Nr. 10

Die Gleichheit

traten, die bei Militärlieferungen beschäftigt waren, mit Verhaf tung bedroht worden.

Die Reden unserer Genossen beweisen schlagend, wie falsch es ist, wenn die Behörden von der freien Meinungsäußerung eine Aufreizung befürchten. Nicht die Kritik, die bessert, sondern die un­leidlichen Tatsachen rufen Erbitterung hervor. Oder soll es nicht erbittern, wenn eine Lederfabrik mit 12 Millionen Mark in einem Kriegsjahr 40 Millionen Bruttogewinn erzielt, zur selben Zeit aber ganze Arbeiterfamilien mit einem Wocheneinkommen bis herunter zu 5 Mt. auskommen sollen? Muß es nicht aufreizend wirken, wenn infolge der Teuerung die Kindersterblichkeit unter den Proletariern anschwillt, einer Kornfpirituszentrale aber 45 000 Tonnen Roggen zum Schnapsbrennen überwiesen werden? Bei voller Preß- und Redefreiheit wären Mißstände im heutigen Umfang gar nicht möglich. Dem Sozialisten zeigen die Reichstags­debatten die engen Grenzen, die einer bürgerlichen Regierung, den besten Willen zugestanden, gezogen sind. Diese Grenzen find be= fenders eng, wenn das Proletariat seine Interessen nicht in breite­ster Öffentlichkeit vertreten kann. Der Kampf gegen Teuerung und Kriegsspekulation ist eine Halbheit, wenn er nich: zugleich der Kampf um den Frieden und die Rückkehr zu normalen Zuständen mit einschließt.

Notizenteil.

Für den Frieden.

Führende englische Gewerkschafterinnen und Genosfinnen gegen die Dienstpflicht. Wie im Kampfe gegen den imperialistischen Nationalismus und für den Frieden, so stehen in England auch in der Brotestbewegung gegen die militärische Dienstpflicht Genoffinnen und Gewerkschafterinnen in den vordersten Reihen. So wenden sich jetzt im Labour Leader" angesehene Führerinnen der gewerkschaft­lichen Arbeiterinnenorganisation dagegen, daß mit der Einführung der beschränkten Dienstpflicht dem Militarismus auch nur der fleine Finger gereicht werde. Mary Macarthur warnt da­ber, daß die Arbeiterschaft sich durch die beschränkte Dienstpflicht täuschen lasse. Jede Form des Dienstzwangs bedeute, daß das erste Glied einer Kette geschmiedet werde, die die Arbeiterschaft für eine Generation binde. Nach Marg. Bondfield 3 Ansicht steckt noch ein besonders schlechter Beweggrund hinter der Kampagne für die Einführung der Dienstpflicht. Die Regierung will sich damit eine militärische Kontrolle der Arbeit sichern, weil die organisierte Ar­beiterschaft begonnen hat, ihrerseits einen Anteil an der Kontrolle der Industrie zu fordern. Genoffin Bondfield ist gewerkschaftlich und genossenschaftlich hervorragend tätig und nahm als Delegierte an der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz zu Bern teil. Sie gehört, wie Genossin Macarthur, zu den erfahrensten und beliebtesten Vorfämpferinnen der Arbeiterinnen Großbritanniens . Die aus Genossinnen bestehende Leitung des Verbandes der arbeitenden Frauen hat einen scharfen Beschluß gegen die Tienstpflicht angenommen.

Als eine Demonstration für den Frieden und die inter­nationale Solidarität der Arbeiter aller Länder muß die Ehrung betrachtet werden, die Genossin Luise Saumoneau auf dem Kongreß der Seineföderation erfahren hat, der kurz vor Weihnachten in Paris abgehalten worden ist. Ge­noffin Saumoneau zählt bekanntlich in Frankreich zu den Klarsten, fonfequentesten und opferfreudigsten Kämpfern gegen den Chauvi nismus, die Politik des" Durchhaltens" und der heiligen Einig­feit". Unbeirrt und unverzagt hat sie unter den schwierigsten Um­ständen für den Frieden und die sozialistische Internationalität der Arbeiter aller Länder agitiert. Nachdem sie eifrigen Anteil an den Arbeiten der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz zu Bern genommen hatte, setzte sie ihre ganze Kraft daran, im Sinne der gefaßten Beschlüsse unter den französischen Proletarierinnen und in den sozialistischen Organi fationen zu wirken. Sie mußte dieses ihr Verbrechen" mit einer Haft büßen, für deren politische Bedeuteng die sozialistischen Mi­nister natürlich und leider kein Verständnis zeigten. Kurz vor dem Kongreß der Seineföderation mußte Genossin Saumoneau aus der Haft entlassen werden, sie nahm als Delegierte an ihm teil. Eine große Mehrheit wählte sie zur Vorsitzenden der ersten Sizung des Kongresses. Unter den obwaltenden Umständen wurde ihre Ehrung zu einem Protest gegen die Politik der Parteimehrheit, zu einer Bekundung des Friedenswillens und der internationalen Solidari­tät der tagenden Genossen.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

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Eine neue Arbeiterinnenzeitung in London . Zum neuen Jahr ist die erste Nummer einer englischen Arbeiterinnenzeitung erschie nen: The WomanWorker"( Die Arbeiterin"). Sie wird von den Genoffinnen Mary Macarthur und Susan Lawrence herausgegeben. Unter den Mitarbeiterinnen des Blattes ist Frau Beatrice Webb , die in einem Artikel schreibt: Die Frauen find die Sachwalter der Männer, die jetzt für ihr Land kämpfen. Wenn die Frauen sich mit niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedin­gungen abfinden, werden sich die Unternehmer nach dem Kriege weigern, ihre männlichen Arbeiter zu den alten Löhnen wieder ein­austellen, sie werden vielmehr versuchen, die Lebenshaltung der Väter, Brüder und Söhne auf das Niveau der Schwizzarbeit der Frauen herabzudrücken. Diese Mahnung ist kennzeichnend für den " Seelenaufschwung" der Kapitalisten in der Kriegszeit und nicht bloß in England." The Woman Worker" hat übrigens schon vor Jahren eine Vorläuferin gleichen Namens gehabt. Das damals erscheinende Blatt nahm rasch einen glänzenden Aufschwung, konnte sich aber trotz reger Agitation und großer persönlicher Opfer ein­zelner Genoffinnen nicht halten.

o. p.

Eintreten der österreichischen Genoffinnen für den aus­reichenden Lebensunterhalt der Soldatenfranen. Die vom Krieg hervorgerufene Teuerung hat die Lage der Kriegerfrauen in Osterreich verschlimmert. Das Frauenreichstomitee hat daher im Einvernehmen mit dem Parteivorstand der So­zialdemokratie eine Aktion eingeleitet, die auf eine Erhöhung der staatlichen Unterhaltsbeiträge für die Kriegerfamilien abzwedt. Es muß festgestellt werden, daß der Unterhaltsbeitrag für die Sol­datenfrauen und-kinder in Österreich zu Beginn des Krieges an­erkennenswert und geeignet war, die bittere Not fernzuhalten. Wir können das um so ruhiger sagen, als es die sozialdemo fratischen Abgeordneten waren, die 1912 das betreffende gute Ge­setz durchgesetzt haben. Bekanntlich erhält in Österreich die Frau eines Einberufenen 1,32 Kronen den Tag, Kinder von 8 Jahren an aufwärts denselben Betrag, Kinder unter 8 Jahren die Hälfte. Ein Drittel des Unterhaltsbeitrags ist als Zinsbeitrag gedacht. Aber je mehr die Teuerung stieg, um so mehr wurde der Unterhalts­beitrag entwertet. Das veranlaßte schon vor einigen Monaten die Frauenhilfsaktion, bei der unsere Genoffinnen mitarbeiten, beim. Ministerpräsidenten vorzusprechen und auf diese Tatsache hinzu­meisen. Graf Stürkgh hat deren Richtigkeit anerkannt. Mittler­weile ist es aber immer noch teurer geworden Viele Frauen, die mit dem Unterhaltsbeitrag nicht mehr das Auskommen der Familie be­streiten konnten, suchten Arbeit, fie tamen aber vom Regen in die Traufe. Es fanden sich nämlich Kommissionen, die entschieden, daß der Lebensunterhalt nicht mehr gefährdet ist, wenn eine Frau 10 Kronen in der Woche verdient. Unter solchen Umständen ver­zichten viele Frauen lieber auf Erwerbstätigkeit oder sie überneh men nicht kontrollierbare Heimarbeit. Besonders schwer ist die Eri stenz für Frauen, die Kinder unter 8 Jahren haben, für die sie nur die Hälfte des Unterhaltsbeitrags bekommen. Es gibt Proletarie­rinnen, die bis zu fünf Kinder unter 8 Jahren haben. Vor allem das in solchen Familien vorhandene Elend bewirkte, daß das Frauenreichskomitee die Aktion für höhere Unterhaltsbeiträge ent­faltet hat. Es haben in Wien und in der Provinz zahlreiche Ver­sammlungen stattgefunden, von denen viele geradezu glänzend besucht waren. Überall einigte man sich, an die Regierung heranzu­treten, dieser eine Darstellung vom Leben der Soldatenfamilien zu geben und um die Erhöhung des Unterhaltsbeitrags nachzufuchen, vor allem aber die Gleichstellung der Kinder unter 8 Jahren mit den achtjährigen zu beantragen. Mittlerweile ist eine Deputation unserer Genoffinnen in Böhmen beim Statthalter, Grafen Coudenhove, vorstellig geworden, um diesem die Sache vor­zutragen. Sie fand dort vieles Verständnis. In Steiermark haben die Frauen denselben Weg eingeschlagen. Man darf sich über diese Schritte bei den zwei Regierungen nicht wundern. Sie find die Folge des Umstandes, daß das österreichische Parlament während des Krieges nicht ein einziges Mal getagt hat, völlig ausgeschaltet ist. Das Parlamentsgebäude ist ein Spital für Kriegsverwundete geworden. Jede parlamentarische Vertretung der Arbeiterinteressen fehlt also. Am 4. Januar wurde nun von der Reichsregierung die Deputation empfangen, die aus den Genossinnen Freund­I ich und Popp und den Genossen Seib, Glöckl und Sever bestand. Es hatten sich beim Ministerpräsidenten auch die für diese Frage in Betracht kommenden Minister für Landesverteidigung und der Finanzen eingefunden, sowie die betreffenden Ressortchefs. Unseren Genoffinnen und Genossen war Gelegenheit gegeben, die ganze Bedeutung der Sache zum Ausdruck zu bringen; der Mini­