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Die Gleichheit
Nr. 8
Gewerkschaftliches.
Kameradschaftliches Verhalten unter Arbeiterinnen. Wenn das Mädchen oder die Frau durch die heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse gezwungen ist, in die Fabrik zu gehen und dort für fargen Lohn ihre Gesundheit zu opfern, so hat sie alle Ursache, sich mit ihren Arbeitsgefährtinnen schwesterlich zu vertragen. Das Vertragen läßt aber leider bei manchen Arbeiterinnen noch sehr viel zu wünschen übrig. In vielen Fällen führt der Verdienst zu Streitigkeiten. Hat eine Arbeiterin ein paar Pfennige mehr erworben als die andere, so machen sich oft unsinnige Gehässigkeiten und Reibereien breit. Den höheren Verdienst erklärt man einzig und allein mit allerhand unschönen Gründen, ebenso auf der anderen Seite den niedrigen Lohn. Man vergißt dabei, daß Körperkraft und Ausdauer nicht allen gleich gegeben sind. Es gibt Arbeiterinnen, die ununterbrochen schaffen, kaum daß sie die furzen Zwangspausen einhalten. Sie ermüden nicht und denken nicht einen Augenblick an sich selbst. Andere Arbeiterinnen fühlen sich körperlich nicht so kräftig, um andauernd die nämliche Leistung zu erzielen wie die Arbeitsgenossin. Das bedeutet bei dem meist herrschenden Akkordlohn einen Unterschied im Verdienst. Bei der Verteilung von Arbeit oder der Einteilung von Maschinen entspinnen sich ebenfalls leicht Streitigkeiten. Dabei ruft wohl die eine oder andere Arbeiterin aus:„ Ich gehe zum Meister!" Die Drohung wird leider zu oft wahr gemacht. Die Arbeiterin ist sich dabei gar nicht bewußt, welch großen Fehler sie begeht. Bei jeder Streitfrage, mag sie noch so wichtig erscheinen, sollte zunächst versucht werden, sie unter den Arbeitsgefährtinnen selbst auszu tragen. Der Meister ist der Vertreter des Unternehmers und fühlt sich verpflichtet, dessen Interessen wahrzunehmen. Der Unternehmer hat aber ein Interesse daran, daß die Arbeiterinnen nicht einig sind. Für ihn gilt das alte Wort: Teile und herrsche. Denn solange die Arbeiterinnen unter sich uneins sind, werden sie dem Unternehmer nicht gefährlich werden. Darum, Arbeiterinnen, erkennt die Macht der Einigkeit, vertragt euch untereinander. Als Einzelne seid ihr schwach, hilflos, dem ausbeutenden Kapital preisgegeben. Ihr geht einer ungewissen, freudlosen Zukunft entgegen, wenn ihr nicht die Gewähr habt, einen starken Rückhalt an euren Arbeitsgenossinnen zu haben. Das Leben stellt euch im Arbeitsverhältnis Seite an Seite. Ihr seid bei der Arbeit aufeinander angewiesen. Haltet bewußt zusammen! Das Zusammenarbeiten wird sich besser gestalten, und ihr werdet die Kraft erlangen, die Arbeitsbedingungen günstiger zu gestalten. Für die Wünsche einer zersplitterten Arbeiterschaft hat das Unternehmertum fein Ohr. Mit den Forderungen organisierter Frauen und Mädchen muß er rechnen. Darum: Seid einig! Drganifiert euch! Minna Güldner, Berlin .
Dienstbotenfrage.
Haushaltungslehrstellen wollen in größeren Städten die Hausfrauenorganisationen schaffen. Die dahingehenden Bestrebungen sind ein Teil der Bewegung bürgerlicher Frauen, die wirtschaftliche und soziale Lage des weiblichen Geschlechts dadurch zu heben, daß weibliche Erwerbstätige aller Berufe durch eine längere Lehrzeit zu Qualitätsarbeiterinnen ausgebildet werden. Gleichzeitig suchen diese Bestrebungen der„ Dienstbotennot" zu begegnen. Man möchte dem Mangel an sachgemäß ausgebildeten, leistungstüchtigen Hausangestellten abhelfen und durch eine entsprechende Ausbildung die Neigung der Mädchen zum Dienen vermehren. Nach den Absichten der Hausfrauenvereine sollen sich die Hausmütter, die ein Hauswirtschaftliches Lehrmädchen annehmen, diesem gegenüber nicht anders fühlen als etwa gewerbliche und kaufmännische Meisterinnen. Sie sollen es gewissenhaft in der Hauswirtschaftlichen Arbeit unterweisen und ihm darin eine gründliche Berufsbildung vermitteln. Als Entgelt dafür ist gedacht, daß die lehrenden Hausmütter den lernenden Dienstmädchen außer Kost und Logis nur etwa die Hälfte des sonst üblichen Anfangslohnes für Hausangestellte zahlen. Um Mißständen vorzubeugen, soll zwischen Hausfrau und Mädchen ein Lehrvertrag abgeschlossen werden, der die Gesindeordnungen, außer Kraft sett. In folgendem ein solcher Vertrag, wie ihn die Zentralstelle für Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung in Frankfurt a. M. herausgegeben hat.
als Haus
„ Lehrvertrag für Haushaltungs- Lehrstellen. § 1. Frau.... nimmt..., geboren haltslehrmädchen auf. Die Lehrzeit beginnt am.... und endigt am.
§ 2. Für das Lehrverhältnis gelten nicht die Bestimmungen der Gesindeordnung, sondern die des Bürgerlichen Gesetzbuches , soweit dieser Lehrvertrag nichts anderes bestimmt.
§ 8. Jeder der beiden Vertragschließenden fann fristlos fündigen a. während der ersten vier Wochen( Probezeit), b. nach Ablauf dieser Probezeit, wenn ein solch wichtiger Grund vorliegt, daß dem an dern Teil die Fortsetzung des Lehrverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Kündigt die Lehrfrau, so wird sie das Mädchen noch so lange beherbergen und verpflegen, bis der Vater( Mutter, Vormund) ausreichende Gelegenheit gehabt hat, das Mädchen wieder in Empfang
zu nehmen.
§ 4. Die Vertragschließenden verpflichten sich, vor einer Auflösung des Lehrverhältnisses der Zentrale für Berufsberatung Nachricht zu geben.
§ 5. Der Lohn beträgt monatlich.. Mark im ersten,.. Mark im zweiten Jahr.
§ 6. Die Lehrfrau verpflichtet sich, das Lehrmädchen in allen vor tommenden Hausarbeiten aufs beste zu unterweisen, ihm gute Rost und eine ordentliche Schlafstelle zu geben.
§ 7. Die Vertragschließenden haben davon Kenntnis genommen, daß die Zentrale für Berufsberatung bei Unstimmigkeiten im Lehrverhältnis ihre guten Dienste anbietet.
Der Vater( Mutter, Vormund):
Das Lehrmädchen:
Die guten Absichten der Hausfrauenvereine und namentlich der " Zentralstelle für Berufsberatung" in allen Ehren. Wir befürchten jedoch, daß diese Absichten sich in vielen Fällen als ohnmächtig er weisen werden, schwere Mißstände zu verhindern, die sich aus dem Lehrverhältnis heraus entwickeln können. Die Spuren schrecken! Man erinnere sich an die geradezu„ gerichtsnotorischen" übel, die heute im Handwerk für die Lehrzeit charakteristisch sind. Das aber, obgleich hier das Gesetz die Lehrlinge immerhin ein Weniges, wenn auch nicht genügend schützt. Wie erst in der Haushaltung angesichts der Tatsache, daß es für die Arbeit dort kein Schutzgesetz gibt? Die Gesindeordnungen wird doch der kühnste Verteidiger, patriarchalischer Zustände" nicht als solche ansprechen? Die Gefahr ist recht nahe liegend, daß die Lehrstellen für Hausangestellte von wenig gewissenhaften Frauen mißbraucht werden, um sich billige Arbeitskräfte zu sichern und diese strupellos auszumugen. Wo ist die Bürgschaft dafür, daß die häusliche Lehrfrau" ihren Beruf tatsächlich so tüchtig versteht, daß sie ein junges Mädchen darin unterweisen kann? Die Zahl der wirklich guten Hausmütter ist flein geworden. Wer sorgt dafür, daß die Lehrfrau das richtige Verhältnis zwischen beruflicher Schulung und geforderten Arbeitsleistungen des Lehrmädchens ein hält, daß die Ausbildung nie zur Ausbeutung wird? Der Lehrvertrag ist eine schöne Sache, vorausgesetzt, daß er nicht bloß papieren bleibt. Wer bürgt für seine Durchführung? Der Name der Lehrfrau allein sicherlich nicht. Gewiß, die„ Zentralstelle für Berufsberatung" bietet ihre Dienste bei Zwiftigkeiten an. Allein sie wird faum mehr als den Versuch können, vermittelnd einzugreifen. Es fehlen ihr die Machtbefugnisse über die Partei, die ihre Verpflich tungen nicht hält. Günstiger würden die Verhältnisse liegen, wenn der Vertrag in der Art der gewerkschaftlichen Tarifverträge zwischen gleichstarken Körperschaften abgeschlossen würde. Große und einflußreiche Hausfrauenvereine sind da, leider ist dagegen die Organisation der Hausangestellten noch schwach. Sollen diese etwas Nutzen von der erstrebten Neuerung haben, so muß der Zentralverband der Hausangestellten an Mitgliedern und Straft gewinnen. Alles in allem erscheint uns übrigens die Lehrzeit für Hausangestellte als ein recht fleines, turpfuschendes Mittel, an der Lösung der sehr verschlungenen Dienstbotenfrage zu arbeiten. Wie die Dinge heute liegen, gibt es andere, durchgreifende Mittel zur hauswirtschaftlichen Ausbildung als die Unterweisung im unfontrollierten Einzelhaushalt: Hauswirtschaftlicher Unterricht in der Schule, in Fortbildungs- und Fachanstalten, eine gehobene Lebens. haltung der breitesten Massen, aus denen die Dienenden sich retrutieren. Die Lust am Hausangestelltenberuf aber wird mehr als durch gute, sachgemäße Schulung erweckt und erhalten durch Aufhebung der Gesindeordnungen, gesetzlichen Schutz der bäuerlichen Arbeitsfräfte, Zuerkennung voller Koalitionsfreiheit, kurz, durch Maßregeln, die den Dienenden eine befriedigende Stellung, gute Behandlung und Entlohnung sichern.
Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart .
Druck und Verlag von J. H. W. Dieg Nachf. G.m.b.§. in Stuttgart .