62Die GleichheitNr. 9ziellen Parteiorgane die Sache so darstellen, als entstammedie ganze Parteiopposition nur einer vorzeitigen Kriegs»Müdigkeit, keineswegs dem wiedererwachenden internationalen Klassenkampfgedanken. Es vollendet aber die Tragik inVaillantS Schicksal, daß diese Opposition in den eigenenReihen ihm, um HervS sprechen zu lassen,„den Gnadenstoß"gab. Denn diese Opposition ist doch nichts anderes als dieRückkehr zu dem von Vaillant selbst ein volles reiches Lebenlang verfochtenen Gedanken der internationalen proletarischen Aktion für den Frieden.»««Marie Edouard Vaillant wurde am 26. Januar 1846 zuVierzon geboren. Außer der Fachbildung als Ingenieur undArzt ließ er sich auch umfasiende geschichtliche, philosophische und nationalökonomische Studien angelegen sein.Schon früh verknüpften ihn innige Beziehungen mit dem politischen Leben seiner Zeit, das im Zeichen des schwerenKampfes gegen den Bonapartismus Napoleons III. stand.Vaillant zählte schon damals zu den eifrigsten AnhängernBlanquis und war ein bewußter Anhänger der roten Republik.1866 ging er nach Deutschland: er studierte in Heidelberg, Tübingen und Wien. Mit Begeisterung versenkte er sich in die Philosophie Feuerbachs. Von Feucrbachwar es für ihn nur noch ein Schritt zu Marx. Aus dieser Zeitstammte Vaillants unauslöschliche Liebe für deutsche Wissenschaft und deutsche Art. Als in den achtziger Jahren in Frankreich die moderne sozialistische Arbeiterbewegung emporzu-blllhen begann, gehörte Vaillant zu den Führern, die sie andem Vorbild des politischen und parlamentarischen Kampfesder deutschen Sozialdemokratie zu schulen suchten.Der Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1876unterbrach Vaillants Studien in Deutschland. Am Tage vonSedan traf er über die Schweiz in Paris ein und knüpfte sofortdie Verbindung mit feinen alten Freunden, den Blanguisten,wieder an. An der Nationalversammlung in Bordeaux nahmer als Delegierter teil und kämpfte dort mit aller Leidenschaftlichkeit gegen die Abtretung Elsaß-Lothringens und fürdie Verteidigung der Republik gegen die fremden Eindringlinge.Nach dem vorläufigen Friedensschluß wagte die französischeNegierung den Versuch, die Pariser Arbeiter, die bestenSchützer der Republik, zu entwaffnen, um damit der Monarchie die Tore zu öffnen. Dieser Versuch trieb das Volk vonParis in den glorreichen Aufstand der Kommune. Sofortkehrte Vaillant nach Paris zurück und wurde zum Mitgliedder Kommune gewählt. Der tragische Heldenkampf der Pariser Arbeiter sah auch ihn in angestrengtester, aufopfernderTätigkeit. Er wirkte im Exekutivkomitee und in der Unterrichtsabteilung. Nach der blusigen Niederwerfung der proletarischen Erhebung gelang es Vaillant, noch in letzter Stundenach England zu entkommen. In persönlichem Verkehr mitKarl Marx lernte er hier den wissenschaftlichen Sozialismusnäher kennen und sah die großindustriellen Formen des fortgeschrittenen Kapitalismus. Schon viel früher war er derersten Internationale beigetreten und hatte auch eine Zeitlang als Mitglied ihres Generalrats gewirkt. Erst die Amnestie des Jahres 1886 ermöglichte dem in seiner Abwesenheitzum Tode Verurteilten die Rückkehr in die Heimat.Sofort erhielt Vaillant hier wieder eine führende Stellungin der blanquissischen Fraktion der sozialistischen Bewegung.Von den Pariser Arbeitern 1884 in den Gemeinderat entsandt, entwickelte er dort eine vorbildliche Tätigkeit. Eineganze Reihe der wichtigsten sozialkommunalen Reformen inParis sind seiner Anregung und seinem Kampf zu verdanken.Als Abgeordneter in der Kammer war Vaillant später ebenfalls an allen Kämpfen und Erfolgen der Sozialisten um soziale und politische Fortschritte hervorragend beteiligt. SeinWirken ist der geradezu mustergültige Beweis, wie der Sozialist eifrige Reformarbeit betreiben kann, ohne gleichzeisigaufzuhören, revolutionärer Kämpfer zu sein.Die forsichreitenden ökonomischen Verhältnisse entzogen inFrankreich dem Blanquismus alten Stils immer mehr denBoden. Demgemäß mußte auch die Taktik, die Kampfesartder Blanguisten, der Sozialisten überhaupt sich ändern. Mei-nungsunterschiedc und heftige Auseinandersetzungen über dasWie der Taktik blieben nicht aus. Innerhalb der blanquisti-schen Partei war Vaillant der Führer der erstarkenden Opposition gegen die ältere, starre Auffassung und verfochtgegen sie Anschauungen, die sich mehr und mehr der marxistischen Richtung näherten. Zur schärfsten Auseinandersetzungkam es in der Krise des Boulangismus, wo Vaillant auchvor einer Spaltung der blanquissischen Partei nicht zurückschreckte, als es galt, den nationalistischen und demagogischenSchlagworten entgegenzutreten, von denen sich die Blanguisten alten Schlages betören ließen. Aber auch an der Klärung der Meinungen über Grundsätze und Tattik in der allgemeinen sozialistischen Arbeiterbewegung Frankreichs nahmVaillant hervorragenden Anteil. Die Kämpfe um Klarheitund Einheit spitzten sich, zunial während und nach demDreyfusskandal und dem Eintritt Millerands in das Ministerium der bürgerlichen Republik scharf zu. Auf der einenSeite standen die Befürworter einer überwiegend parlamentarischen Aktion, die in dem Ministerialismus gipfelte. Dasentgegengesetzte Extrem bildeten die antiparlamentarischenSyndikalisten. Beide äußerste Richtungen sind zu begreifenals die Folgen der noch stark kleinbürgerlichen Struktur desfranzösischen Wirtschaftslebens. Vaillant wurde vor dem einenwie dem anderen Irrweg bewahrt, dank seiner hohen Wer-tung der politischen Demokratie und der Republik einerseits,seiner energischen Betonung des Klassenkampfstandpunktesanderseits. So fand er innerlich und äußerlich immermehr Anschluß an die„Marxisten", die den politischenKampf des Proletariats nicht zum bloßen parlamentarischenTechtelmechtel verkrüppeln lassen, sondern ihn als scharfenKlassenkanipf für die Eroberung der politischen Macht geführt wissen wollten. Bei den Einigungsverhandlungen dersozialistischen Parteien Frankreichs in den neunziger Jahrenbetonte er im Gegensatz zu den Anhängern Jauröz die Notwendigkeit eines grundsätzlichen Klassenkampfes. Bei Vaillants unvergänglichen Verdiensten um die Sache des französischen Proletariats und dem hohen Ansehen seiner Personwar seine Stellungnahme von großer Bedeutung. Sie haterheblich dazu beigetragen, daß es zur Klärung der Geisterim Sinne des wissenschaftlichen Sozialismus kam, unddaß nach der letzten großen Auseinandersetzung auf deminternationalen Kongreß zu Amsterdam 1964 die endgültigeEinigung der bisher gettennt marschierenden Parteien erfolgte. Von da ab war Vaillant neben Jauröz der hervorragendste polisische Kämpfer und Führer der geeinigten sozialistischen Partei innerhalb wie außerhalb des Parlaments.Stets war er bemüht, in den verwickeltsten politischen Situationen den grundsätzlichen sozialissischen Standpunkt festzuhalten. Das Gewissen der Partei hat man ihn genannt, einEhrentitel, der auch gerechtfertigt war durch die große Lauterkeit, Selbstlosigkeit, Einfachheit seines persönlichen Wesens.Vaillant gehörte zu den überzeugtesten Begründern derzweiten Internationale. Es war nur billig, daß ihr erster, konstituierender Kongreß 1889 in Paris ihn neben Liebknechtzum Vorsitzenden wählte. Als Vertreter der Franzosen warVaillant im Internationalen Sozialistischen Bureau hervorragend tätig. Dort wie bei allen Kongresien der zweiten In-tionale war er unaufhörlich bestrebt, den Bruderbund derProletarier aller Länder von einer bloßen Ideen- und Resolutionsgemeinschaft zu einer Gemeinschaft der politischen Aktion zu erheben. Er gehörte zu denen, die in Stuttgart,Kopenhagen und Basel die Sozialisten aller Länder zum aktiven Eintreten für die Bewahrung des Friedens wehrhaftmachen wollten. Jaures traf ein glücklicheres Los als Vaillant. Der mörderische Schuß eines reaktionären Fanatikersbewahrte ihn vor der furchtbaren Enttäuschung des Weltkriegs, ließ ihn im Kampfe gegen den Imperialismus und fürden Frieden fallen, in Übereinstimmung mit seinem Lebenswerk. Die Enttäuschung des Weltkriegs trieb Vaillant in die