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26. Jahrgang

Die Gleichheit

521 1916

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post viertelfährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

Stuttgart

1. Oktober 1915

Frauenarbeit und Frauenlöhne während des Kriegs. Die Not der Kriegerfrauen. Von G. F. Der Deutsche Textilarbeiter verband im ersten Kriegsjahr. Von sk. Aus der Bewegung: Kriegerfrauenversammlung.- Gewerkschaftliche Rundschau. Genossenschaftliche Rundschau. Bon H. F. Notizenteil: Burgfrieden. Für den Frieden.- Sozialistische Frauen­bewegung im Ausland. Frauenstimmrecht. Verschiedenes.

Frauenarbeit und Frauenlöhne während des Kriegs.

Der Kapitalismus ist bekanntlich der große Revolutionär", der die Frau in steigender Zahl aus der umfriedeten alten Häuslichkeit treibt und die Hausmutter früherer Zeit in die Erwerbstätige verwandelt, die selbständig, wie der Mann, den Kampf mit dem feindlichen Leben aufnehmen muß. Das Auf­kommen und der wachsende Umfang der beruflichen Frauen­arbeit gehören zu den hervorstechendsten Merkmalen der kapita­ listischen Wirtschaft. Die Ursachen dieser Erscheinung haben wir in der Gleichheit" erst vor kurzem aufgezeigt. Schon in den letzten Jahren hat die rasche und starke Ausdehnung der Frauenerwerbsarbeit jene geängstigt, die für das Weib einzig und allein den Naturberuf" als Gattin und Mutter gelten lassen wollen. Mit welchem Entsezen müssen sie nun auf die Wirkung blicken, die der Krieg in dieser Beziehung zeitigt. Ohne jeden Respekt vor dem natürlichen, sittlichen" oder göttlichen" Gebot, das die Frau mit ihrem Sehnen und Tun ausschließlich auf das Heim beschränken soll, zwingt er mit gewalttätiger Faust geradezu reißend anschwellende Frauen­massen zum Erwerb.

Es bedarf nicht einmal des Nachweises durch Zahlenwerk, ein Blick in das alltägliche Leben genügt, um sich dessen zu vergewissern. Rollt in sehr vielen Orten nicht Tram auf Tram an uns vorüber, auf dem die Schaffnerin in Dienstjacke und Dienstmüße ihres Amtes waltet? In Berlin allein soll es 2700 dieser Beamtinnen geben. Längs der Eisenbahnlinien ist uns die Streckenarbeiterin zur vertrauten Erscheinung ge­worden, wie in den Großstädten die Frau, die bei der Straßen­reinigung, der Müllabfuhr und beim Kohlenverladen be­schäftigt ist. Aus Werkstätten und Fabriken, die früher fast nur Männer beschäftigten, und zwar vorwiegend Männer im Alter der höchsten Leistungstüchtigkeit, strömen jegt am Feierabend neben Greisen und halbwüchsigen Burschen Frauen, hier und da in der Mehrzahl Frauen. In Tischlereien, Hütten­betrieben, in Munitionsfabriken und Brauereien, in der Autogenschweißerei und anderen Zweigen der Metallindu­strie, im Verkehrs- und Nahrungsmittelgewerbe, in der chemi­schen und Lederindustrie sind Arbeiterinnen mit Erfolg als Ersatz für kriegspflichtige Männer angelernt und eingestellt worden. Nach dem Bericht der Betriebskrankenkasse für die Kruppsche Gußstahlfabrik zu Essen waren dort am 31. Dezember 1914 bereits 1329 Frauen und Mädchen tätig. Seit Beginn des laufenden Jahres bis Ende Juni hat die Firma noch rund 5000 weibliche Arbeitskräfte eingestellt. Auf dem flachen

Zuschriften sind zu richten

VOLKSERC FUR DAS

DEUTSCH

an die Redaktion der Gleichheit, Wilhelmshöhe, Post Deger­loch bei Stuttgart . Fernsprecher Amt Stuttgart 8562. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbachstraße 12.

Lande ruht die Garten-, Feld- und Viehwirtschaft überwiegend in weiblichen Händen, ja beim landwirtschaftlichen Klein- und Zwergbesit so gut wie ausschließlich. Die Lücken, die der Arieg in die Reihen der männlichen Berufstätigen reißt, werden durch Frauen ausgefüllt. Während die Zahl der beschäftigten Männer zurückgeht, steigt die der erwerbstätigen Frauen.

Nach dem Reichsarbeitsblatt" für August war bei 5648 be­richtenden Krankenkassen die Zahl der versicherungspflichtigen männlichen Mitglieder zwischen dem 1. Juli und 1. August dieses Jahres von 4552735 auf 4461 550 zurückgegangen. Sie hatte um 91185 abgenommen oder um 2,0 vom Hundert. Die Zahl der versicherungspflichtigen weiblichen Mitglieder dagegen war in der gleichen Zeit von 3394779 auf 3435373 in die Höhe gegangen und hatte sich mithin um 40594 vermehrt, das ist um 1,20 vom Hundert. Vom Mai abgesehen sind der ver­ficherungspflichtigen männlichen Mitglieder der Krankenkassen seit Jahresanfang von Monat zu Monat weniger geworden, die weiblichen Mitglieder aber haben dauernd eine Zunahme erfahren. Die Bewegung des Mitgliederstandes für die beiden Geschlechter stellt sich wie folgt dar, wenn man ihn am 1. Januar 1915 gleich 100 annimmt und die für den 1. Februar und den Ersten jedes folgenden Monats neu gewonnenen Be­standziffern gleichsetzt mit den Verhältnisziffern des Vormonats: Männl. Mitglieder Wetbl. Mitglieder

1. Januar 1. Februar 1. März. 1. April 1. Mai

1. Juni

1. Juli

1. August

100

100

99,0

100,8

98,8

103,4

97,8

105,5

99,1

109,4

97,7

110,3

95,7

110,6

93,7

111,8

Diese Bewegung spiegelt deutlich die aufgezeigte Erscheinung wider. Nach anderen Angaben, die wir jetzt leider nicht nach­prüfen können, haben sich die männlichen Arbeitskräfte vom 1. Januar bis 30. Juni dieses Jahres um 4,06 vom Hundert vermindert, die weiblichen hingegen um 8,72 vom Hundert oder um rund eine halbe Million vermehrt. Wir machen uns feiner übertreibung schuldig, wenn wir behaupten, daß alle diese Zahlen noch bei weitem nicht den Umfang feststellen, den die Erwerbsarbeit der Frauen während des Kriegs an­genommen hat. In vielen Familien ist im Gefolge vom Heeres­dienst, vielleicht gar vom Tode des Vaters die Not zur Herrin geworden. Großen Scharen von Müttern, die früher mir ihren Pflichten im Hause lebten, hat sie den Zwang auferlegt, durch Heim-, Neben- und Gelegenheitsarbeit der verschiedensten und oft wechselnden Art zur unzulänglichen Kriegs- und Hinter­bliebenenunterstützung hinzuzuverdienen. Wohl die wenigsten dieser Frauen sind bisher von der Statistik erfaßt worden. Das gleiche gilt von den weiblichen Erwerbenden in der Landwirtschaft.

Will man sich ein annähernd richtiges Bild davon machen, wie außerordentlich schnell während des Kriegs das Heer der berufstätigen Frauen und Mädchen wächst, so muß man sich

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