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Die Gleichheit

einem Falle wurden Frauen zum Verladen von Steinen in Elbkähne verwendet, einer schweren Männerarbeit! Auf die erstattete Anzeige hin erhielt der Unternehmer 20 Mark Geld­strafe. Dagegen erhob er Widerspruch. Die Frauen seien nicht im Steinbruch, sondern auf einem besonderen Verladeplatz beschäftigt worden. Obwohl die Gewerbeinspektion anderer Meinung war, trat das Gericht dem Unternehmer bei und stellte das Verfahren ein. Eine Schmuckfedernfabrik besann sich auf eine eigene Methode, 50 Arbeiterinnen länger als 10 Stunden zu beschäftigen, Sie suchte darum nach, die Ar­beiterinnen an 50 Tagen je 12 Stunden beschäftigen zu dürfen, die zwei Überstunden sollten jedoch in Heimarbeit bestehen. Die Gewerbeinspektion befürwortete das Gesuch nicht, und auch das Ministerium hatte starke Bedenken dagegen, da der Heim­arbeit aus verschiedenen Gründen entgegengetreten werden müsse. Außerdem war der Gesuchsteller schon wiederholt wegen zu langer Beschäftigung von Arbeiterinnen bestraft worden. Trotzdem wurde das Gesuch schließlich unter gewissen, kaum kontrollierbaren Vorbehalten bewilligt! Auch dieser Vorgang zeigt, wie bei den Behörden die Wage des Wohlwollens be­denklich auf die Seite der Unternehmer neigt. Die Aufsichts­beamten sigen dann allerdings zwischen zwei Stühlen. Sie sollen dem Gesez Beachtung verschaffen, müssen aber recht oft im Zweifel fein, ob sie dabei die Zustimmung der Behörden finden. Eine den Interessen der Arbeiter nachteilige Unsicher­heit in der Auslegung der Schutzgesetze ist die Folge davon. Aus dem Bezirk Leipzig   wird eine unverständliche über tretung des Gesetzes durch Arbeiterinnen selbst gemeldet; vtel­leicht wurde sie durch die soziale Not hervorgerufen. In einer Papierfabrik wurde bemerkt, daß Arbeiterinnen während der Pause Stoffhandschuhe für andere Firmen beschnitten. Der Unternehmer erklärte, daß jene Arbeiterinnen die Beschäfti­gung bei ihm aufgeben würden, wenn er ihnen diese Neben­arbeit unterfage.

über die Zulässigkeit der Beschäftigung schulpflichtiger Kinder herrscht in kleinen Betrieben noch vielfach Unkennt­nis, wie der Chemnizer Bericht mitteilt. Schulpflichtige Lauf­jungen wurden häufig noch zu gewerblichen Nebenarbeiten gefezwidrig benüßt. Auch gegen die sogenannte Lehrlings­züchterei mußte eingeschritten werden. Im Annaberger Be­zirk beklagten sich neun Personen über zu lange Arbeitszeit und Mißhandlung von Lehrlingen. In dem Dresdener   Be­richt wird gesagt, daß man in einer Getreidemühle während eines Streits einen jugendlichen Arbeiter auch nachts be­schäftigte, weil es an Leuten fehlte. Dafür wurde der Ge­schäftsleiter mit 10 Mark bestraft. In Gärtnereien wurden nach den Feststellungen der Aufsichtsbeamtin 635 Kinder be­schäftigt, darunter 105 Mädchen. Das Alter der Kinder konnte nur selten genau festgestellt werden, da nur wenige im Besitz der vorgeschriebenen Arbeitskarten waren. Die Arbeitgeber gaben das Alter allgemein auf 12 bis 14 Jahre an. In zwei Fällen konnte aber nachgewiesen werden, daß die Kinder viel jünger waren. Die Arbeitszeit betrug an schulfreien Nachmit­tagen in der Regel 5 bis 6 Stunden hintereinander. Wäh­rend der Ferien wurden in 68 Gärtnereien die Kinder 8 bis 10 Stunden, in zwei Betrieben sogar 11 und 11 Stun den beschäftigt. Und in acht Gärtnereien mußten die Kinder auch noch Sonntags arbeiten. Nur in 22 Gärtnereien mit 55 Kindern wurden die gesetzlichen Bestimmungen des Kinder­schutes voll eingehalten. Beschäftigt werden die Kleinen meist mit Jäten, Gießen, Hacken usw. Sie verwenden dabei die. selben Arbeitsgeräte, die die Erwachsenen benüßen, nur die Gießkannen sind kleiner. Lohn: 4 bis 12 Pfennig pro Stunde. Das ist also ,, die goldene Jugendzeit" zahlreicher armer Prole­tarierkinder im Spiegel eines oft gepriesenen Kinderschutz­gesetzes dort, wo das Auge des Gesezes wacht. Wie mag es erst im übrigen aussehen? Die Frage, ob Gärtnereien zu den gewerblichen Betrieben zählen, ist in Sachsen   noch immer nicht entschieden. Die Auffassungen darüber sind selbst bei der Rechtsprechung verschieden. Die Gärtnereibefizer wollen nicht daruntergerechnet sein, eben der Aufsicht wegen.

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Nr. 22

Welch eigenartige Bahnen die Berichte in der Beurteilung gewerblicher Dinge wandeln, zeigt auffällig ein Vorgang aus dem Zwickauer   Bezirk. Der Inhaber einer elektrotechnischen Anstalt wurde angezeigt, weil er den Lehrlingen- es wurden über 20 Arbeiter beschäftigt die gesetzlichen Pausen nicht gewährte. Schöffen- und Landgericht sprachen den Unternehmer jedoch fret, weil sie annahmen, es handle sich um zwei Be­triebe, eine Installation und eine Schlosserei, die jede für sich in der Regel weniger wie 10 Arbeiter beschäftigte. Zu dieser Annahme kamen die Gerichte, weil die Werkstätten in zwei verschiedenen Stockwerken lagen und auch betriebstechnisch" voneinander getrennt seien. Das hatte sich der Gewerbeinspektor ganz gewiß nicht träumen lassen, als er die Anzeige veran­laßte. In einem Drte mußten die Besizer von Kegelbahnen durch eine öffentliche Bekanntmachung auf die gefeßlichen Be­stimmungen hingewiesen werden, nach denen die Beschäftigung von Kindern über 8 Uhr abends hinaus verboten ist.

Schließlich sei noch bemerkt, daß sich unsere Kinderschutz­kommissionen überall, wo sie bestehen, redliche Mühe ge­geben haben, mit dafür zu sorgen, daß der winzige Kinder­schutz wenigstens richtig durchgeführt wird. Feststellungen über ihr segensreiches Wirken finden sich in den Berichten fast aller Bezirke. Wie nötig die Tätigkeit unserer Kinderschußkommissionen ist, dafür liefert das amtliche Material trotz seiner Dürftigkeit und Knappheit den besten Beweis. Den Unternehmern ist diese freiwillige Mitwirkung an der Gewerbeaufsicht wie diese selbst freilich nicht angenehm. Wir erinnern nur daran, daß die Sozialdemokraten im letzten sächsischen Landtag die Regierung dazu bewogen hatten, zwei Aufsichtsbeamte mehr anzustellen. In der Kommission wagten auch die bürgerlichen Vertreter nicht, zu widersprechen. Im Plenum aber stimmten die bürger­lichen Parteien, außer zwei konservativen Vertretern, die For­derung nieder, die die Regierung bereits zugesagt hatte. Aus solchen Tatsachen gilt es zu lernen.

Aus der Bewegung.

H. F.

Zehn Jahre Frauenbewegung in Mannheim  . Was bedeuten zehn Jahre in der Geschichte? Sie verschwinden und sind darin nur erkennbar, wenn sich innerhalb ihrer große Ereignisse ab­spielen. Anders in der politischen Organisation. Hier bedeuten fie die Zusammenfassung der Kraft vieler zu dem gleichen Zweck, fich Rechte zu erringen und zu erhalten, die der einzelne sich nicht zu schaffen vermag und die nur die Frucht gemeinsamer Arbeit, des Zusammenwirkens vieler sein können. Von diesen Gedanken ge= leitet, bereiteten einzelne Mannheimer   Genossinnen im Monat Mai 1905 die Gründung einer Frauenorganisation bor  . Leicht war ihre Arbeit nicht; in den neunziger Jahren war trotz eifriger, hingebungsvoller Arbeit ein Verein eingegangen, der die gleichen Bestrebungen verfolgt hatte. Nur wenige Frauen waren geneigt, sich der neuen Bewegung anzuschließen. Mit Begeisterung gingen die Genossinnen And ran und Feichter bezirksweise an die Gründung, und eine größere Anzahl Ge­nofsinnen stand ihnen dabei hilfreich zur Seite. Auf dem Lindenhof, in der Nedarstadt und Schweginger­stadt tam es rasch zum Zusammenschluß, während dieser in der Inneren Stadt auf verschiedene Schwierigkeiten stieß. Trop fleißiger Werbearbeit wollte es uns nicht gelingen, in diesem Be girt Frauen als Mitglieder zu gewinnen. Bei der Maifeier 1905 machten wir hier den Versuch, die Frauen für unsere Ideale zu begeistern. Nach dem Vortrag einiger Gedichte richtete Genossin Blase aufmunternde Worte an die Frauen, die tätigen Genossinnen ließen Einzeichnungslisten zirkulieren, und der Erfolg blieb nicht aus: 50 Frauen traten unserer Partei bei. Die meisten davon wohnten in der inneren Stadt, und so konnten wir nun auch hier unsere Gruppe konstituieren. Jede Bezirksgruppe wählte ihren Vorstand, Vorsitzende wurde in der Neckarstadt Genoffin Schnei der, in der Schweßingerstadt Genossin Schley, auf dem Lin­denhof Genossin Kripp und in der Inneren Stadt Genoffin Feichter. Zur Vertretung bei der sozialdemokratischen Partei­organisation wurde eine Vertrauensperson gewählt, Genossin Hoffmann, der man gleichzeitig auch die Kaffengeschäfte über­trug. Nun galt es, das Statut unserer Organisation auszu arbeiten. In dankenswerter Weise nahmen die Genoffen Leh­