Nr. 9
26. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen
Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder
Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.
Jahres- Abonnement 2,60 Mart.
Inhaltsverzeichnis.
Eduard Vaillant.- Konferenz der deutschsprachigen Sozialistinnen in den Vereinigten Staaten . Von f.r.( Schluß.)- Die militärische Jugendvorbereitung. Von Mathilde Wurm. ( Forts.) Gewertschaftliche Rundschaut. Notizenteil: Für den Frieden.- Frauenstimmrecht. Frauenarbeit. - Arbeitslosigkeit der weiblichen Arbeitslosigkeit der weiblichen Erwerbstätigen. Fürsorge für Mutter und Kind.
Eduard Vaillant.
Vaillant tot! Selbst in diesen Tagen des vertausend fachten gewaltsamen Sterbens, wo die Herzen stumpf geworden sind, und ein Strom von Bitternis über uns hinbraust, wirkt die Kunde von Vaillants Tode erschütternd und ergreifend. Nach Keir Hardie nun Vaillant, einer wie der andere ein unbeugsamer Vorkämpfer der proletarischen Aktion gegen den Krieg, beide weggerissen vom Schauplatz ihrer Kämpfe, eines ganzen Lebens für den Sozialismus. Und das inmitten des blutigen Weltkriegs, den sie seit Jahren vorausgesehen, und dem sich mit aller Araft entgegenzustemmen sie stets als die geschichtliche Aufgabe des organisierten Proletariats aller Länder erkannt hatten. Während aber der Brite Keir Hardie bis zum letzten Atemzug jede Gemeinschaft mit einer kapitali stischen Staatsmacht ablehnte und auch der eigenen Regierung ihren Teil an der gewaltigen Blutschuld troßig ins Gesicht schleuderte, war der einstige Blanquist Vaillant seit Ausbruch des Krieges einer der heftigsten und entschlossensten Vertreter der Politik der ,, nationalen Verteidigung", einer von denen, die in Frankreich die Rettung der westeuropäischen Demokratie" vor dem„ preußischen Militarismus" nicht mehr verbürgt sahen im siegreichen Vormarsch der roten Internationale, sondern, wenigstens für den Augenblick, in dem militärischen Sieg der Westmächte über die Zentralmächte.
Und doch war Vaillant kein„ Umlerner" im gewöhnlichen Sinne. Er verbrannte nicht wie viele heute die Ideale, die er noch gestern angebetet hatte. Im Gegenteil! Vaillant war als Blanquist, als ehemaliger Kommunekämpfer zum wissen. schaftlichen Sozialismus und zur sozialistischen Partei gefommen. Die Blanquisten vermeinten, eine kleine, aber zielflare und straff organisierte Minderheit könne in fühnem Handstreich die politische Macht für das Proletariat erobern und dann den Sozialismus einführen. In Vaillant lebte noch die Erinnerung an die heldenmütigen Kämpfe der Pariser Kom mune im Frühjahr 1871. Der Friedensschluß der französischen Regierung und das Entgegenkommen des Siegers hatten der reaktionären Regierung Frankreichs deren blutige Niederwer fung ermöglicht. In der Pariser sozialistischen Arbeiterschaft war damals das ganze demokratische Europa geschlagen. Freilich, die geschichtliche Situation war vor 45 Jahren eine andere als heute. Es gab damals kein namhaftes sozialistisches Proletariat in Deutschland . Vaillant selber hatte sich im Laufe der Jahre mehr und mehr dem Marxismus ", dem wissen schaftlichen Sozialismus genähert. Nach dieser Auffassung steht die Erringung der politischen Macht nicht an dem Anfang, sondern an dem Ende eines langwierigen und zähen
Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin ( 3undel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.
Organisierungs- und Aufklärungsprozesses, und die Niederringung der politischen Reaktion, die überwindung des Kapitalismus und die Befreiung der Arbeit fällt als Aufgabe in jedem einzelnen Staate den Proletariern des betreffenden Landes selbst zu. Wie keine Mehrheit durch eine kleine Minderheit, so kann nach ihr auch kein Volk durch die Kapitalisten eines anderen Volkes befreit" werden. Und gerade Vaillant war es, der auf den internationalen Kongressen in Stuttgart und Kopenhagen mit aller Energie für die selbständige und gemeinsame Aktion der Proletarier aller Länder gegen den Krieg eintrat. Mit seinem und Keir Hardies Namen war das bekannte Amendement unterzeichnet, das den Wiener Kon greß im August 1914 beschäftigen sollte und das für den Kriegsfall das gemeinsame internationale Vorgehen der Arbeiterklasse gegen den Krieg forderte.
Für Vaillant war also mit dem 4. August 1914 eine Lebensarbeit zusammengebrochen, und namentlich war es die Haltung der deutschen Sozialdemokratie, der führenden Partei der Internationale, die ihm als schnöder Verrat erschien. Darf es uns da wundern, daß in ihm Gedankengänge wieder aufwachten, die aus der Zeit der großen Revolution stammten, und die er selbst auf den Barrikaden der Pariser Kom mune verfochten hatte? Es war der Glaube an die geschichtliche Mission Frankreichs und des französischen Proletariats, als Vorkämpfer der Demokratie Mittel- und Osteuropa aus den Ketten eines übermächtigen Absolutismus zu befreien. Die Geschichte hat zwar wiederholt diesen Glauben Lügen gestraft, aber haben nicht auch viele deutsche Sozialdemokraten in bezug auf Rußland einen ähnlichen Glauben gehegt? Wir können Vaillant nicht von dem Verhängnis freisprechen, am Abend seines Lebens die sozialistische Orientierung verloren zu haben, unsere Aufgabe ist es aber nicht, einen Toten anzuklagen, sondern Vaillant zu begreifen und in Treue festzuhalten, welche unvergeßlichen Verdienste er sich um den proletarischen Befreiungskampf erworben hat.
In der Humanité" schrieb Renaudel nach Vaillants Tod: Es ist klar, daß der schreckliche Krieg, den der Verstorbene sein ganzes Leben mit größter Energie bekämpfte, ihm den Todesstoß gegeben hat. Vaillant schlich in den Gängen der Kammer bleich, abgemagert, mit abwesenden Augen herum. Und Gustav Hervé meint in seinem Blatt: „ Die Katastrophe, die die Welt ereilte, hatte ihn tödlich verwundet. Seit achtzehn Monaten sahen wir ihn sich langsam berzehren, sahen wir, wie er nach und nach auslöschte. Der Zusammenbruch des Traumes, der sein ganzes Leben erwärmt hatte, ist die Schuld seines Todes." Sowohl Hervé wie Renaudel nennen als besonderen Anlaß von Vaillants Tod den Anfang Dezember stattgefundenen Kongreß der Fédération de la Seine( der Pariser Parteiorganisation). Bei dieser Gelegenheit hatte die Opposition gegen die offizielle Burgfriedens- und Kriegspolitik der sozialistischen Parteihäupter zum erstenmal sich energisch hervorwagt, und Vaillant hatte umsonst mit aller Kraft versucht, seine Stellungnahme zu begründen. Es ist nur natürlich, wenn die offi
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