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Die Gleichheit

Beispiel, alle internationalen Streitigkeiten seien durch ein Schiedsgericht zu schlichten. Dagegen wendete Fräulein Dr. Helene Stöcker aus Deutschland ein, daß auch andere friedliche Lösungen ins Auge gefaßt werden müßten, die Resolution daher verbesserungsbedürftig sei. Flugs hat übelwollen die­sen belanglosen Unterschied der Ansichten zu einem recht ,, krie­gerischen" Zwischenfall umge- dichtet.

W

Frau Lawrence England be­gründete eindringlich, daß die Rüstungsindustrien verstaat­licht werden müßten.

Zu diesem

Thema erklärte Frau Evans aus den Vereinigten Staaten , die Frauen wirkten dort nach Kräften dafür, daß die Schiffe neutraler Staaten keine Waffen und Munition transpor­tieren sollten.

Außer den Tagessizungen des Kongresses fanden große Abendversammlungen statt, die in erster Linie der Agitation für den Frieden und die Gleichberechtigung der Frauen dienen sollten. So betrachtet, waren sie recht wirkungsvoll. Hier kamen Begeisterung, Temperament und rednerische Be­gabung besser zu ihrem Recht als bei den Beratungen, auch war die Aussprache eine freiere, weil die Redezeit über die drei bis fünf Minuten hinausging, die dort den einzelnen Diskussionsrednerinnen zur Verfügung standen. Außer ordentlich wirkungsvoll schilderte zum Beispiel Fräulein Rosika Schwimmer Ungarn das Gräßliche und Wider­finnige des Krieges.

F

Der Kongreß war ganz überwiegend von bürgerlichen Friedensanhängerinnen und Frauenrechtlerinnen besucht. Das gab ihm sein Gepräge. Es fehlte die Tiefe der Auffaf sung und die Weite des Ausblicks, die nur der Sozialismus verleiht. Es wurden ungeschichtliche Ansichten über die gesell­schaftliche Ordnung unserer Zeit und ihren inneren Zusammen­hang mit dem Krieg entwickelt. Besonders häufig war die Überschäzung des Einflusses, den das Frauenwahlrecht allein auf die höhere Entwicklung der Gesellschaftsverhältnisse aus­üben werde. Jedoch ist über Krieg und Frieden und die Auf­gaben der Frauen unstreitig viel Wertvolles und Anregen­des gesagt worden.

Auch einige Sozialistinnen haben an dem Kongreß teil­genommen. So aus Schweden , den Vereinigten Staaten , England und Holland . Wie die Dinge lagen, war es unmög­lich gewesen, daß sie sich rechtzeitig über ein Auftreten als geschlossene Gruppe verständigt hätten. Bei der kurzen Rede­zeit blieb es auch ausgeschlossen, daß sie den bürgerlich pazifistischen und frauenrechtlerischen Auffassungen entgegen ihre eigene grundsäßliche überzeugung über die Kriegs- und Friedensfrage eingehend entwickeln und begründen konnten. So war ihre Aufgabe alles in allem auf die Bekundung herz­licher Sympathie für die Friedensarbeit beschränkt. Genoffin Ankersmit Amsterdam, die den Verband der sozialdemo­

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kratischen Frauenvereine Hollands vertrat, hat das mit eben­soviel Klarheit und Wärme als Taft ausgesprochen und da­bei gleichzeitig unerschrocken das sozialistische Banner ent­rollt. Sie erklärte, daß die Vertretung des Verbandes nur eine Sympathiekundgebung für den Friedensgedanken be­deute, aber keine übereinstimmung in der grundsätzlichen Auffassung über Krieg und Frieden. Deshalb würden die Delegierten des Verbandes sich weder an den Diskussionen noch an den Abstimmungen beteiligen. Die sozialistischen Frauen stünden auch in der Friedensfrage auf dem Boden ihrer eigenen geschichtlichen Auffassung und strebten dem Ziel auf anderen Wegen zu, als die bürgerlichen Friedensfreunde und Frauenrechtlerinnen. Genossin Ankersmit erläuterte das durch eine kurze Charakterisierung der Internationalen So­zialistischen Frauenkonferenz zu Bern , deren Sympathiereso­Intion für den Haager Kongreß fie übermittelte. Sie zeigte die imperialistische Wurzel des furchtbaren Weltkriegs und dessen unversöhnlichen Gegensatz zu den Interessen der brei­ten arbeitenden Massen. Krieg diesem Kriege müsse die Lo­sung sein. Klar wies sie auf die geschichtliche Rolle hin, die das jetzige Völkerringen den Frauen als Vorkämpferinnen des Friedens zuweise. Ihre Rede schloß mit der Erklärung, daß es unserer sozialistischen überzeugung nach nur einen Weg gebe, um den Frieden zu beschleunigen: den Friedens­willen der Massen als politische Macht zum Ausdruck zu bringen; nur ein Mittel, um den dauernden Weltfrieden zu sichern: die Aufrichtung der sozialistischen Ordnung. Die so­ zialistischen Frauen aller Länder werden es Genossin Anker­smit zu Dank wissen, daß sie die Gelegenheit benutzte, der Friedensforderung zu dienen und die gemeinsame große Sache würdig und geschickt zu vertreten.

Nicht in den Beratungen und Beschlüssen, nicht in dem äußeren Um und Auf liegt das Schwergewicht des Kongresses, wohl aber in der Tatsache, daß er stattgefunden hat. In den schmerzdurchwühlten Tagen des Weltkriegs redet sie hoff­nungsvoll von den Kräften, die am Werke sind, um den Frieden vorzubereiten, findet sie überzeugender die politische Reife der Frauen, als die nationalistischen Kolophonium­blize, in deren Schein die Walküren des Durchhaltens gegen den Kongreß angestürmit sind. Dieser gehört trotz allem zu den Zeitereignissen, deren Bedeutung unter dem Schlacht­getöse nicht voll gewürdigt wird, die aber über die Gegen­wart hinaus fruchtbar weiterwirken und neues Leben aus den Ruinen blühen lassen, die der Weltkrieg auftürmt.

Aus der Bewegung.

Von den Organisationen. Der Bann, der auf dem arbeitenden Volk infolge des Krieges lastet, besonders aber auf den proleta­rischen Frauen, beginnt allmählich zu weichen. Aus den Frauen­massen selbst bricht das Verlangen immer mehr hervor, sich end­lich wieder politisch zu betätigen, Zusammenkünfte und Versamm­lungen abzuhalten, um selbst über die Ereignisse Klarheit zu ge­winnen und Aufklärung und Wissen zu verbreiten. Immer deutlicher empfinden die Frauen, daß es Beit ist, die in Schmerz und Verzweiflung gefunkenen Arme von neuem zu regen. Sie verlangen nach Einsicht in die vielen Fragen, die ihr Leben berühren und sie bewegen. So fanden Anfang Mai in Nordhausen , Blankenburg i. Harz und Braun­sweig Busammenkünfte organisierter proletarischer Frauen statt. In Nordhausen waren etwa 200 Frauen anwesend, die überwiegend der hart frondenden Schicht der Kautabafarbeite­rinnen angehörten. Die Versammlung zeigte, daß die ganze Eri­stenz der Proletarier diese immer wieder auf den Weg der selb­ständigen flaffenbewußten Betätigung verweist. Frauen des werk­tätigen Voltes, die erwacht sind, müssen als Sozialistinnen emp­finden, müssen nach ihrer überzeugung handeln wollen. Schöne Reden und Erlasse, die sie von ihrem Pfad abbringen wollen, bleiben auf die Dauer wirkungslos, wenn der soziale Untergrund des proletarischen Lebens unverändert weiter besteht. So empfin­den die proletarischen Frauen mit sicherem Gefühl, welche Frage gegenwärtig im Mittelpunkt ihres Interesses zu stehen hat. Nach dem Vortrag wurde aus der Versammlung heraus eine Resolution