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Die Gleichheit

Die militärische Jugendvorbereitung.

Von Mathilde Wurm .

1. Die Erlasse.

Seit Kriegsausbruch vergeht kein Tag, ohne daß die bür­gerliche Presse die militärische Jugenderziehung als notwen­dige Folge des Krieges fordert.

Zu dieser Forderung gab den Auftakt der bekannte Drei­ministererlaß vom 16. August 1914, unterzeichnet vom Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten, vom Kriegsminister und dem Minister des Innern.

Der Erlaß betrifft die Jugend vom 16. Jahre an, die nötigenfalls zu militärischem Hilfs- und Arbeitsdienst nach Maßgabe ihrer förperlichen Kräfte herangezogen werden soll". Es wird als Ehrenpflicht" erwartet, daß alle, die bis jetzt den Veranstaltungen für die sittliche und körper­liche Kräftigung ferngeblieben sind", sich freiwillig ein­finden werden. Es folgen die Richtlinien, deren letzter Satz ganz besonders Zweck und Ziel der militärischen Jugendvorbereitung charakterisiert:

In den Abendstunden hat einfacher theoretischer Unterricht über Feld-, Wach- und Lagerdienst stattzufinden. Vor allen Dingen aber ist auf die Herzen der Jugend durch Erzählung von den Großtaten der Väter einzuwirken, durch Mitteilung von Kriegsnachrichten der Born gegen den Feind zu entfachen, der zumal im Osten, wo er deutschen Boden betritt, alle Dörfer in Flammen aufgehen läßt und die Einwohner vertreibt oder tötet.

Schon am 11. August war der Aufruf des Generalfeld­marschalls v. d. Goltz an die deutsche Jugend" erschienen, in dem mitgeteilt wurde: Während der Dauer des Krieges tritt der Jungdeutschlandbund vorübergehend in die allge­meine Neuordnung der Jugendkräfte über, die in nächster Beit von höherer Stelle aus getroffen wird" usw. Daß Herr v. d. Goltz schon am 11. verkünden konnte, was ,, nächstens" geschehen werde, hat bei vielen anderen ebenso vaterlands­treuen Bereinen arge Verstimmung hervorgerufen.

Ein Armeekorpsbezirk wurde noch mit besonderen ,, Rich t- Iinien" versehen, in denen es unter anderem heißt: Stammrolle. Gleich nach ihrer Einstellung( in die Jugend­

kompagnie) werden die Freiwilligen in die Stammrolle auf­genommen.

Ehrenbezeigungen. Bei den nahen Beziehun gender Jugendwehr zum Heere und bei ihrer Un­terstellung unter das stellvertretende General­tommando ist es unerläßlich, daß die Freiwilligen, sobald sie als solche durch die Armbinde kenntlich sind, die Offiziere des Heeres und der Marine grüßen. Folgen Bestimmungen, in welcher Form dies zu geschehen hat.

Strafen. Als fleine Strafen kann der Verweis vor versam melter Mannschaft( Gruppe), der strenge Verweis vor versammel­ter Kompagnie( Bug), Strafegerzieren in mäßigem Umfang( nie über eine halbe Stunde), Strafantreten, wenn nötig mit Sachen, befohlen werden. Wo es bisher schon üblich war und die wirtschaftliche Lage der Freiwilligen es gestattet, können auch Geldstrafen vereinbart werden.

Als größere Strafe kann nur verhängt werden die Entlassung, zum Beispiel für wiederholtes, unentschuldigtes Fehlen bei den Übungen, wiederholten Ungehorsam, für Elemente, die in der Ab­teilung einen die Manneszucht und den Geist gefährdenden Einfluß ausüben, und schließlich die Ausstoßzung für grobe ehrenrührige Berfehlungen.

Die Strafen sind in der Stammrolle zu vermerken. Man bedenke, daß es sich hier um Freiwillige" han­delt, deren Vergehen in die Stammrolle eingetragen werden, so daß sie als Gezeichnete" späterhin in den Militär­dienst eintreten müssen.

Im September 1914 erschienen die Bemerkungen und weitere Verfügungen des Kriegsmini­steriums" zu dem Dreiministererlaß. Nochmals wurde betont, daß die Teilnahme der Jugendlichen an Veranstal­tungen und übungen eine freiwillige sein soll.

Schon aber wird den konfessionellen Jugendorga­nisationen entgegengekommen: Bei der Zeitbestimmung für die übungen ist auf den örtlichen Gottesdienst Rück­

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ficht zu nehmen." Weiter folgt die bedeutsame Bemerkung: ,, Bei der Gewinnung von Jugendlichen für die Teilnahme an den Veranstaltungen auf Grund des Erlasses ist die 3 u- gehörigkeit der Jugendlichen oder deren Eltern zu einer politischen Partei ohne Einfluß."

Beteiligung der Jugendlichen vor dem vollendeten 16. Le­bensjahr an der militärischen Vorbereitung ist nicht erwünscht außer im Bereich des 9. Armeekorps, von wo auch die bereits erwähnten Richtlinien herkommen, das ist Schleswig- Hol­stein, Regierungsbezirk Stade, beide Mecklenburg, Olden­burg, Fürstentum und Freie Stadt Lübeck , Hamburg und Bremen. Dort wird die Jugend schon mit vollendetem 15. Lebensjahr zur militärischen Vorbereitung aufgerufen.

Am 25. November 1914 erscheint ein Erlaß nur des Kriegsministers, der, um alle Zweifel zu beheben, klar und deutlich ausspricht, daß die militärische Vorberei­tung der Jugend eine unmittelbare Vorschule für den Dienst im Heere und in der Marine sein soll. Sie muß also alle Kreise des Volkes umfassen.... Eine parteipolitische Beein­flussung darf im Dienste der militärischen Vorbereitung nicht stattfinden."

Einige Tage vorher hatte Generalleutnant v. Krause in der Turnhalle des Gymnasiums Berlin- Friedenau ,, Er I äu­terungen und Bemerkungen" zur Ausbildung von Jugendkompagnien mitgeteilt, wohl im Auftrag des K. Ge­neralkommissariats für die militärische Jugendvorbereitung in der Provinz Brandenburg einschließlich Berlin. Hier heißt es wörtlich:" Das Kriegsmäßige muß im Vordergrund stehen.... Niemand darf unentschuldigt fehlen." Zum Dienstunterricht gehört auch baterländische Geschichte, besonders 1864, 1866 und 1870/71".

Im September 1915 umfaßten die dem K. Generalfommis­fariat unterstehenden Jugendkompagnien schon 13000 Mann. Am 17. Dezember 1914 weist ein nur vom Kultus . minister unterzeichneter Erlaß darauf hin, daß die jetzige Zeit besonders geeignet sei, Geist und Herz nicht nur der Jugend, sondern auch ihrer Eltern und Angehö­rigen zu beeinflussen, deshalb sei Aufmerksamkeit und kräftige Förderung namentlich auch solchen Versamm­lungen Jugendlicher zuzuwenden, zu denen Eltern, Ange­hörige usw. als Gäste zugezogen werden können.... Sollten die dortigen Mittel des Jugendpflegefonds für den vor­liegenden Zweck nicht ausreichen, sehe ich einem entsprechen­den Antrag ergebenst entgegen....

Da ist gewiß an feine parteipolitische Beeinflussung ge­dacht, denn die hat ja der Herr Kriegsminister in seinem Er­laß vom 25. November ausdrücklich verboten!

Am 22. Januar 1915 fam wieder ein Erlaß des Kultus­ministers! Die Gefahr der Verwahrlosung der Jugend droht! Der Vater im Felde, die Mutter vielfach auf Erwerbsarbeit, der schulentlassene Junge, teils mit hohem Verdienst, teils ohne irgendwelchen, entbehrt der Führung und Leitung. Kirche, Schule, Gemeinden, alle amtlichen Jugendpflege­ausschüsse und alle privaten Jugendpflegebestrebungen" werden aufgefordert, der schulentlassenen Jugend erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden, sich ihrer mit Rat und Tat an­zunehmen.

Alle diese Erlasse scheinen den Erfolg gehabt zu haben, daß, wie Genosse Korn es seinerzeit so richtig benannte, das Wettrennen um die Seele der Jugend" in einem starken Maße anhub und Schule wie Kirche hierbei ins Hintertreffen gerieten.

Das läßt sich schließen aus dem am 12. August 1915 er­schienenen Erlaß des Kriegsministers, in dem es heißt: Schule und Jugendpflege sind mehrfach vorstellig geworden, weil ihre Interessen durch zu häufige, oft auch zu anstrengende Übungen der militärischen Vorbereitung geschädigt werden. So großen Wert die Heeresverwaltung auch darauf legt, daß bei den übungen der militärischen Vorbereitung eine Trennung nach Schulen, Konfes­fionen usw. vermieden wird, so darf das doch nicht dazu führen, daß in dieser Hinsicht ein Zwang auf Vereine ausgeübt wird, die auf eine langjährige segensreiche Arbeit an der Jugend zurücbliden