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Die Gleichheit
Ramsay Macdonald wies schneidig die liberale Lüge zurück, als ob der englische Imperialismus Belgiens wegen in den Krieg gezogen sei und die Sozialisten deshalb bereit sein müßten, den„ Schwachen und Unschuldigen" zu Hilfe zu eilen. In ihrer Haltlosigkeit wurde auch die andere Legende entlarbt, als ob das Kriegsziel sei, irgendeinem Volfe Europas mit Waffengewalt die Freiheit zu bringen. Die Konferenz betonte, daß es jedem Volke überlassen bleiben müsse, selbst seine Freiheit zu erringen. Einige Stellen aus Keir Hardies und Macdonalds Ansprachen sind wertvoll genug, um hier im Wortlaut wiedergegeben zu werden. Wir haben", so rief Keir Hardie nach dem " Vorwärts" aus,„ Grundsätze, und wir stehen zu ihnen. Wir werden zu ihnen stehen und sie aufrechterhalten, wenn der Krieg vorüber ist. Wir werden unseren sozialistischen Kameraden in Deutschland , Frankreich , Belgien und Österreich sagen, daß wir noch immer kameraden in einer großen Bewe= gung sind. Wir werden ihnen zurufen: Lasset uns alle etwa entstandenen Meinungsverschiedenheiten vergessen und wieder unsere Kräfte zum Kampfe vereinigen, zum Kampfe für die Hebung und Befreiung der Arbeiterklasse." Und voller Zuversicht sprach fich Macdonald so aus:„ Wenn die Leidenschaften und der Lärm vorübergerauscht sind, wenn die Hörner schweigen und die Trommeln nicht mehr dröhnen, dann wird das Volk sich umwenden und den harten und verworrenen Weg zurückblicken, den es während der letzten acht Monate gegangen ist. Es wird von den Männern, den Parteien, den Stimmen, den Forderungen, die es gehört hat, diejenigen wählen, die geprüft und nicht zu leicht befunden sind. Aus dieser Prüfung wird die Unabhängige Arbeiterpartei groß und mächtig hervorgehen, und das Volk wird wissen, daß hier eine Partei ist, die ihr Haupt nicht beugt, wenn die Stürme kommen, sondern die den Weg geradeaus geht, auf dem ihrer Meinung nach ihre Grundsäße liegen, ganz gleichgültig, ob der gegenwärtige Augenblick entmutigen könnte. Ich habe den festen Glauben, daß eine neue, eine größere, eine mächtigere und fester zusammenstehende Partei emporkommen wird und daß in den Tagen, die uns bevorstehen, die Sache des Sozialismus und der Arbeit zubersichtlicher und triumphierender marschieren wird."
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Notizenteil. Burgfrieden.
Ich kenne keine Parteien mehr. Die freikonservative, Post" schrieb:„ Für die Neugestaltung der inneren Politit nach dem Striege bildet die Hauptfrage, ob ein gedeihliches Zusammenarbeiten der Regierung und der bürgerlichen Parteien mit der Sozialdemokratie möglich sein wird. Die Antwort hängt wesentlich davon ab, ob die Sozialdemokratie ihren Klassenkampfcharakter und ihre Klassenkampfziele endgültig aufgeben will. Die Gruppe Liebknecht- Lede bour scheidet von vornherein aus. Sie bleibt unverändert, so wie fie zuvor war. Daher verdient sie nach dem Kriege dieselbe Behandlung wie vorher, und zwar am besten eine Behandlung nach Bismarckschen Rezepten.
Nr. 16
Anders steht es mit der Mehrheit der Sozialdemokratie, deren Vertreter im Reichstag für die Kriegsmittel und den Haushalt ge= stimmt haben. Die weitere Entwicklung und die fünftige Haltung dieser Mehrheit bleiben jedoch noch völlig im ungewissen, zumal sich nicht ermessen läßt, welche Einflüsse fünftig besonders die aus dem Kriege heimkehrenden, Genossen' ausüben werden und ob es dann vielleicht gelingen wird, jene, wie es scheint, zurzeit sehr kleine Gruppe, die sich der Liebknechterei' befleißigt, abzustoßen. Wenn die Auffassungen, die gegenwärtig in den, Sozialistischen Monatsheften' vertreten werden, die Oberhand innerhalb der Sozialdemokratie gewinnen würden, so tönnte man auf einen dauernden grundsätzlichen Umschwung rechnen. Aber vorläufig ist noch abzuwarten, ob und wie weit diese Auffassungen Aussicht und Anspruch haben, bei der Mehrheit grundsätzliche Billigung zu erlangen."
Dazu äußerte sich der Vorwärts" also:" In ungenierterer Weise ist noch nie von einer Partei die Aufgabe aller ihrer Grundsätze gefordert worden. Die Drohung mit der Peitsche von Ausnahmegesegen nach Bismarckschem Rezept, das Versprechen von Zuckerbrot, wenn die, Mehrheit die Gruppe Liebknecht auszustoßen sich entschließen würde das erweckt in der Tat die schönsten Hoffnungen auf die, Neugestaltung der inneren Politik!"
Kautsky auf dem Index. Laut" Vorwärts" hat die Kommandantur in Danzig den Vertrieb der Broschüre Nationalstaat, imperialistischer Staat und Staatenbund" von Kautsty untersagt. Zuwiderhandlungen werden auf Grund des Gesetzes über den Belagerungszustand verfolgt. Auch in Bremen haben die Behörden die Broschüren verboten.
Aus Industrie und Handel.
Tatarenuachrichten über die vogtländische Stickereiindustrie. Vor einigen Wochen gingen durch die Fachpresse Nachrichten, wonach für die Stickereiindustrie des Vogtlandes große amerikanische Aufträge eingegangen seien. Es war das gleichbedeutend mit der Hoffnung auf eine erhebliche Belebung dieses Erwerbszweigs, auf den die Bevölkerung der Gegend in hohem Maße angewiesen ist. Wir haben die Pflicht, hier zu verzeichnen, daß an allem dem Geschreibe und Gerede kein wahres Wort ist. Am 23., 24. und 25. März hat der Deutsche Textilarbeiterverband in Blauen im Vogtland , dem Hauptort der Stickereiindustrie, eine Feststellung über die Zahl und die Beschäftigung der Stickmaschinen vorgenommen. Danach standen still: Von 2114 gezählten Pantographenmaschinen 1957 gleich 92,5 Prozent, von 265 Automaten 224 gleich 84,5 Prozent, von 92 Handmaschinen 37 gleich 40 Prozent. Es ist dies das schlimmste Ergebnis, das eine Zählung je nachgewiesen hat. Es kündet eine traurige Lage des Gewerbes und der Bevölkerung. Und wie in Plauen , so fieht es im ganzen Vogtland aus. In Eibenstock ruhen sämtliche Betriebe. Nur in Schneeberg hat die dortige Handstickerei etwas Beschäftigung. Was soll mit Tatarennachrichten wie der angeführten bezweckt werden? Der„ Burgfriede" verbietet uns heute die richtige Antwort. Solange der Krieg dauert, ist an einen Aufschwung der Stickereiindustrie nicht zu denken, es fehlen alle Voraussetzungen dafür. Es wird höchste Zeit, daß wir zu normalen Zuständen zurücktehren. Das Wohl, das Leben der Arbeiterschaft fordert es gesk. bieterisch.
Arbeitslosigkeit der weiblichen Erwerbstätigen.
Die Arbeitslosigkeit im neuen Jahre. Trotzdem sich die Lage des gewerblichen Arbeitsmarktes in den Monaten Januar und Februar im allgemeinen weiter gebessert hat, leiden die weiblichen Erwerbstätigen immer noch stark unter Arbeitslosigkeit. Nur in wenigen Industrien und Gewerben sind eine größere Zahl Arbeiterinnen bei der Herstellung von Kriegsartikeln beschäftigt, und die anderen Industrien beleben sich bloß sehr langsam wieder. Dazu tommt noch, daß durch die fortgesezten Einberufungen zum Heeresdienst ständig geübte männliche Arbeitskräfte der Industrie entzogen werden. In der Folge entstehen nicht unerhebliche Störungen in der Arbeitsteilung, die auch auf die Erwerbsmöglichkeit der Arbeiterinnen erschwerend einwirken.
So war denn auch im neuen Jahre der Andrang weiblicher Arbeitsuchender zu den Arbeitsnachweisen immer noch groß. Nach den Statistiken stieg die Zahl der weiblichen Arbeitsuchenden von 127841 im Januar auf 132 744 im Februar, während die Zahl der offenen Stellen mit rund 77000 die gleiche geblieben war. Im Vergleich zum vorjährigen Februar ist der Unterschied noch bedeutend größer: die Zahl der Arbeitsgesuche hat sich danach um rund 40000 bermehrt, die offenen Stellen haben dagegen um rund 19000 abge=