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Die Gleichheit

Dinge in den Vordergrund. So zum Beispiel taucht die Frage der Ernennung eines erweiterten Parteiausschusses auf, der, aus Vertretern beider Parteirichtungen bestehend, die Partei während der Kriegsdauer leiten, beziehungsweise die Hilfs­aktion der Parteiorganisationen und einzelner Genossen regeln soll. Auch über die Art und Weise und die Grenze, bis zu der es den Genossen zukommt, sich an den Hilfskomitees zu beteiligen, wird eifrig diskutiert-soweit es die Zeitverhält­nisse gestatten. Auf diesem Gebiet kommen ebenfalls Mei­nungsverschiedenheiten zwischen den zwei Parteiſtrömungen zum Vorschein, aber wie gesagt, es handelt sich um rein tak­tische Fragen.

Daß die soziale Hilfsaktion die Parteikreise lebhaft inter­effiert, ist unter anderem auch auf die besonderen Verhält­nisse des italienischen Parteilebens zurückzuführen. Kommen doch, abgesehen von einigen großen Städten beziehungsweise Industriezentren, meistens kleine Ortschaften in Betracht mit überwiegend ländlicher Bevölkerung, wo die sozialistisch auf­geklärten Elemente die einzigen sind, die sich der sozialen Für forge widmen, die einzigen, die von Solidaritätsgefühl und sozialem Verständnis geleitet sind und gerade deshalb schon bor dem Kriege in die sozialen und politischen Körperschaften gewählt wurden. In dem größten Teile dieser Ortschaften fann die soziale Hilfsaktion nur eine ausschließlich proleta­rische sein. An diese Elemente richtet sich der Parteivorstand mit der Mahnung, ihrer Tätigkeit ein Klaffengepräge zu geben und keine Verantwortlichkeit zu übernehmen, die irgend wie den Grundsäßen der Partei widersprechen könnte.

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Wie der Avanti" richtig bemerkt, wird der Vorstands­beschluß mit Zustimmung und Genugtuung von allen Ge­noffen und in weiten Kreisen der Arbeiterklasse aufgenommen werden. Obwohl der Krieg mit seinen sämtlichen Folgen auch Italien   heimgesucht hat, fehlt hier doch, dank dem konsequen­ten Verhalten der italienischen sozialistischen   Partei, eine der Begleiterscheinungen, die der Weltkrieg in den meisten frieg­führenden Ländern gezeitigt hat der Burgfrieden. Da die Resolution als das Hauptergebnis der ersten Beratung der italienischen Parteiinstanzen seit dem Kriegsausbruch davon Beugnis ablegt, daß die italienische Sozialdemokratie nichts von Burgfrieden hören will, darf ihr wohl das Ehrenzeugnis ausgestellt werden, daß sie nicht nur vor dem Kriege für den Sozialismus und Internationalismus gekämpft hat. Die Kraft und die Macht der italienischen sozialistischen   Partei wird auch in Zukunft davon abhängen, in welchem Maße es ihr gelingen wird, ausschließlich als Vertreterin der Inter­essen und der Ideologie der Arbeiterklasse zu handeln.

Angelika Balabanoff.

Zwei Grundfragen der sozialen Fürsorge für Kriegerwitwen und Kriegerwaisen.

IV.

Laffen wir an unserem Auge die bunte Mannigfaltigkeit der förperlichen und geistigen Arbeiten vorüberziehen, die die Frau heute als Berufstätige leistet, so scheint es zunächst geradezu unmöglich, zu einer einheitlichen Antwort auf unsere Frage zu gelangen. Nämlich, ob die Anforderungen der Berufsarbeit sich mit dem Pflichtenkreis der Mutterschaft vertragen. Wie? Sollte das gleichförmige, mechanische Tun der Spinnereiarbeiterin, der Anlegerin und Falzerin in einer Buchdruckerei, der Stepperin in einer Schuhfabrik, der Arbeiterin einer Ziegelei oder Zucker­raffinerie ebenso die Kräfte des Leibes und Geistes in Anspruch nehmen wie etwa der Beruf einer Schauspielerin, der zuzeiten Sinne und Seele völlig in seinen Bann schlägt, wie das Wirken der Ärztin, die oft genug in einer bestimmten Stunde ihre ganze Persönlichkeit restlos einer verantwortungsschweren Aufgabe unterordnen muß?

Es ist eine Binsenwahrheit, daß die verschiedenen Gebiete, auf denen die Frau unserer Zeit beruflich tätig ist, recht ver­schiedene Ansprüche an die leiblichen und seelischen Kräfte stellen.

Nr. 22

Niemand wird auch bestreiten, daß es Beschäftigungen gibt, die den Menschen mehr äußerlich in Anspruch nehmen, feine Körper­fräfte anspannen und verzehren, während andere Berufe ihn innerlich mit Beschlag belegen und ,, keine anderen Götter" neben sich dulden. Woraus sich die selbstverständliche Schlußfolgerung ergibt, daß die verschiedenen beruflichen Wirkungsgebiete des Weibes mehr oder weniger Schwierigkeiten und Gefahren für eine möglichst vollkommene Erfüllung der Mutterschaft in sich schließen; daß manche Berufe die körperliche Eignung für die Mutterschaft, die äußeren Bedingungen ihrer Pflichtleistungen bedrohen können, andere wiederum unvereinbar scheinen mit der höchsten seelischen Hingabe an das Kind, wenn das Weib mehr als Mutter werden, wenn es wirklich Mutter sein will. Es muß die Aufgabe einer unbefangenen, gründlichen Spezial­forschung sein, gewissenhaft zu prüfen, ob und inwieweit be­stimmte einzelne Berufe und Arbeiten die Persönlichkeit der Frau unter Bedingungen einfordern, die eine Gefährdung der Mutterschaft und ihrer Ansprüche mit sich bringen. Die Gesell­schaft ist verpflichtet, die praktischen Reformforderungen daraus abzuleiten. Jedoch nicht einzelnes darf über das Verhalten zu der ganzen Frage entscheiden. Dafür kann nur maßgebend sein, ob die Anforderungen der Berufstätigkeit im allgemeinen sich mit den Aufgaben der Mutterschaft zusammenstimmen lassen. Denn so interessant und beachtenswert sein mag, was sich in dieser Hinsicht für einzelne Gruppen von Frauen, ja so­gar nur für einzelne weibliche Persönlichkeiten herausstellt, entscheidend kann doch nur sein, wie die Bedingungen für die breiten Massen unseres Geschlechts liegen. Wir müssen also danach trachten, das Allgemeine zu erfassen, das die ver­schiedensten Formen und Anforderungen der beruflichen Ar­beit beherrschende Gemeinsame, das sich vielgestaltig in der Fülle der Einzelerscheinungen durchsetzt.

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Schürfen wir ein klein wenig unter der Oberfläche des schier unübersehbaren, tausendfach verzweigten und sich kreuzenden Gewirrs von Ansprüchen, die die zeitgenössische Berufsarbeit der Frau an die Geschicklichkeit der Finger und den sicheren, unverwandt spähenden Blick, an die andauernde, elastische Muskelkraft stellt, an die Anspannung des prüfenden, berech­nenden, kontrollierenden Geistes, an die Zusammenraffung und Einsetzung von Gefühlswerten, von Gedankenflügen und Willens­energien! Es enthüllt sich dann an der Wurzel der wider­spruchsvollsten Außerungen diese allgemeine Grundursache: Die Berufstätigkeit ist nicht ein nebensächliches Etwas im Leben des Weibes, eine Betätigung seiner Kräfte, die sich im Nebenbei und Zwischendrin mit anderen Bekundungen seines Jchs ohne weiteres fonflittlos vereinigen ließe. Sie ist eine wesentliche, beherrschende Haupttatsache und Hauptäußerung der Existenz, ja sie ist in Millionen von Fällen die Hauptäußerung schlecht­weg, hinter der alles andere Leben und Weben zurücktritt,

zurücktreten muß.or

striearbeiterin, die sich des Morgens erhebt, die kleine Welt

Man vergegenwärtige sich das Dasein irgendeiner Indu­

um sich rasch und notdürftig ordnet, das Frühstück hastig hinunterschlingt, um pünktlich beim Pfiff der Fabrikpfeife am Tor des Betriebs zu stehen; die dann tagsüber 10 Stunden an ihren Arbeitsplatz gefesselt ist, mit Pausen, von denen in­folge der Entfernung zwischen Werkstatt und Heim für Hundert­tausende nicht einmal die Mittagsrast ein Aufsuchen des häus­lichen Herdes gestattet; die schließlich abends müde, zermürbt an Leib und Seele den Rückweg antritt und für alles, was die Ihrigen von ihr wünschen, für alles, was ihr eigenstes Wesen begehrt, nur noch Neste der Zeit und Kraft übrig hat, ehe das Ruhebedürfnis sie aufs Lager zwingt. Dder die Tage einer Bureauangestellten, die trotz aller Abweichungen in Außer­lichkeiten und Einzelheiten doch dem Los der industriell Er­ werbstätigen   in der einen großen Hauptfache gleichen: der Beruf beansprucht den Löwenanteil ihrer Zeit und Straft.

Die gleiche Tatsache tritt uns entgegen, wenn wir die Ver­hältnisse auf dem Gebiet der liberalen, der geistigen Berufe, überschauen. Man befrage die Lehrerin an einer Gemeinde­schule, für die sich an die Pflichtstunden die Durchsicht und Ver­