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Die Gleichheit
zeit eine allgemeine Friedensagitation begonnen, die mit einer wirkungsvollen Versammlung in der Jakobskirche zu Zürich eingeleitet wurde. In Skandinavien und Italien stehen unsere Genossinnen in den vordersten Reihen derer, die dem Wüten der kapitalistischen Weltmachtsgier Einhalt gebieten wollen. Die Sozialistinnen der Vereinigten Staaten verdienen das gleiche Lob.
Internationales Solidaritätsbewußtsein und Friedenswille äußern sich aber auch in der Welt der bürgerlichen Frauen, zumal der Frauenrechtlerinnen. ,, Jus Suffragii", das in London erscheinende Organ des Weltbunds für Frauenwahlrecht, ist bemüht, beide Ideale durch die Stürme der Zeit zu tragen. Alle Nummern, die wir seit Kriegsausbruch erhalten haben, bringen zahlreiche und tapfere Friedensfundgebungen. Gewiß stehen keineswegs alle führenden Frauenrechtlerinnen, alle Frauenstimmrechtsvereinigungen hinter ihnen. Aber immerhin ein erheblicher und wahrhaftig nicht ihr wenigst wervoller und angesehener Teil. Es sind Frauen von Weltruf, die sich leidenschaftlich gegen den Krieg wenden. So Ellen Key , Frau Chapman- Catt usw. Namentlich sind es die ameri kanischen Frauenrechtlerinnen, die mit Begeisterung und Tatkraft dem Krieg entgegenwirken. Allein es gibt kaum ein Land- die Staaten inbegriffen, die von der Kriegsfurie unterjocht sind, in dem nicht Frauenrechtlerinnen ihre Stimme im Namen der internationalen Rultur für den Frieden erheben. In Deutschland treten besonders die Führerinnen und Organisationen in den Vordergrund, die sonst den Kampf für das allgemeine Frauenwahlrecht und die Forderungen der Demokratie am energischsten führen. Wir nennen Minna Cauer , Anita Augspurg , Lida Heymann , Frida Perlen , die Frauenstimmrechtsvereinigungen München , Nürnberg , Ham burg usw., die Friedensgesellschaft der Frauen. In England haben bürgerliche und sozialistische Frauen gemeinsam an ihre Schwestern in Deutschland und Österreich- Ungarn einen ,, Weihnachtsbrief" gerichtet, der internationale Solidarität und Friedenssehnsucht atmet. An der Spize dieser bedeutsamen Kundgebung steht die mutige und ideal gesinnte Emily Hobhouse , die durch ihr menschenfreundliches Wirken während des Burenkriegs berühmt geworden ist. Der Brief ist bezeichnenderweise im„ Labour Leader" veröffentlicht worden, dem Drgan der Unabhängigen Arbeiterpartei, die unbeirrt durch die Kriegstrunkenheit großer Arbeitermassen und vieler angesehener Arbeiterführer gegen den Imperialismus und für den Sozialismus kämpft. Die Unabhängige Arbeiterpartei darf sich einer Kerntruppe hervorragend tätiger Genossinnen rühmen, die schon seit Jahren die kapitalistische Weltmachtspolitik grundsätzlich und scharf bekämpfen. Die Ereignisse von 1914 haben die Friedensfreunde in Holland veranlaßt, im ,, Anti- Kriegsbund" eine zusammenfassende nationale und internationale Organisation zu schaffen, die eifrig für die baldige Beendigung des jetzigen Waffenganges zwischen den Staaten wirkt, für Abrüstung und Völkerfrieden in der Zukunft. Das harte Leben hat uns gelehrt, Sehnsucht und Wunsch nicht für Wirklichkeit zu nehmen, auch wenn ihr Flügelschlag uns hoch über die Alltäglichkeit emporträgt und uns über ihrem Dunst reine Welten offenbart. Wir überschätzen nicht die Wirkung, die die Bekundungen des internationalen Solidaritätsbewußtseins und des Friedenswillens der Frauen für den Augenblick haben können. Das Getöse der Walstatt und die Schlachtenrufe der Kriegsbegeisterten werden zunächst die Friedensstimmen der Frauen verschlingen. Aber doch nur zunächst! Lassen wir sie so laut, so allgemein werden, daß sie gehört werden müssen. Im Namen des Vaterlandes haben sich in allen Staaten sozialistische und bürgerliche Frauen zu tatkräftiger, hingebungsvoller Arbeit zusammengefunden, um die Wunden zu lindern, die der Krieg schlägt. Müßten sie sich nicht erst recht zu dem größeren Werk zusammenscharen, im Namen der Menschheit sich dem Krieg entgegenzuwerfen? Den Sozialistinnen sollte es Ehrenpflicht sein, bei diesem Werke opferbereit voranzugehen.
Nr. 9
1C sid vil studie Wochenhilfe während des Krieges.
Wie schwer es selbst jetzt, unter dem Druck des furchtbaren Strieges, ist, die notwendigsten sozialpolitischen Fortschritte bei uns zu erreichen, zeigt uns das vorläufige Ergebnis der Bemühungen für die von Professor Dr. P. Mayet angeregte Kriegsunterstützung. Es ist in einer Bundesratsverordnung niedergelegt. Wie in Nr. 6 der„ Gleichheit" bereits erwähnt wurde, hat die„ Norddeutsche Allgemeine Zeitung" unmittelbar vor der Reichstagssigung am 2. Dezember die Verordnung schon angekündigt, die inzwischen erschienen ist.
Die Verordnung bezieht sich nur auf die Wochenhilfe, während Professor Mayet außerdem Hilfe im Falle einer Krankheit in der Familie und ein Sterbegeld gefordert hatte. Die Zahl der Krankheitsfälle ist viel größer als die Zahl der Fälle, in denen eine Wochenhilfe erforderlich ist. Daher leistet die neue Bundesratsverordnung nur einen kleinen Teil der erstrebten Kriegsunterstügung. Die Wochenhilfe soll solchen Wöchnerinnen gewährt werden, deren Ehemann
1. in diesem Kriege dem Reiche Kriegsdienste leistet oder an ihrer Weiterleistung oder an der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit durch Tod, Verivundung, Erkrankung oder Gefangennahme verhindert ist, und
2. vor Eintritt in diese Dienste auf Grund der Reichsversicherungsordnung oder bei einer knappschaftlichen Strankentasse in den vergangenen 12 Monaten wenigstens 26 Wochen oder unmittelbar vorher wenigstens 6 Wochen gegen Krankheit versichert war.
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Hiernach haben den Anspruch auf die Wochenhilfe nur die Ehefrauen der Kriegsteilnehmer, nicht aber wie verlangt worden war auch die der arbeitslosen Arbeiter. überdies sind nicht einmal die Ehefrauen aller Kriegsteilnehmer berücksichtigt, sondern nur nach der Ziffer 2 meistens die der eigentlichen Lohnarbeiter und die derjenigen Angestellten, deren regelmäßiger Arbeitsverdienst nicht 2500 Mt. im Jahre übersteigt. Die Ehefrauen der kleinen Geschäftsleute, Bauern, Handwerker gehen also in der Regel wiederum leer aus, obgleich sie oft genug nicht in einer besseren Lage find als die Arbeiterfrauen.
Um die Wochenhilfe richtig zu würdigen, stellen wir die Leistungen nach der Bundesratsverordnung und nach dem Vorfchlag des Professors Mayet nebeneinander. Als Wochenhilfe wird gewährt:
Nach der Bundesratsverordnung:
1. Ein einmaliger Beitrag zu den Kosten der Entbindung in Höhe von 25 Mt.
2. Ein Wochengeld von 1 Mt. täglich für 8 Wochen, von denen wenigstens 6 in die Zeit nach der Niederkunft fallen müssen.
3. Eine Beihilfe bis zum Betrag von 10 Mt. für Hebammendienste und ärztliche Behandlung. 4. Für Wöchnerinnen, solange sie ihre Neugeborenen stillen, ein Stillgeld in Höhe von 50 Pf. täglich bis zum Ablauf der 12. Woche nach der Niederkunft.
Nach dem Vorschlag des Professors Mayet:
80 Pf. täglich.
Kostenlose Leistung dieser Dienste.
30 Pf. täglich bis zum Ablauf der 39. Woche.
5. Erforderlichenfalls Hauspflege bis zu 6 Wochen unter Einbehaltung des Wochengeldes.