Nr. 4
-
Die Gleichheit
der Öffentlichkeit gegen ihre Leiden zu wehren, statt sie in der engen Häuslichkeit in schweigender Geduld zu tragen. Die Genosfinnen halten es für wichtiger, die Frauen des arbeitenden Volkes aufzuklären, damit diese soziale Fürsorgemaßregeln gegen Teuerung und Elend fordern, als daß sie selbst ihre ganze Kraft an die Mitarbeit in Fürsorgeeinrichtungen setzen. Sie beabsichtigen mit der Art der geschilderten Agitation fortzufahren. In jeder Woche wollen sie ein Flugblatt über eine aktuelle Frage verfassen, dessen Inhalt auf den Märkten in kurzer Rede erläutert und das zum Schluß verbreitet werden soll. Die bevorstehende Verfas sungsänderung im Parlament legt den Genossinnen die Verpflichtung zu eifrigiter Betätigung auf. Der Entwurf zur Verfassungsreform sieht die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für die Männer vor. Die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen haben gelernt: sie fordern jetzt ebenfalls das allgemeine Frauenwahlrecht. Natürlich lautet die Forderung der sozialdemokratischen Partei gleiches, vol: es, unbeschränktes Wahlrecht für beide Gesch I e ch te r. Nun kommt es aber darauf an, daß die Partei der Forderung entsprechend arbeitet und kämpft, und daß die breitesten Frauenmassen diesen Kampf als eine Sache unterstützen, die ihrem Wohl und ihrem Interesse dient. So erwächst den Genossinnen eine zwiefache Aufgabe. Sie müssen unter den Frauen des werktätigen Boltes die Erkenntnis von dem Wert und der Bedeutung des Wahlrechts verbreiten, müssen Kämpferinnenscharen für das Wahlrecht werben. Sie müssen gleichzeitig innerhalb der sozialdemokratischen Partei die stärksten treibenden Kräfte sein, daß gelegentlich der Verfassungsreform für das allgemeine Frauenwahlrecht mit der gleichen Energie und Ausdauer gekämpft wird, wie für das allgemeine Männerwahlrecht. Zum selbstverständlichen Gemeingut aller Genossen muß die überzeugung werden, daß für die sozialdemokratische Partei das Frauenwahlrecht, nicht nur eine wichtige grundsätzliche Forderung ist, sondern gleichzeitig auch eine praktische Notwendigkeit von größter Tragweite.
Frauenarbeit.
Franen im Eisenbahndienst. Als echtester Sohn der bürgerlichen Ordnung zeitigt der gegenwärtige Weltkrieg in vieler Hinsicht die widerspruchsvollsten Erscheinungen. So auch betreffs der Frauenarbeit. Der Krieg bewirkt, daß es Scharen arbeitsloser und brotloser Frauen in der Textilindustrie, der Hutfabrikation, dem häuslichen Dienst und anderen Erwerbszweigen gibt, die seit langem als besondere Gebiete der Frauenarbeit gelten. Gleichzeitig hat er zur Folge, daß die grauen immer zahlreicher in Berufen Beschäftigung finden, die seither in erster Linie oder ausschließlich Betätigungsfeld der Männer waren. Die Verwendung der Frauen hat so unter anderem rasch im Eisenbahndienst zugenom men. Der Weltkrieg stellt steigende Anforderungen an die Leistungen der Eisenbahnen, während er auf der anderen Seite das zur Verfügung stehende Personal vermindert. Nicht nur, daß ein beträchtlicher Teil davon unter die Waffen gerufen worden ist, müssen Beamte und Arbeiter nach Westen und Osten in die eroberten Gebiete abgegeben werden. Im ersten Halbjahr des Krieges war dem Personalmangel leicht abzuhelfen. Es gab genug männliche Arbeitslose, die in Brivatbetrieben keine Beschäftigung erhalten konnten. Das Frühjahr 1915 brachte den Männern reichlichere Beschäftigungsgelegenheit und neue Einberufungen zum Heeresdienst. Die Eisenbahnverwaltungen hatten nun große Schwierigkeiten, Ersaz für die abzugebenden Beamten und Arbeiter zu beschaffen. Ihrer Nachfrage stand fast kein geeignetes Angebot gegenüber, denn auch der Preis der gesuchten Arbeitskräfte spielte bei der Nachfrage eine Nolle. In dieser Lage versuchten es die Eisenbahnverwaltungen in größerem Maßstab mit der Einstellung von Frauen. Wegweisend ging die preußisch- hessische Eisenbahnverwaltung voran. Sie verwendete Frauen zunächst für den Wagenreinigungsdienst. Da die weiblichen Arbeitskräfte sich bewährten, stellte sie daraufhin solche auch für den Bahnunterhaltungsdienst ein. Nacheinander wurden den Frauen erschlossen: die leichteren Arbeiten, wie Ausgrafungen, Herrichten der Böschungen usw., der Bahnsteigsperidienst, der Bureau-, Telegraphen- und Abfertigungsdienst und die Verrichtungen der Hilfsarbeiter in den Werkstätten. Die befriedigenden Erfahrungen ermunterten die übrigen Gifenbahnverwaltungen, ebenfalls Frauen zu beschäftigen. Heute treffen wir weibliche Arbeitskräfte bei allen deutschen Eisenbahnverwaltungen und auf den verschiedensten Dienstgebieten. In Baden allein sind zum Beispiel 400 bis 500 Frauen im Eisenbahndienst tätig. Alles in allem machen im ganzen Reiche die weiblichen Arbeitskräfte im Eisenbahndienst jedoch noch kaum 1 Prozent des Gesamtpersonals aus.
31
Es verdient Beachtung, daß in der bürgerlichen Tagespreffe einer weiteren Vermehrung der weiblichen Eisenbahner das Wort geredet wird. Es heißt dort, daß die Verwaltungen 10 bis 15 Prozent des Gesamtpersonals aus Frauenkreisen rekrutieren könnten. Wer vor zwei Jahren solch umstürzlerische" Forderung erhoben hätte! Den Frauen könnte, so meint man, der Dienst der Bugschaffner, der Bremser, der Bahnhof - und Güterbodenarbeiter anvertraut werden; ferner wäre ihre umfangreichere Verwendung möglich im Bureaudienst, namentlich bei den Direktionen und Inspektionen, im Abfertigungsdienst auf Kleinen Bahnhöfen und im Werkstättendienst. Was den letteren anbelangt, so wird die Ansicht vertreten, daß nicht nur die gesamten Verrichtungen der Hilfsarbeiter Frauen übertragen werden könnten, sondern daß deren Verwendung auch bei der Maschinenarbeit mit Nugen möglich wäre, wie die Erfahrungen in der Privatindustrie bewiesen hätten. Als häufige Vorbedingung für die Beschäftigung von Frauen bei der Maschinenarbeit wird eine geänderte Arbeitsteilung genannt. Die schwierigeren Verrichtungen sollten gelernten Arbeitern übertragen werden, deren Leistungsfähigkeit dadurch eine Steigerung erfahren würde, die Nebenarbeiten dagegen sollten den Frauen zufallen.
Man befürwortet in der bürgerlichen Tagespresse eine einheit. liche Regelung der Verwendung weiblicher Arbeitskräfte im Eisenbahndienst für das ganze Reich. Gegenwärtig sind bei manchen Dienststellen sehr viele Frauen beschäftigt, bei anderen gleichartigen Stellen sehr wenig. Es scheint, daß untergeordnete Organe über die Einstellung weiblicher Arbeitskräfte entscheiden. Diesem Stand der Dinge gegenüber wird eine Bestimmung gefordert, wieviel Prozente der Gesamtstellenzahl in den einzelnen Dienstzweigen mit Frauen besetzt werden könnten. Die Festsetzung der Prozente sollte durch eine Kommission erfolgen, in der die verschiedenen Eisenbahnverwaltungen und die Eisenbahnabteilung des großen Ge neralstabs vertreten wären. Auf diese Weise könnten die Eisenbahnverwaltungen rechtzeitig für die Einstellung und Einarbeitung einer genügenden Zahl tüchtiger Aushelferinnen" Sorge tragen. Als dreifacher Nußen der vermehrten Verwendung weiblicher Ar beitskräfte wird hervorgehoben:„ Es wird dadurch zahlreiches Personal für den Eisenbahndienst in den besezten Gebieten und teilweise auch für den Dienst mit der Waffe frei, es erhalten zahlreiche bedürftige Frauen lohnenden Verdienst, wodurch die Fürsorgetassen entlastet werden, und endlich erhalten die Eisenbahnverwaltungen billige Arbeitskräfte."
Diese Begründung zeigt, daß in dem vorliegenden Falle wieder einmal die Bedürfnisse und Wünsche der kapitalistischen Ordnung und ihrer Einrichtungen Schrittmacher für das Vordringen der Frauen in neue Berufe sind. Man hat ein feines Gefühl für die Vorteile, die Krieg und Militarismus, Fürsorgekassen und Eisenbahnverwaltungen, alias die Staatstassen, von der Neuerung haben können. Aber man fragt nicht danach, ob Frauen bei den Arbeitsbedingungen im Eisenbahndienst fulturwürdig, gesund an Leib und Seele zu bestehen und ihre Mutterpflichten zu erfüllen vermögen. Ja mehr noch: man gibt die Rücksicht auf das Wohl der weiblichen Arbeitskräfte von vornherein preis, indem man ihre Verwendung der Billigkeit halber befürwortet. Als ob der„ Sparfinn" der Eisenbahnverwaltungen in puneto 2Löhne und Gehälter nicht sprichwörtlich wäre und sich jetzt schon bei der Bezahlung der Frauen glänzend" bewährte! Bekanntlich erhalten diese von der preußisch hessischen und der badischen Eisenbahnverwaltung beschäftigten Frauen nur bis zu drei Viertel der Beträge, die die Männer erhielten, an deren Stelle sie getreten sind. Je sicherer wir unter dem Druck der Lage mit der zunehmenden Einstellung weiblicher Arbeitskräfte auch im Eisenbahndienst rechnen müssen, um so entschiedener müssen wir diese Forderungen verfechten: Ohne Unterschied des Geschlechts gleichen Lohn für gleiche Leistung. Arbeitsbedingungen, die die nötige Nüdsicht nehmen auf die Frau als Mutter, die gesunde und tüchtige Nachkommen gebären, pflegen und erziehen soll. Unbeschränktes und gesichertes Koalitionsrecht, damit die weiblichen Berufstätigen im Eisenbahndienst durch die Gewerkschaftsorganisationen die Arbeits- und Lebensbedingungen berbessern können. Volles politisches Recht, damit sie die öffentlichen Zustände zum Wohle des arbeitenden Volkes beeinflussen und für die Befreiung der Arbeit zu kämpfen vermögen.