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Die Gleichheit

Ausführungen der Föderation von Haute Vienne zustimme. So weit scheint allerdings die sozialistische Selbstbesinnung in den Reihen der Parteibertreter auf der Tagung noch nicht gediehen zu sein.

Wieso es zu erklären ist, daß die offizielle Parteipolitik noch einmal siegte, geht aus Pariser Berichten deutlich hervor. Danach fehlt der Opposition noch die Geschlossenheit, theoretische Klarheit und ein festes Programm. Sie ist ganz naturwüchsig emporgekom­men, ohne Einfluß der Parteiführer und Parteiliteratur. Es spricht dies dafür, daß sie tief in dem arbeitenden Volk wurzelt, und wenn sich die Delegierten auch diesmal noch von einer ebenso unklar wie geschickt abgefaßten Resolution einfangen ließen, so werden doch draußen die Massen sich auf die Dauer nicht vor den Wagen des französischen Imperialismus spannen lassen. Dafür sorgt schon die Brutalität der Unternehmer und das wachsende Elend.

Die Wahlen zur Tagung des Nationalrats gingen überall unter heftigen Debatten vor sich. Von 64 Parteibezirken haben sich 15 mit dem Bericht der Föderation Haute Vienne einverstanden erklärt. Jm Parlament sollen etwa 20 Abgeordnete auf dem Boden des Berichts stehen. Die Tatsache, daß am 8. Juli 3 sozia­listische Abgeordnete den Mut fanden, dem Ministerium der natio­nalen Verteidigung das Vertrauen zu verweigern, ist ebenfalls ein erfreuliches Symptom. Ein sozialistisches Blatt in England veröffent­licht eine bedeutsame Zuschrift aus Paris , in der es unter anderem heißt: Die jüngeren Mitglieder der sozialistischen Partei stehen an der Front. Man kann sie weder befragen, noch läßt sich ihre allgemeine Stimmung feststellen. Unter den Sozialisten aber, die sich nicht an der Front befinden, gibt es tiefgehende Mei­nungsverschiedenheiten über die durch den Krieg her­aufbeschworenen Fragen.... Die Linke hat eine große Mehr­heit unter den Sozialisten im Süden Frankreichs , und nach meiner Meinung umfaßt sie wahrscheinlich die Mehrheit der Gesamtpartei...." Vielleicht hat der Einsender zu optimistisch ge­sehen, auf jeden Fall werden die entschiedenen Sozialdemokraten in Frankreich im Kampfe um ihre Überzeugung fich nicht irre machen lassen, der ein Kampf um den Weltfrieden ist.

Friedenskampf der rumänischen Sozialdemokraten. Auf Sonn­tag, den 18. Juni hatten die Sozialdemokraten in Bukarest eine Frie­densdemonstration auf öffentlichem Plaze angesagt. Sie wurde ver­boten. Trotzdem strömten die Massen zusammen. Als mun Polizei und Militär gegen die von Genossen Cristescu geführte Menge mit Gewehrkolben, Säbeln und Knütteln einschritt, eröffneten die Arbeiter ein Bombardement mit Ziegeln und Steinen. Etwa 40 Genossen wurden verhaftet, 20 verlegt. Die Verhafteten wurden auf dem Wege zur Wache mißhandelt. Polizei und Militär hatten ebenfalls 12 Ber­letzte. Gegen einzelne der Verhafteten wurde ein Strafverfahren ein­geleitet, die anderen sezte man am nächsten Tag wieder in Freiheit. Der Blutsonntag trug natürlich nicht die gewünschten Früchte. Statt sich einschüchtern zu lassen, haben die rumänischen Arbeiter am Sonn­tag, den 4. Juli eine von über zehntausend Personen besuchte Massen­versammlung abgehalten. Alle Redner erklärten sich für die endgültige Aufrechterhaltung der Neutralität, eine Resolution protestierte gegen die Ungesetzlichkeit vom 13. Juni, gegen die Kriegstreibereien ein­zelner Blätter und die Haltung der Regierung, deren Maßregeln das Wirtschaftsleben einschränken und die Lebenshaltung verteuern. Die Sozialisten aller Länder werden aufgefordert, alle Kräfte für den Weltfrieden einzusehen. Die Versammlung wurde unter Rufen: Es lebe der Friede, nieder mit dem Krieg! ohne Störung geschlossen. Die serbischen Sozialisten bleiben Kriegsgegner. In der serbischen Skuptschina haben die beiden sozialistischen Abgeordneten fürzlich abermals die Bewilligung der Kriegskredite abgelehnt.

Nr. 23

Eine bedentſame Friedenskundgebung der schwedischen Frauen hat stattgefunden. Sie wurde von bekannten Führerinnen der sozialdemokratischen und bürgerlichen Frauen vorbereitet, die selbstverständlich auch an der Veranstaltung teilnahmen, die als Friedens sonntag organisiert war. An einem Sonntag fanden in mehr als 840 größeren schwedischen Orten Versammlungen statt, in denen die Friedensresolution des Haager Internationalen Frauen­kongresses zur Annahme gelangte. Die Regierung Schwedens wurde aufgefordert, die Frage zu prüfen, was geschehen könne, um für einen baldigen Frieden zu wirken. An den Versammlungen haben über 91000 Frauen teilgenommen. Zu den Unterzeichnerinnen des Auf­rufs für den Friedenssonntag gehörten Selma Lagerlöf und Ellen Key , Frauen von verdientem Weltruf.

Frauenstimmrecht.

Wie der Senat von Kalifornien über das Franenwahlrecht urteilt, erhellt aus der nachstehenden Resolution, die am 1. Mai dieses Jahres einstimmig zur Annahme gelangt ist:

" So erfolgreich hat sich der Gebrauch und die Wirkung der ge­währten gleichen politischen Rechte für die Frauen erwiesen, daß, wenn noch einmal über die Neuerung abgestimmt werden müßte, ste mit überwältigender Mehrheit beschlossen werden würde. Die Ein­führung des Frauenivahlrechts in Kalifornien gehört zu den wich­tigsten Faktoren, die zu den ausgesprochenen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritten unseres Bolkes in den letzten Jahren beigetragen haben. Jede herabseßende Behauptung, als ob das Frauen­wahlrecht diesem Staate nicht förderlich sei, entbehrt der Grundlage in den Tatsachen und wird durch die anerkannte Intelligenz und scharfe Urteilsfähigkeit widerlegt, die die Wählerinnen bei den Ent­scheidungen über die großen politischen und wirtschaftlichen Fragen des Tages an der Wahlurne bekundet haben."

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Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Weibliche Vormünder in Österreich können wie wir bereits mitteilten bestellt werden, seitdem im Herbst 1914 die Novelle zum Bürgerlichen Gesetzbuch erlassen worden ist. Der Allgemeine Österreichische Frauenverein" und andere Frauenorganisationen lassen sich angelegen sein, unter den Frauen dafür zu wirken, daß sie Vor­mundschaften übernehmen. Vorträge über die Pflichten und Rechte der Vormundschaft sollen sie für das Amt schulen. Um diese Be­strebungen zu fördern, wurde am 21. Juni ein Verband für weibliche Vormundschaft gegründet, der am folgenden Tage seine erste Beratungsstelle eröffnete. Der Verband soll die An­meldungen weiblicher. Vormünder sammeln, zwischen diesen und den Vormundschaftsgerichten vermitteln, sowie alle Frauen sachkundig beraten, die Vormundschaften übernehmen wollen oder schon über­

nommen haben.

Frauen in englischen Kriegsfürsorgeorganen. In Nr. 11 be= richteten wir davon, daß die Regierung Großbritanniens Frauen zur Mitarbeit in Körperschaften berufen habe, die der Kriegsfür­sorge dienen. Wie uns mitgeteilt wird, ist das in größerem Um­fange geschehen, als bis dahin die Presse gemeldet hatte. In dem Bentralausschuß für Frauenbeschäftigung ſizen zum Beispiel fünf Bertreterinnen der organisierten Arbeiterinnen, Schriftführerin ist Genossin Macarthur, eine der tüchtigsten Gewerkschaftsführerinnen. Dem Ausschuß gehört auch Genossin Dr. Phillips an, die Vorsitzende des Internationalen Frauen­ rats der sozialistischen und Arbeiterorganisationen Großbritan­ntens. Die fünf Vertreterinnen der organisierten Arbeiterinnen sind in den Zentralausschuß von dem Arbeiter Kriegs­fürsorgekomitee delegiert worden, einer Körperschaft, die Beim Ausbruch der Katastrophe von der Arbeiterpartei ins Leben gerufen worden ist. Sie trägt den ausgesprochenen Charakter einer Arbeitervertretung und leistet ganz Treffliches für die Wah­rung proletarischer Interessen jeder Art. Das Arbeiter- Kriegs­fürsorgekomitee hat unter anderem mit Erfolg dafür agitiert, daß die Unterstützungsfäße für die Angehörigen der Kriegsteilnehmer erhöht werden mußten.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bet Stuttgart .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart .