Auf je 100 offene Stellen hatten sich Arbeitsuchende gemeldet:

1908 156,3

1909

1910

1911

1912

1913

168,4 153,3 140,1 140,9 158,4

In den Jahren 1904 bis 1907 waren nur 106,0 bis 121,9 Arbeit­fuchende zu verzeichnen gewesen. Da die Zahl der gewerkschaftlich Organisierten jederzeit ein Barometer der jeweiligen Geschäfts­fonjunktur gewesen ist, so war für 1913 mit einem beträchtlichen Sinken des Mitgliederstandes zu rechnen. Was ergibt nun der Jahresdurchschnitt, wie er aus der Zusammenfassung aller Quar­tale gewonnen wird und der nicht mit der effektiven Mitgliederzahl am Jahresschluß verwechselt werden darf? Daß 1913 troß der wirt­schaftlichen Ungunst 2 548 763 Mitglieder 2 530 390 im Jahre 1912 gegenüberstanden. Diese Ziffer beweist, daß unsere Gewerkschafts­verbände die schwere Belastungsprobe der Krisenzeit gut bestanden haben. Zwar war am Jahresschluß 1913 ein Mitgliederrückgang bon 60 822 oder von 2,39 Prozent im Vergleich mit 1912 zu buchen. Allein er will nicht viel besagen, wenn man die Gesamtsumme harter Umstände berücksichtigt, unter denen sich unsere Gewerk­schaften behaupten mußten. Einer Zunahme der Mitglieder um rund 91.000 im ersten Quartal und 42 000 im zweiten Quartal steht eine Abnahme von 25 000 im dritten Quartal und 60 000 im bierten Quartal gegenüber. Schon auf dem Münchener Gewerk­schaftskongreß wurde darauf hingewiesen, daß der besonders starke Mitgliederverlust im vierten Quartal sich zum guten Teil als Folge der neuen Militärvorlage erklärt, die die vermehrte Einziehung junger Proletarier zum Heere bewirkte. Für diese Annahme scheint es auch zu sprechen, daß die weiblichen Mitglieder nur mit 808 gleich 0,36 Prozent an dem Mitgliederrückgang im vierten Quartal beteiligt sind. Überhaupt ist die Zahl der weiblichen Mitglieder