Nr. 9

Die Gleichheit

6. Erforderlichenfalls mit Bus stimmung der Wöchnerin Unter­bringung in einem Schwangeren­oder Wöchnerinnenheim unter Einbehaltung des Wochengeldes und des Stillgeldes.

Bedauerlich ist es, daß die Bundesratsverordnung den Wöchnerinnen nur eine Beihilfe zu den Kosten der Heb­amme und des Arztes leistet. Allerdings können die Kassen­vorstände beschließen, statt des Beitrags unter 1. und der Beihilfe unter 3. freie Behandlung durch Hebamme und Arzt sowie die erforderliche Arznei bei der Niederkunft und bei Schwangerschaftsbeschwerden zu gewähren. Es fragt sich nur, wie viele Stassen von dieser Befugnis Gebrauch machen werden, da sie dann nicht die tatsächlichen Kosten, sondern nur ins­gesamt 35 Mr. ersetzt erhalten.

Ferner ist ein großer Mangel, daß nach der Bundesrats­verordnung das Stillgeld nur für 12 Wochen gezahlt werden soll. Diese Zeit ist viel zu kurz.

Im übrigen scheint die Wochenhilfe zweckmäßig gestaltet zu sein. Sie soll gewährt werden durch die Orts-, Land-, Betriebs-, Jnnungsfrankenkasse, knappschaftliche Krankenkasse oder Ersatz­kasse, der der Ehemann angehört oder zuletzt angehört hat.

Die den Kassen durch die Bundesratsverordnung verursachten Ausgaben werden ihnen durch das Reich zurückerstattet. Aus eigenen Mitteln haben die Kassen die Wochenhilfe an solche Wöchnerinnen zu leisten, die bei ihnen versichert sind. Um diese Kosten zu decken, haben ihnen auf Antrag die Versiche rungsanstalten der Invalidenversicherung ein Darlehen zu gewähren, das mit 3 Prozent zu verzinsen und spätestens nach 10 Jahren zurückzuzahlen ist. Entsteht Streit über die Wochenhilfe, so kann die Wöchnerin gegen die Kasse die Ent­scheidung des Versicherungsamtes und des Oberversicherungs­

amtes anrufen,

Die Bundesratsverordnung ist am 3. Dezember in Kraft getreten. Wöchnerinnen, die vor diesem Tage entbunden sind erhalten die Leistungen, die ihnen vom 3. Dezember an zu stehen würden, wenn die Vorschriften bereits früher in Straft getreten wären. Nehmen wir zum Beispiel an, eine Wöchmerin sei 4 Wochen vor dem 3. Dezember entbunden, dann kann sie das Wochengeld nur noch für 4 Wochen und das Stillgeld nur noch für 8 Wochen beanspruchen.

Im ganzen ist mit dieser Wochenhilfe nur ein erster, durch­aus ungenügender Versuch gemacht ein Verfuch aber, der zeigen wird, wie fegensreich eine derartige Fürsorge wirken fann, wenn sie eine entsprechende Ausgestaltung erfährt. Die Dauer des Stillgeldes muß bedeutend verlängert werden. Notwendig ist ferner, daß zu der Wochenhilfe die Krankenhilfe Hinzutritt. Endlich muß die ganze Einrichtung auch den arbeits­losen Arbeitern und ihren Familien sowie den unbemittelten Geschäftsleuten, Handwerkern und Bauern zugute kommen. Daher gilt es, auch fernerhin die allgemeine Aufmerksamkeit auf diese Fürsorge zu lenken. Nur so können wir die not­wendigen Verbesserungen möglichst bald erreichen. Gustav Hoch, Hanau a. M.

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Flottenstationen und Kolonialbesik in Frage gekommen, über deren Zweckmäßigkeit man streiten konnte. Außerdem sei Eng­land vor jeder feindlichen Invasion geschützt, solange seine Flotte die See beherrsche. Letzteres ist durchaus richtig, aber gerade mit der Voraussetzung stand es nicht zu allen Zeiten gleich. Zur Zeit der Jakobinerkriege Englands gegen das durchaus nicht so sehr der französischen überlegen, daß eine revolutionäre Frankreich zum Beispiel war die englische Flotte Landung französischer Truppen auf englischem Gebiet ausge­schlossen war. Man fürchtete wiederholt in allem Ernst eine französische Invasion, und 1793 wurden auf den Vorschlag von Henry Dundas , einem Freunde Pitts, Freiwilligenkorps organisiert, um im Notfall auf englischem Boden das Land gegen die Franzosen zu beschüßen. Eine Landung der Fran­zosen hätte aber Aufstände in Irland zum Zweck der Los­reißung Jrlands von der Beherrschung durch England ge­heißen. Obwohl also der territoriale Besiz Englands im Be­reich des jetzigen Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland keineswegs außer Gefahr war, hat doch in der von Kautsky geschilderten Weise ein Charles James For für die Franzosen Partei ergriffen und deren gegen England erfochtenen Siege mit unverhohlener Freude begrüßt. Ja, er hat Siege der Franzosen über die Engländer und deren Verbündete mit seinen Freunden durch Bankette gefeiert.

Gefahr für seine Person getan hat. Nur strafrechtlich riskierte Man muß nicht meinen, daß For das im Übermut und ohne er nichts. Aber um so mehr waren andere Verfolgungen mög­lich. Die öffentliche Meinung Englands war zu wahrer Fieber­hige gegen Frankreich ) aufgeftachelt. Der Hof, fast die ganze Aristokratie und Bourgeoisie, sowie der Troß der gedankenlosen Menge machten in Franzosenhezze.

freunde in England ihres Lebens nicht sicher waren. Was Der Erfolg dieser Heze war gewesen, daß die Franzosen­einer Rede bei Eröffnung der Parlamentssession von 1792/93. waren meine Motive?" sagte Foy am Vorabend des Krieges in

,, Nicht die, um die Gunst von Ministern oder derjenigen zu buhlen, von denen jene vermeintlich begünstigt werden.( Der König. Ed. B.) Nicht die, meiner Partei zu gefallen, wie das die Debatten in diesem Hause gezeigt haben. Nicht Popularitätshascherei, denn der Ton der Sprache innerhalb und außerhalb dieser Mauern hat gezeigt, daß, um Popularität zu erlangen, ich die entgegengesetzte Haltung hätte einnehmen müssen. Das Volk mag mein Haus behandeln, wie es das des Dr. Priestley( der berühmte freisinnige Philosoph und Chemiker) und erst lezzthin das Haus des Mr. Walker behandelt hat.* Mein

einziger Beweggrund war, daß das Volk wiffen solle, was die wahre

Ursache des Krieges ist, in den es gestürzt werden mag, und erfahren möge, daß er von einer reinen Form oder Zeremonie abhängt."

die Furcht der oberen Klassen Englands vor der ansteckenden Die treibende Ursache des Krieges war damals vornehmlich Wirkung der freiheitlichen Grundsätze und gesetzgeberischen Maß­nahmen der französischen Revolution. Die Jakobinerkriege Eng­gesprochen haben, Kriege gegen Reformbewegungen in England. lands waren, wie das liberale englische Historiker offen aus­Der erste davon wurde seinerzeit von maßgebenden Staats­männern Englands selbst als ein Vorbeugungskrieg begründet und ward als solcher dem französischen Konvent gegen dessen Wunsch und Willen aufgezwungen.

Man begreift daher, daß dieser Strieg und seine Nachfolger

Der englische Radikalismus und der Krieg.* die Weitblickenden und die Kampfnaturen unter den Liberalen

Von Ed. Bernstein.

In seinem Artikel Die Sozialdemokratie im Kriege"( Heft 1 der Neuen Zeit") erwähnt Stautsky die Tatsache, daß England seit 200 Jahren feinen großen Strieg geführt hat, der nicht während seines Verlaufs die energischste Opposition im eigenen Lande gefunden habe. Stautsky erklärt die Möglichkeit dieser Erscheinung durch die infulare Lage Englands. Von keinem der Kriege habe England zu befürchten brauchen, daß er ihm Verkleinerung des Territoriums der Nation zuziehen könne, von feinem Vergrößerung des Territoriums erhoffen können. Es seien als Gewinn- oder Verlustmöglichkeiten immer nur * Aus der Neuen Zeit" Nr. 6.

und Radikalen Englands gegen sich hatten. Von dieser Gegner­schaft bis zur offenen Parteinahme für die mit England im Kampf liegenden Franzosen, wie For, Sheridan und andere sie zur Schaut trugen, war aber immer noch ein sehr weiter Schritt, und For konnte zeitweise sich nicht auf den Straßen Londons sehen lassen, ohne gröblich beschimpft und beworfen zu werden. Es ist unmöglich," schreibt Richard Cobden in einer 1853 ver­öffentlichten Flugschrift, die Reden, die For zu jener Zeit hielt, nachzulesen, ohne daß einem das Herz schlägt vor Bewunderung und Dankbarkeit für die kühne und entschlossene Art, mit der er den Krieg bekämpfte; wie er selbst unter den entmutigendsten Niederlagen Den Genannten hatten aufgehezte Voltsmassen die Häuser von Grund aus demoliert.