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Die Gleichheit
Fälschung. Es ist festgestellt worden, daß diese angebliche Rede aus einer Zusammenkuppelung von Säßen aus früheren Reden Burns besteht, mit anderen Worten ein Fabrikat ist, das auf eine bekannte Ursprungsmarke Anspruch hat.*
Andere Auszüge aus Reden und Auffäßen englischer Gegner des jetzigen Krieges, welche die Runde durch die deutsche Presse gemacht haben, sind dadurch Fabrikaten gleich, daß sie wichtige Säße auslassen, auf Grund deren erst das Urteil der Verfasser über die subjektiven Urheberschaften des Strieges unzweideutig zu erkennen ist. Indes ist diese Feststellung für unsere Betrachtung nebensächlich. Die Hauptsache ist, daß wir auch beim jetzigen Kriege wieder Zeuge sind, wie in England neben den sozialistischen Arbeiterorganisationen und verschie denen religiösen Körperschaften Engländer in hervorragender Stellung aufgetreten sind und ihrer Kritik der Regierungspolitik und der Gegnerschaft gegen den Krieg unverhüllt Ausdruck gegeben haben.
Sind diese Leute weniger Patrioten als diejenigen, die der Parole der Regierung des Tages widerspruchslos Folge leisten? Die Antwort wird unbedingt verneinend lauten. Natürlich fann es vorkommen, daß Gleichgültigkeit oder selbst Haß gegen den Staat, in dem jemand lebt, ihn zu einer solchen Haltung veranlaßt. Aber das traf in keiner Weise bei den drei eben Genannten zu, noch ist es bei den Keir Hardie , J. R. Macdonald, H. W. Massingham und anderen Kritikern der Politik der jetzigen Regierung Englands der Fall. Bei verschiedenen der letzteren spielt nicht einmal persönliche Gegnerschaft oder Mißtrauen in bezug auf die leitenden Minister mit, ihre Gegnerschaft gegen den Krieg ist eine durchaus prinzipielle. Sie ist sogar bei einigen von ihnen mit erheblichen materiellen Opfern verbunden. Burns und Morley verzichteten jeder auf ein Gehalt von 100000 Mt., Trevelyan auf ein solches von 24000 Mr., als sie ihre Ministerposten niederlegten. Sie sind auf andere Weise Patrioten, als die große Mehrheit ihres Volkes, aber sie sind es in feiner minderwertigen Weise.
Die Geschichte Englands weist viele schwarzen Flecken auf, aber auch gar manche Ruhmesblätter. Zu den schönsten dieser Ruhmesblätter gehört es, daß sie von Männern wie Charles James Fox , John Bright , Henry Campbell- Bannerman berichtet von der Art, wie sie bei verhängnisvollen Kriegen Englands einem edlen Patriotismus Ausdruck gaben, und von der Tatsache, daß sie es tun durften, ohne darin von Behörden gehemmt zu werden, und ohne daß ihnen der Dank der Nation vorenthalten wird.
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Zur Frage der Bedürftigkeit der Familien von Kriegsteilnehmern.
Die Familien der zum Heeresdienst Einberufenen haben bekanntlich Anrecht auf eine Unterstützung aus Reichsmitteln. Das Gesetz hat für diese Unterstüßung nur Mindestsätze festgelegt, die durch Zuschüsse von anderer Seite erhöht werden müssen, wenn die Fürsorge ihren Zweck erreichen soll: die Familien der Kriegsteilnehmer gegen Not zu schützen. In erster Linie ist es die Pflicht der Gemeinden, die erforderlichen Zuschüsse zu gewähren, aber es kommen dafür auch Zuwendungen von privater Seite in Betracht. Die Gewährung der Kriegsfürsorge ist von der Bedürftigkeit" der Familien abhängig gemacht. Die Bedürftigkeit ist ein dehnbarer Begriff, über den die Meinungen sehr weit auseinander gehen können, je nach dem Anteil an der materiellen und geistigen
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* Sie steht als solches nicht vereinzelt da. Ich habe denn auch einen starten Verdacht, daß es fich mit dem von Kautsky in feinem Artikel ,, Kriegsfitten" zitierten Vers Down with the Germans usw.", den laut Schwäbischem Merkur" der„ Daily Graphic" vom 20. Auguft gebracht haben soll, ähnlich verhält, und es wäre sicher der Mühe wert, der Sache auf den Grund zu gehen. Der Krieg ist selbst schon schlimm genug, er braucht nicht noch durch Preßhegerei über den Kriegszwed hinaus zur maßlosen Berbitterung der Völker gegen einander getrieben zu werden.
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Kultur, den man den breitesten Volksmassen zuerkennt, be ziehungsweise den sie fordern. Jedenfalls haben höhere Behörden wiederholt und eindringlich erklärt, daß die Frage der Bedürftigkeit wohlwollend und ohne Kleinlichkeit" gu prüfen sei. Es liegt auf der Hand, wie wichtig es ist, daß diese Mahnung beherzigt wird. Ob das geschieht, hängt in hohem Maße von dem sozialen Verständnis derer ab, die über die Frage der Bedürftigkeit zu entscheiden haben. In folgendem ein Beitrag dazu, wie die betreffenden Dinge in Königsbergi. Pr. liegen.
In Königsberg hatte die sozialdemokratische Fraktion der Stadtverordnetenversammlung den Antrag gestellt, für die Dauer des Krieges einen Zuschuß aus städtischen Mitteln allen Angehörigen von Einberufenen zu gewähren, die bereits die Reichsunterstützung erhalten. Dieser Antrag wurde leider abgelehnt. Immerhin bewilligten die Stadtverordneten in September eine Summe von 500 000 ft. für den Zweck. Mit der Auszahlung der Unterstützung aus Gemeindemitteln wurde die Kriegs wohlfahrtsstelle des Bater ländischen Frauenvereins betraut, die auch selbst Fürsorge für die Angehörigen von Kriegsteilnehmern gewährt. Die Mittel dazu fließen dem Verein von privater Seite zit. Zu den Beratungen der Kriegswohlfahrtsstelle wurde allerdings nur im Anfang auch die Auskunftsstelle der sozialdemo fratischen Partei und der Gewerkschaften zugezogen. Jedoch ist die Stelle so organisiert, daß letzten Endes in den Bezirken die Geistlichen so gut wie allein über die Zuwendungen von Unterstützungen entscheiden, und zwar sowohl von Unterstützungen aus den privaten Mitteln des Frauenvereins wie auch aus den öffentlichen Mitteln des Gemeindejäckels. Das kommt daher, daß die Frage der Bedürftigkeit in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, ja fast in allen Fällen von Gemeindeschwestern und Damen des Vaterländischen Frauenvereins geprüft wird, Mitgliedern der evangelischen Frauenhilfe, die in ihrem Urteil recht stark von den Ansichten und Zeugnissen der Geistlichen beeinflußt werden. Gegen all das würde nichts einzuwenden sein, wenn ja wenn die Betreffenden mit den Lebensbedingungen, mit der Gefühls- und Gedankenwelt der ärmeren Bevölkerung so innig vertraut wären, daß fie die Frage der Bedürftigkeit wirklich ganz unbefangen, ohne jedes Vorurteil ansehen könnten. Aber mit diesem Vertrautsein hapert es nicht selten auch bei dem besten Willen.
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Den guten Willen zur Fürsorge sezen wir bei allen freiwilligen Helferinnen voraus. Wir haben Achtung vor der ausdauernden Arbeitsfreudigkeit, der großen Hingabe vieler von ihnen. Diese Zeit hat sicher und gewiß in der Frauenwelt viel schlummernde Eigenschaften geweckt und den Drang nach nütlicher Betätigung im öffentlichen Leben ausgelöst. Allein man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie ungeachtet ihres Ernstes und ihrer Lehren in manchen Frauen doch nur ein Strohfeuer entzündet hat. Das rasch gepackte und rasch zugreifende Empfinden hat nicht im Handumdrehen bei allen mithelfenden Damen durch soziales Verständnis geschult werden können. Sollte es da nicht für manch eine einen eigenen, selbstsichtigen Reiz haben, vom Nimbus des rettenden Engels" umstrahlt Hilfe zu bringen und Dankesbezengungen bald feinerer, bald gröberer Art in Empfang zu nehmen? Dankesbezeugungen, die mit der Aufklärung darüber beantwortet werden müßten, daß die gewährte Hilfe keine Gnade, kein Almofen ist, nein, ein soziales Recht, auf das die Angehörigen der arbeitenden Massen einen Anspruch haben, die jetzt alles an Gut und Blut opfern. Betrachten wirklich alle Helferinnen ihre Tätigkeit als einfache, selbstverständliche Pflicht gegen ihre hartgeprüften Mitschwestern? Und sind sie namentlich imitande, die Bedürftigkeit auch da zu erkennen, wo sie nicht fraß und aufdringlich in die Augen springt, dort, wo sie nicht an der Elle der Armenunterstützung gemeffen werden darf und soll?
Wer die Dinge in der Praris näher verfolgt, der fonn diefe Fragen und ähnliche, die sich aufdrängen, feinesteps für alle