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Die Gleichheit

Gleiches Gehalt für gleiche Leistung ohne Unterschied des Geschlechts für die Staatsangestellten in Illinois  . Die höchste Verwaltungsbehörde des Staates Illinois   hat im August einen sehr wichtigen Beschluß gefaßt. Alle Frauen, die an staatlichen Institu­tionen tätig sind, sollen die gleiche Bezahlung wie die männlichen Angestellten erhalten, wenn sie die gleichen Pflichten wie diese er­füllen. Die Maßregel kommt rund 3500 Frauen und Mädchen zu­gute. Der Vorsigende des staatlichen Verwaltungsdepartements er klärte in der entscheidenden Sizung: Es ist kein Grund vorhan­den, warum eine Krankenpflegerin in einem staatlichen Krankenhaus nicht das nämliche Gehalt beziehen soll wie der Krankenpfleger, der die nämliche Arbeit leistet. Das sollte schon längst anerkannt wor­den sein." Zusammen mit der Neuerung sind noch andere günstige Bestimmungen beschlossen worden, die gleicherweise für alle weib lichen wie männlichen Staatsangestellten gelten sollen. Es wurde ein Minimumgehalt festgelegt, das nach einer festen Staffelung steigt, die Gewährung eines Ruhetags in der Woche und jährlicher Ferien, ferner eine wöchentliche Abwechslung des Personals bei Tag­und Nachtschichten in Berufen, wo Nachtarbeit besteht. Die letztere Verfügung zweckt namentlich auf eine Verbesserung in der Lage der Krankenpfleger und Pflegerinnen ab, die bisher nur monatliche Abwechslung zwischen Tag und Nachttätigkeit hatten. Der aner­tennenswerte sozialpolitische Fortschritt wird mit dem Umstand zu­geschrieben, daß die Frauen im Staate Jllinois das politische Wahl­recht befizen, und daß die Frauenorganisationen eine lebhafte Agi­tation für die neuen Bestimmungen entfaltet haben. Es wurde dabei mit Recht betont, daß der Grundsatz der gleichen Entlohnung gleiche Leistungen für beide Geschlechter auch im Interesse der Männer ver wirklicht werden müsse. Er verhüte, daß der leistungstüchtige Mann durch die billigere weibliche Arbeitskraft verdrängt werde.

Soziale Gesetzgebung.

Das franzöfifche Minimallohugesetz für Heimarbeiterinnen. Der französische Senat hat das Minimallohngesez für Heimarbeiterinnen einstimmig angenommen. Er hat jedoch eine Reihe von Verbesserungen beschlossen, die den Charakter des Gesetzes selbst nicht ändern. Da die Kammer das Gesetz seinerzeit gleichfalls einstimmig angenommen hat, ist es außer Frage, daß sie den Senattert unverändert annehmen wird, und daß dieser als endgültig betrachtet werden kann.

Das Gesetz ist anwendbar auf alle Arbeiterinnen, die zu Hause Kleider, Hüte, Schuhe, Wäsche jeder Art, Stidereien, Spißen, Fe­dern, künstliche Blumen anfertigen und jede andere Art von Ar­beiten ausführen, die zur Bekleidungsindustrie gehören. Das Ge­setz schreibt genaue Kontrollbestimmungen vor über die Buchfüh rung der Arbeitsausgabe, der Namen und Adressen der beschäf­tigten Heimarbeiterinnen, der gezahlten Löhne, der zu leistenden Butaten, der auszuhängenden Lohnlisten und der Lohnbücher, und zwar sowohl den Fabrikanten wie allen Mittelspersonen. Die Ar­beitslöhne müssen derart sein,... daß sie einer Arbeiterin von mit­telmäßiger Geschicklichkeit ermöglichen, in zehn Stunden einen Lohn zu verdienen, der gleich einem festgesetzten Minimum ist...." Diese Minimallöhne werden von paritätisch zusammengesetzten Kommis­sionen bestimmt Arbeitsräten oder besonderen Berufskommis­fionen und zwar auf Grund der in den Werkstätten gezahlten Durchschnittslöhne der gleichen oder, wo nur Hausarbeit besteht, verwandter Berufe. Alle drei Jahre muß eine Revision des Mini­mallohnes vorgenommen werden.

Unter den gleichen Bedingungen wird, sei es auf Verlangen der Regierung oder einer Berufsorganisation, ein Tarif ausgearbeitet, der die durchschnittliche Zeitdauer für die Ausführung der verschie­denen Arbeiten nach Stunden bemißt. Diese Tarife werden bei Aufstellung der Minimallöhne als Grundlage genommen. Bei ge­werblichen Streitigkeiten wie bei Gerichtsverhandlungen wegen Vergehens gegen das Gesetz wird auf Grund dieser Tarife und Mi­nimallöhne entschieden. Gegen die Tarifsäze wie gegen die Mini­mallöhne kann innerhalb von drei Monaten bei einer paritätischen Zentralfommission appelliert werden, und zwar von den Regie­rungsorganen, den Interessenten oder einer Berufsorganisation. Zur Erhebung gerichtlicher Klage wegen Nichtbeachtung des Ge­setzes sind außer den Interessenten und den Regierungsorganen noch Körperschaften berechtigt, die dazu von der Regierung auto­risiert sind( zum Beispiel Heimarbeiterschußkommissionen) und Be­rufsvereine, auch wenn diese nur aus Werkstubenarbeitern zu­sammengesetzt sind, und ohne daß die Vereine den Nachweis zu liefern brauchen, daß ihre Mitglieder geschädigt werden. Heim­arbeiter, die niedrigere Löhne erhalten als die für Heimarbeite­rinnen festgesetzten, können die Anwendung der Tarife für sich ver­Tangen. Für jede sachliche Nichtbeachtung des Gesetzes ist eine

Nr. 4

Geldstrafe von 5 bis 15 Franken bis zu einer Gesamtsumme von 500 Franken und im Wiederholungsfalle von 16 bis 100 Franken bis zu einer Gesamtsumme von 3000 Franken vorgesehen. Auf Antrag des Arbeitsministers und nach Anhörung des Obersten Ar­beitsrates kann durch Dekret des Staatsrates das Gesetz auch auf andere Berufe ausgedehnt werden.

Dienstbotenfrage.

Kriegerfrauen und Arbeitereltern schüßt eure schulentlassenen Töchter! Kürzlich wurden durch große Inserate im Fränkischen Kurier", Nürnberg  , die Hausfrauen aufgefordert, sich bei einer Kommission zu melden, die vom Hausfrauenbund und dem Bezirkslehrerinnenverein gebildet worden ist. Es sollen durch die Kommission schulentlassene Mädchen als unbezahlte und geringbezahlte häusliche Arbeitskräfte vermittelt werden. Die Adressen schulentlassener Mädchen wurden in den Schulen gesam­melt, also unter Aufsicht der Behörden. Die Mütter will man durch die Versicherung locken, die schulentlassenen Mädchen würden als Lehrmädchen" in der Hauswirtschaft ausgebildet werden. Vorge­sehen ist eine Lehrzeit von einem Jahre. Die ersten drei Monate gelten als Probezeit, dem Lehrmädchen" wird dafür keine Ent­schädigung gewährt, es ist aber verpflichtet, bei Antritt- sagen wir das richtige Wort seiner Dienststelle zwei Paar Schuhe nebst Schürzen usw. mitzubringen. Hat das Lehrmädchen" in den drei Monaten Probezeit seine Sachen glücklich abgerissen, so erhält es pro Monat 4 Mt. Entschädigung. Wohl damit wenigstens ein Paar Schuhe gesohlt werden können. Solche offenkundige Ausnutzung Jugendlicher zugunsten des Geldbeutels der Herrschaften will man obendrein in den Mantel der Wohltätigkeit hüllen!

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Es mag sein, daß die Not der Zeit manche Mütter und Eltern gezwungen hat, ihre Töchter ohne Lohnanspruch aus dem Hause zu geben. Denn von Lehrstellen kann in den meisten Fällen gar keine Rede sein: die Damen wissen ja nur ganz selten, wie ein Zimmer regelrecht zu reinigen ist, geschweige denn wie Speisen richtig zu­bereitet werden. Oder können die Lehrmeisterinnen" durch ein Beugnis, ein bestandenes Examen nachweisen, daß ihre Leistungen sie zur Hauswirtschaftlichen   Ausbildung von schulentlassenen Mäd­chen berechtigen? Allein auf die Ausbildung der jungen Mädchen temmt es auch gar nicht an. Hauptzweck ist, das langersehnte Ziel zu erreichen, ohne Entschädigung oder gegen spottniederen Lohn jugendliche Arbeitskraft recht allgemein ausnüßen zu können. Im Dienstbotenberuf wird angefangen und im Gewerbe wird sich dann die Sache auch schon machen lassen.

Daß das Vorgehen des Hausfrauenbundes und des Bezirkslehre. rinnenvereins unter feinen Umständen zu billigen ist, werden Hausfrauen mit gesundem Rechtsempfinden zugeben. Verständige Herrschaften wissen ganz genau, daß bei einer Lehrzeit" von einem Jahre keine hauswirtschaftliche Künstlerin ausgebildet werden kann, und daß die schulentlassenen Mädchen vielmehr in der Hauptsache zu Neben oder Aschenbrödelarbeit verwendet werden. Dafür er­hielten fie auch bisher schon keine allzu üppige Entlohnung, gewöhn­lich 5 bis 9 Mt. im Monat. Hatten sie eine gar zu derbe oder geizige Hausfrau erwischt, so stand ihnen wenigstens bis zum ersten des nächsten Monats die Tür offen. Nun aber sollen die Schulentlasse­nen gleich ein ganzes Jahr gebunden werden, und das zuerst um­sonst, dann gegen ganz niedrige Entlohnung. Es ist wirklich grau­sam, die Not des Volkes in diesen schweren Zeiten so dem Besitz dienstbar machen zu wollen. Kein Wunder ist es, daß jezt in Nürn­ berg   Hunderte von Dienstmädchen stellenlos herumlaufen. Der städtische Arbeitsnachweis kann ihnen keine Stellen vermitteln. Die Herrschaften benötigen keine bezahlten Arbeitskräfte, weil ihnen unbezahlte in großer Zahl aufgedrungen werden. Auf frühere pein­liche Bünktlichkeit im Haushalt verzichtet man, dafür erspart man den Lohn für ein tüchtiges Mädchen und vor allem auch für die Puzfrau. Daß diese arbeitslosen Pubfrauen und Dienstmädchen durch die Stadt erhalten werden müssen, kümmert den Frauen­erwerbsverein und den Bezirkslehrerinnenverein nicht. Hauptsache bleibt hier, das Prinzip" durchzuführen, endlich den besseren Haus­wirtschaften unbezahlte jugendliche Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Aufgabe des Stadtmagistrats wäre es, mit Festigkeit einzu­greifen und das gemeinschädliche Treiben zu verbieten. Vor allem aber müßten diesem die Kriegerfrauen und Arbeitereltern entgegen­treten. Sie dürften ihre Töchter nicht als unbezahlte Arbeitskräfte fremden Leuten in die Hand geben, und wenn sie den betreffen­den Vertrag schon unterschrieben haben, sollten sie ihn rückgängig machen. H. G.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. tn Stuttgart  .