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Die Gleichheit

der Öffentlichkeit gegen ihre Leiden zu wehren, statt sie in der engen Häuslichkeit in schweigender Geduld zu tragen. Die Genos­finnen halten es für wichtiger, die Frauen des arbeitenden Volkes aufzuklären, damit diese soziale Fürsorgemaßregeln gegen Teue­rung und Elend fordern, als daß sie selbst ihre ganze Kraft an die Mitarbeit in Fürsorgeeinrichtungen setzen. Sie beabsichtigen mit der Art der geschilderten Agitation fortzufahren. In jeder Woche wollen sie ein Flugblatt über eine aktuelle Frage verfassen, dessen Inhalt auf den Märkten in kurzer Rede erläutert und das zum Schluß verbreitet werden soll. Die bevorstehende Verfas sungsänderung im Parlament legt den Genossinnen die Verpflichtung zu eifrigiter Betätigung auf. Der Entwurf zur Ver­fassungsreform sieht die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für die Männer vor. Die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen haben gelernt: sie fordern jetzt ebenfalls das allgemeine Frauenwahlrecht. Natürlich lautet die Forderung der sozialdemokratischen Partei gleiches, vol: es, unbeschränktes Wahlrecht für beide Gesch I e ch te r. Nun kommt es aber darauf an, daß die Partei der Forderung entsprechend arbeitet und kämpft, und daß die breitesten Frauenmassen diesen Kampf als eine Sache unter­stützen, die ihrem Wohl und ihrem Interesse dient. So erwächst den Genossinnen eine zwiefache Aufgabe. Sie müssen unter den Frauen des werktätigen Boltes die Erkenntnis von dem Wert und der Bedeutung des Wahlrechts verbreiten, müssen Kämpferinnen­scharen für das Wahlrecht werben. Sie müssen gleichzeitig inner­halb der sozialdemokratischen Partei die stärksten treibenden Kräfte sein, daß gelegentlich der Verfassungsreform für das allgemeine Frauenwahlrecht mit der gleichen Energie und Ausdauer gekämpft wird, wie für das allgemeine Männerwahlrecht. Zum selbstver­ständlichen Gemeingut aller Genossen muß die überzeugung wer­den, daß für die sozialdemokratische Partei das Frauenwahlrecht, nicht nur eine wichtige grundsätzliche Forderung ist, sondern gleich­zeitig auch eine praktische Notwendigkeit von größter Tragweite.

Frauenarbeit.

Franen im Eisenbahndienst. Als echtester Sohn der bürger­lichen Ordnung zeitigt der gegenwärtige Weltkrieg in vieler Hin­sicht die widerspruchsvollsten Erscheinungen. So auch betreffs der Frauenarbeit. Der Krieg bewirkt, daß es Scharen arbeitsloser und brotloser Frauen in der Textilindustrie, der Hutfabrikation, dem häuslichen Dienst und anderen Erwerbszweigen gibt, die seit langem als besondere Gebiete der Frauenarbeit gelten. Gleichzeitig hat er zur Folge, daß die grauen immer zahlreicher in Berufen Be­schäftigung finden, die seither in erster Linie oder ausschließlich Betätigungsfeld der Männer waren. Die Verwendung der Frauen hat so unter anderem rasch im Eisenbahndienst zugenom men. Der Weltkrieg stellt steigende Anforderungen an die Leistun­gen der Eisenbahnen, während er auf der anderen Seite das zur Verfügung stehende Personal vermindert. Nicht nur, daß ein be­trächtlicher Teil davon unter die Waffen gerufen worden ist, müssen Beamte und Arbeiter nach Westen und Osten in die eroberten Ge­biete abgegeben werden. Im ersten Halbjahr des Krieges war dem Personalmangel leicht abzuhelfen. Es gab genug männliche Ar­beitslose, die in Brivatbetrieben keine Beschäftigung erhalten konn­ten. Das Frühjahr 1915 brachte den Männern reichlichere Beschäf­tigungsgelegenheit und neue Einberufungen zum Heeresdienst. Die Eisenbahnverwaltungen hatten nun große Schwierigkeiten, Ersaz für die abzugebenden Beamten und Arbeiter zu beschaffen. Ihrer Nachfrage stand fast kein geeignetes Angebot gegenüber, denn auch der Preis der gesuchten Arbeitskräfte spielte bei der Nachfrage eine Nolle. In dieser Lage versuchten es die Eisenbahnverwaltungen in größerem Maßstab mit der Einstellung von Frauen. Wegweisend ging die preußisch- hessische Eisenbahnverwaltung voran. Sie verwendete Frauen zunächst für den Wagenreinigungs­dienst. Da die weiblichen Arbeitskräfte sich bewährten, stellte sie daraufhin solche auch für den Bahnunterhaltungsdienst ein. Nacheinander wurden den Frauen erschlossen: die leichteren Arbeiten, wie Ausgrafungen, Herrichten der Böschungen usw., der Bahnsteigsperidienst, der Bureau-, Telegraphen- und Abfertigungs­dienst und die Verrichtungen der Hilfsarbeiter in den Werkstätten. Die befriedigenden Erfahrungen ermunterten die übrigen Gifen­bahnverwaltungen, ebenfalls Frauen zu beschäftigen. Heute treffen wir weibliche Arbeitskräfte bei allen deutschen Eisenbahnverwal­tungen und auf den verschiedensten Dienstgebieten. In Baden allein sind zum Beispiel 400 bis 500 Frauen im Eisenbahndienst tätig. Alles in allem machen im ganzen Reiche die weiblichen Ar­beitskräfte im Eisenbahndienst jedoch noch kaum 1 Prozent des Gesamtpersonals aus.

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Es verdient Beachtung, daß in der bürgerlichen Tagespreffe einer weiteren Vermehrung der weiblichen Eisenbahner das Wort geredet wird. Es heißt dort, daß die Verwaltungen 10 bis 15 Pro­zent des Gesamtpersonals aus Frauenkreisen rekrutieren könnten. Wer vor zwei Jahren solch umstürzlerische" Forderung erhoben hätte! Den Frauen könnte, so meint man, der Dienst der Bug­schaffner, der Bremser, der Bahnhof  - und Güterbodenarbeiter an­vertraut werden; ferner wäre ihre umfangreichere Verwendung möglich im Bureaudienst, namentlich bei den Direktionen und In­spektionen, im Abfertigungsdienst auf Kleinen Bahnhöfen und im Werkstättendienst. Was den letteren anbelangt, so wird die Ansicht vertreten, daß nicht nur die gesamten Verrichtungen der Hilfs­arbeiter Frauen übertragen werden könnten, sondern daß deren Verwendung auch bei der Maschinenarbeit mit Nugen mög­lich wäre, wie die Erfahrungen in der Privatindustrie bewiesen hätten. Als häufige Vorbedingung für die Beschäftigung von Frauen bei der Maschinenarbeit wird eine geänderte Arbeitsteilung ge­nannt. Die schwierigeren Verrichtungen sollten gelernten Arbeitern übertragen werden, deren Leistungsfähigkeit dadurch eine Steige­rung erfahren würde, die Nebenarbeiten dagegen sollten den Frauen zufallen.

Man befürwortet in der bürgerlichen Tagespresse eine einheit. liche Regelung der Verwendung weiblicher Arbeitskräfte im Eisen­bahndienst für das ganze Reich. Gegenwärtig sind bei manchen Dienststellen sehr viele Frauen beschäftigt, bei anderen gleichartigen Stellen sehr wenig. Es scheint, daß untergeordnete Organe über die Einstellung weiblicher Arbeitskräfte entscheiden. Diesem Stand der Dinge gegenüber wird eine Bestimmung gefordert, wieviel Pro­zente der Gesamtstellenzahl in den einzelnen Dienstzweigen mit Frauen besetzt werden könnten. Die Festsetzung der Prozente sollte durch eine Kommission erfolgen, in der die verschiedenen Eisen­bahnverwaltungen und die Eisenbahnabteilung des großen Ge neralstabs vertreten wären. Auf diese Weise könnten die Eisen­bahnverwaltungen rechtzeitig für die Einstellung und Einarbeitung einer genügenden Zahl tüchtiger Aushelferinnen" Sorge tragen. Als dreifacher Nußen der vermehrten Verwendung weiblicher Ar beitskräfte wird hervorgehoben: Es wird dadurch zahlreiches Per­sonal für den Eisenbahndienst in den besezten Gebieten und teil­weise auch für den Dienst mit der Waffe frei, es erhalten zahlreiche bedürftige Frauen lohnenden Verdienst, wodurch die Fürsorge­tassen entlastet werden, und endlich erhalten die Eisenbahnverwal­tungen billige Arbeitskräfte."

Diese Begründung zeigt, daß in dem vorliegenden Falle wieder einmal die Bedürfnisse und Wünsche der kapitalistischen   Ordnung und ihrer Einrichtungen Schrittmacher für das Vordringen der Frauen in neue Berufe sind. Man hat ein feines Gefühl für die Vorteile, die Krieg und Militarismus, Fürsorgekassen und Eisen­bahnverwaltungen, alias die Staatstassen, von der Neuerung haben können. Aber man fragt nicht danach, ob Frauen bei den Arbeits­bedingungen im Eisenbahndienst fulturwürdig, gesund an Leib und Seele zu bestehen und ihre Mutterpflichten zu erfüllen vermögen. Ja mehr noch: man gibt die Rücksicht auf das Wohl der weiblichen Arbeitskräfte von vornherein preis, indem man ihre Verwendung der Billigkeit halber befürwortet. Als ob der Sparfinn" der Eisen­bahnverwaltungen in puneto 2Löhne und Gehälter nicht sprichwört­lich wäre und sich jetzt schon bei der Bezahlung der Frauen glän­zend" bewährte! Bekanntlich erhalten diese von der preußisch hessischen und der badischen Eisenbahnverwaltung beschäftigten Frauen nur bis zu drei Viertel der Beträge, die die Männer er­hielten, an deren Stelle sie getreten sind. Je sicherer wir unter dem Druck der Lage mit der zunehmenden Einstellung weiblicher Ar­beitskräfte auch im Eisenbahndienst rechnen müssen, um so ent­schiedener müssen wir diese Forderungen verfechten: Ohne Unter­schied des Geschlechts gleichen Lohn für gleiche Leistung. Arbeits­bedingungen, die die nötige Nüdsicht nehmen auf die Frau als Mutter, die gesunde und tüchtige Nachkommen gebären, pflegen und erziehen soll. Unbeschränktes und gesichertes Koalitionsrecht, damit die weiblichen Berufstätigen im Eisenbahndienst durch die Ge­werkschaftsorganisationen die Arbeits- und Lebensbedingungen berbessern können. Volles politisches Recht, damit sie die öffent­lichen Zustände zum Wohle des arbeitenden Volkes beeinflussen und für die Befreiung der Arbeit zu kämpfen vermögen.

Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Als Staatsinspektorin für das Bildungswesen in Idaho  ist Miß Mac Coy erwählt worden. Die Frauen bekleiden das wich tige Amt in dem genannten Unionstaate seit dieser 1896 das poli­tische Frauenwahlrecht eingeführt hat.