Nr. Z Die Gleichheit 19 Jahrzehnte zu den besser gezahlten Textilarbeitern Deutsch­ lands aufgeschwungen. Der Krieg brachte große Zweige dieser Branchen fast vollständig zum Stillstand. In Thalheim kann zum Beispiel seit Kriegsbeginn mit einer höchstens Zvstiindigen Arbeitswoche gerechnet werden: heute beträgt sie 13 bis 20 Stunden, und Hunderte Maschinen stehen still. Die Stoffhandschuhbranche Wittgensdorfs, Limbachs, Ge­ringswaldes, Burgstädts arbeitet 2 Tage pro Woche. Die Lohnfabriken stehen still. Wie in den genannten Orten, so sieht es in allen anderen Dörfern und Städten des Wirker­gebiets aus. Von den 1106 Strumpfmaschinen in Jahnsdorf stehen 538 still, die anderen arbeiten 14 bis 30 Stunden pro Woche. Dazu gesellt sich tagelanges Aussetzen. Die Wirker­ortskrankenkasse Apolda hatte am 15. September noch 2381 männliche und 2073 weibliche Mitglieder gegen 5152 männ­liche und 4132 vor dem Kriege. Mit Ausnahme der Triko­tagenfabriken arbeitet die ganze Chemnitzer Textilindustrie nur 2 bis 3 Tage wöchentlich bei sehr beschränkter Arbeiter­zahl. In Crimmitschau sind von 2350 Webstühlen 1459 be­setzt, in Elsterberg sind von 9 Großwebereien 4 ganz ge­schlossen. Gera und Werdau beherbergen eine Reihe seit Wochen geschlossener Betriebe. Organisierte Arbeiter nahnien in Reichenbach i. V. umfassende Erhebungen über die Lohn- einkommen der Textilarbeiter vor. Es wurden bei einzelnen Arbeitern die Verdienstsummen von einer Anzahl Wochen addiert. Durch Division wurde ein Durchschnittswochenlohn ermittelt. Im einzelnen fanden wir Zeitläufte von 5 Wochen, 6 Wochen, 3 Wochen, 4 Wochen, 3 Wochen, noch zweimal 4 Wochen, dreimal 11 Wochen usw. verzeichnet. Es wurden Durchschnittswochenlöhne festgestellt in Kammgarnspinne­reien: 2,54 Mk., 5.65, 2,73, 2,55, 1,50, 2,30, 2,45, 18,70, 11,80, 10,50, 9,00, 4,55, 6,07, 8,00, 4,18, 7,32, 16,92, 8,50 Mk.: in Streichgarnspinnereien: 6,14 Mk., 13,00, 12,25, 9,85, 11,00 Mk.: in Kammgarnwebereien: 8,25 Mk., 15,30, 16.90, 14,35, 7,75, 10,55, 19 Mk. Entsetzliche Not leidet die Arbeiterschaft in Hohenstein- Ernstthal . Die dortige Hausweberei steht still, viele Hun­derte Arbeiter der Fabriken sindvorläufig nach Hause ge­schickt". Die Meldungen der Arbeitslosen auf dem Rathaus sind so zahlreich gewesen, daß einzelne an gewissen Tagen bis 4 Stunden warten mußten, ehe sie registriert werden konnten. Wenn die Weber abarbeiten, können sie gehen. Der Konsum der wichtigsten Nahrungsmittel geht zurück, Fleisch gibt es nicht mehr, der Hering, in der jetzigen Zeit eine Delikatesse, kostet 13 Pf. Die geschwundene Kaufkraft der Hohenstein- Ernstthaler Bevölkerung wird am besten dadurch gekenn­zeichnet, daß von den Fleischkonserven im Werte von 50000 Mark, welche die Stadtgemeinde vor vielen Monaten kaufte (Pro Büchse 1,20 Mk.), noch immer für mehr als 30 000 Mk. unverkauft sind. Die Folgen der Unterernährung sind zu­nehmende Krankheits- und Todesfälle. Wie in den bisher bezeichneten Gebieten des Königreichs Sachsen und der thü­ringischen Staaten, so sieht es auch in anderen Textilgegen- den aus. Aus der erzgebirgischen Posamentenindustrie, auS der Vogtländischen Spitzenindustrie, aus der oberfränkischen und Augsburger Baumwollindustrie, aus Mülhausen i. Elf., Markirch, Kolmar und aus Baden ließe sich gleiches melden. Es ist unmöglich, das alles im Rahmen eines Zeitungs­artikels im einzelnen auszuführen. Was ist natürlicher, als daß diejenigen, die einiger­maßen die Möglichkeit haben, versuchen, in anderen, besser gehenden Industrien unterzukommen. Leider ist das nur in beschränktem Umfang durchzuführen. Tausende weibliche Per­sonen Augsburgs werden mit Ausbessern von Säcken durch diestädtische Arbeitslosenfürsorge" beschäftigt. Die Arbeit geht vom Kriegsproviantamt aus und die Löhne sind ange­messen. Der Sack wird mit 10 Pf. bezahlt. DieWeberei am Mühlbach" glaubte auch hiermit Wucher treiben zu können. Sie erhielt einen Austrag von 100 000 Säcken und zahlte den Arbeiterinnen pro Sack 3'/, Pf. 14�/, Pf. flössen in ihre eigenen Kassen. 679 organisierte Berliner Textilarbeiter arbeiten in der Metallindustne und allen möglichen Ge­werben. Ganze Eisenbahnzüge arbeitsloser Textilarbeiter des Erzgebirges sind zu Eisenbahn- und Erdarbeiten nach Lille , nach Belgien und anderwärts hingegangen. In den Magde­ burger Munitionsfabriken, den chemischen Fabriken Deutsch­ lands , in den Pulverfabriken, in Bergwerken und in Labora­torien, Taback-, Zucker- und Schokoladefabriken sind Textil­arbeiter und-arbeiterinnen untergebracht aus Barmen, Chemnitz , Crimmitschau , Eisenach , Eibenstock , Gera , Glauchau , Greiz , Hof, Huckeswagen, Jahnsdorf , Kulmbach , Lahr in Baden , Limbach, Lugau , Leipzig , Mylau , Meerane , Mül­ hausen im Elsaß , Sommerfeld, Spremberg usw. Die weit­aus meisten Textilarbeiter und-arbeiterinnen sind leider nicht in der Lage, den Wohnort zu wechseln und andere Ar­beit anzunehmen. Sie sind aus vielen Gründen gefesselt an die heimatliche Scholle und sehen nun mit großer Sorge dem kommenden Winter entgegen. Die Unternehmer kommen lei­der vielfach ihrer Pflicht nicht nach, soweit in ihren Kräften steht, den Arbeitern Zuschüsse zum verdienten Lohn zu zah­len. In großen Bezirken gibt es keinen Pfennig. Man braucht sich nur in manchen Gegenden des Königreichs Sachsen umzuschauen, und man findet das Gesagte bestätigt. Die Unterstützungen aus öffentlichen Mitteln sind noch durchaus ungenügend. Ihre Sätze bewegen sich bis jetzt fast immer auf der Höhe der für normale Zeiten vorgesehenen Arbeitslosenunterstützung. Außer für das badische Oberland ist jetzt, zwei Monate nach Beginn der Produktions- und Verdiensteinschränkung, noch nirgends eine einheitliche Rege­lung erzielt. Alles ist noch immer im Werden. Wir enthalten uns deshalb eines Urteils und warten ab. Mögen Reich, Staat und Gemeinden den Ruf der Textilarbeiterschaft nach schleuniger und ausgiebiger Hilfe nicht ungehört verhallen lassen. Hermann Jäckel, Mitglied des Reichstags, Berlin . Die Fortführung der Mutterschaftsfürsorge. Von Fr. Kleeis. Die Sozialdemokratie kämpft seit ihrem Bestehen für hin­reichende Mutterschaftsfürsorge, zu der auch die unentgelt­liche Geburtshilfe gehört. Immer, und noch zuletzt bei der Beratung der Reichsversicherungsordnung, wurde diese For­derung mit dem Einwand abgelehnt, daß die entstehenden Kosten unerschwinglich seien. Da brach der Krieg aus. Man entdeckte nun plötzlich, wie wertvoll es namentlich auch in Hinblick auf die Zukunft ist, daß ein Volk zahlreiche Nach­kommenschaft besitzt. So wurde aus den Nöten des Krieges, nicht aus ethischen Erwägungen die Reichswochenhilfe ge­boren. Durch drei Bundesratsverordnungen ist festgelegt worden, daß bestimmte Mindestsätze einer Wochenbeihilfe allen Wöchnerinnen zu gewähren sind, sofern diese selbst als Mitglied einer Krankenkasse angehören oder der Vater ihres Kindes Kriegsdienste leistet und dieser Kranken­kassenmitglied war oder minderbemittelt ist. Die Wochen­hilfe besteht in freier Behandlung der Schwangerschafts­beschwerden, freier Geburtshilfe und unentgeltlicher Liefe­rung der nötigen Arzneien und Heilmittel oder in einer Bar­entschädigung für diese Leistungen in der Hohe von 10 und 25 Mk., ferner in einem Wochengeld von 7 Mk. pro Woche auf die Dauer von 8 Wochen und in einem Stillgeld von 3,50 Mk. pro Woche auf die Dauer von 12 Wochen. Wenn die Wöchnerin oder der Vater des Kindes einer Krankenkasse angehörte, so wird die Wochenhilfe von dieser gewährt, andernfalls von denLieferungsverbänden", die die Unter­stützung für die Familien der Kriegsteilnehmer festsetzen. So­fern die Krankenkassen zu diesen Leistungen für die selbst­versicherten Wöchnerinnen nicht ohnehin verpflichtet sind und sofern es sich um Kriegerfrauen handelt, erhalten sie die ent­stehenden Aufwendungen vom Reiche zurückerstattet: für die