Nr. 11

Die Gleichheit

Minister der auswärtigen Angelegenheiten einer der großen krieg­führenden Mächte. Meine Regierung würde einer solchen Kon­ferenz kein Hindernis in den Weg legen," sagte der Minister der gegnerischen Macht." Worauf warten die Neutralen?", äußerte sich einer der populärsten Staatsmänner. Bei verschiedenen Au­dienzen wurde auch über die Art und Weise der Ausführung des Planes gesprochen und dem von den Frauen vorgeschlagenen Vor­gehen zugestimmt. Am Schlusse des Manifestes wird der über­zeugung Ausdruck verliehen, daß in einem großen Teil der Be­völkerung der neutralen Staaten das Verlangen, unfruchtbare Un­parteilichkeit in tätiges Wohlwollen umzuwandeln, immer stärker werde, und daß daraus den Regierungen die Pflicht erwachse, in diesem Sinne zu handeln. Das Manifest wurde an die Regierungen der neutralen Staaten von den Vereinigten Staaten   aus versandt, wo sich die Delegierten zur Beratung versammelten. Diese Be mühungen bürgerlicher Frauen, die noch einen Funken Mensch­lichkeit und des gefunden mütterlichen Abscheus gegen alles Blut­vergießen bewahrt haben, verdienen unsere rege Sympathie. Als Sozialistinnen schäßen wir freilich den praktischen Wert solcher Audienzen und Ministerunterredungen anders ab als die bürger­lichen Friedensfreundinnen. Wir wissen, daß, solange in den krieg­führenden wie in den neutralen Staaten mächtige Gruppen be= stehen, die an der Weiterführung des Krieges ein Interesse haben, teine Deputationen und keine Ministerkongresse den Frieden nur um einen Tag beschleunigen werden. Für uns gilt es, jene Klassen und Schichten in allen Völkern bewußt und kräftig zu machen, deren Lebensinteresse einen raschen, auf Verständigung und Freundschaft aufgebauten Frieden gebietet.

Die Minderheit in der franzöfifchen Partei läßt sich durch den Ausfall des Parteifongresses keineswegs beirren. In der franzö sischen Partei treten zurzeit drei Strömungen deutlich in Erschei= nung: die nationalistische Rechte, die bisher die Mehr­heit besaß und unbedingt für Krieg, Ministerialismus und nationalen Block eintritt; die täglich wachsende gemäßigte Opposition, die sich um die Genossen Longuet und Pressemane schart, zwar die Wiede caufnahme der inter­nationalen Beziehungen wünscht, aber sich von der Phrase der nationalen Verteidigung einfangen läßt. Sie ist es, die auf dem Kongreß jene fonfuse Kompromißresolution zur An­nahme brachte, die in Wirklichkeit der nationalistischen Rechten das Heft aufs neue in die Hand drückt. Die dritte Gruppe sam­melt sich um Bourderon und Merrheim; sie steht auf dem Boden der Zimmerwalder Beschlüsse und ist die einzige, die für die sozialistische Friedensarbeit ernsthaft in Betracht kommt. Ihr Einfluß in den führenden Kreisen ist noch verschwindend klein, in den Arbeitermassen wächst er dagegen von Tag zu Tag. Ver­schiedene Provingblätter vertreten mehr oder minder klar, mehr oder minder energisch diesen Standpunkt. Bezeichnend für die Ge­dankengänge der Opposition sind Ausführungen, die das Partei­blatt in Limoges  , Populaire du Centre", machte als Antwort auf die Angriffe der bürgerlichen Presse. Das Blatt fragt:" Müssen Parteien, die sich in jedem Lande um gleiche Prinzipien grup­pieren mit dem Streben nach dem allgemeinen Ideal, sich gegen­seitig ignorieren und dadurch ihre Aktion zur Machtlosigkeit ver­urteilen, oder müssen sie im Gegenteil ihre Kräfte vereinen, um sich einem Ziel zu nähern, das sie getrennt niemals erreichen werden? Wenn der Sozialismus möglich ist, ist er es nur international. Es gibt keinen französischen   Sozialismus, keinen deutschen  , keinen russischen Sozialismus, es gibt nur den Sozialismu 3. Daran hat der Krieg nichts geändert. Und wenn wir denken, daß unsere Lehre nicht nur verwirklicht werden kann, sondern auch eine absolute Notwendigkeit am Ende der ka­ pitalistischen   Entwicklung der Gesellschaft ist, bleiben wir, was wir auch gestern waren, an eine Treue gebunden, in der unser Herz und unser Verstand volle Genugtuung finden. Wir rufen mit all unsern Wünschen den nahen Tag herbei, wo die Sozialisten aller Länder, treu ihren Traditionen und dem edlen Ziel, das sie ihren heroifchen Kämpfen gesetzt haben, sich vereinigen werden, nicht heimlich, außer wenn man sie dort verpflichtet, um angesichts der ganzen Welt kraftvoll auf die schrecklichen Seiten des Buches der Geschichte zu schreiben, die sich gegenwärtig in diesen Stunden der Gewaltsamkeiten, der Trauer und der Verzweiflung wenden. Wir können nicht die verlorene Zeit zurückge­winnen, aber wir dürfen nicht fortfahren, Zeit zu verlieren."

Bezeichnend für die Gesinnung weiter Arbeiterkreise in Frank­ reich   ist auch der Neujahrsgruß, den der Leiter der Vie ou v= rière, Monatte, dem Redakteur des in Paris   erscheinenden russischen Sozialistenblattes," Nascha Slowo", Trotzky, sandte und

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allen russischen Revolutionären, die dem Sozialismus und der Internationale treu blieben. Er lautete:" In Frankreich   darf man die für den Frieden wirkenden Kräfte nicht nach dem traurigen Ergebnis des Sozialistentages beurteilen. Dieso­zialistische Partei bringt nicht die wahren Ge fühle des französischen   Volkes zum Ausdruck. Die Arbeiter- und Landbevölkerung, die leidet und stirbt, hat nicht die Kraft, aus sich heraus zu handeln. Aber sie begreift immer mehr den wahren Charakter des blutigen Dramas, das Europa   in ein Blutmeer verwan­delt. Dem Gefolge Bourderons werden sich viele zerstreute Ele­mente anschließen, die im Schoß der Internationale nicht nur für den Frieden der Völker, sondern auch für die Erlösung des Pro­letariats zu kämpfen entschlossen sind. Deshalb keine unnüße Trau rigkeit!"

Die entschiedene Oppofition vor allem in den syndikalistischen Gewerkschaften, in der Confédération Générale du Travail  , ist in dem Comité d'Action Internationale verkörpert. Hinter diesem Komitee steht die Mehrheit des Metallarbeiter­verbandes, der Bauarbeiter des Seinedepartements sowie starke Gruppen der Erdarbeiter, Steinmeßen, Bürstenbinder und andere mehr. Das Komitee verbreitet von Zeit zu Zeit Flugschriften unter dem Namen: Brief an die Abonnenten der Vie Ouvrière", die infolge Mangels an Mitteln eingegangen ist. In der neuesten Flugschrift wird scharf mit jenen Syndikalisten ins Gericht ge­gangen, die der Regierung Gefolgschaft leisten. Sie erinnert daran, wie die organisierten Arbeiter Frankreichs   schon 1905, 1911, 1912, so oft ein Krieg drohte, gegen den Krieg Kundgebungen veran­stalteten. Es fiel damals keinem ein, den Krieg als plöblichen über­fall durch den deutschen Militarismus hinzustellen. Im Gegenteil, ausdrücklich wurde betont, daß der Krieg ein Zusammenprall ri­ralisierender Imperialismen" sei. Wenn die Patrioten heute recht hätten, so habe die sozialistische Arbeiterschaft bisher unrecht ge­habt. Und auch in Zukunft würden die Nationalisten dann recht haben. Die Niederwerfung und Zerstückelung Deutschlands   würde den deutschen Militarismus vielleicht schwächen, jedoch nicht ver­nichten. Dies könne nur die deutsche Arbeiterklasse selbst. Die jetzige Auslegung des Krieges sei ein billiges Mittel, sich jeder Verant­wortung zu entziehen. Man spreche sich selber von jeder Schuld frei, um den Gegner desto mehr zu belasten. Die Flugschrift schließt mit folgenden Worten:

Wir wollen nicht die Verantwortung Deutschlands   verkleinern, dessen Pangermanisten um so gefährlicher waren, als sie siegreich über eine gewaltige Militärmacht verfügten. Aber unsere und die englischen Nationalisten sind ihnen nichts schuldig geblieben.

Nach allem, was wir gesehen und getan haben, können wir nur sagen, daß der Zusammenstoß rivalisierender Imperialismen den Krieg hervorrief, und wir weigern uns entschieden, uns mit den Regierenden, die alle ihren Teil der Verantwortung tragen, zu identifizieren. Und wenn wir so die amtliche Auslegung des Krieges nicht annehmen und deshalb Deutschenfreunde genannt werden, dann geben wir die Antwort, die Noath Ableth namens der Was lifer Bergarbeiter den Jingos gab: 28ir find nicht Deut schenfreunde, wir sind aber die Arbeiterklasse." Pariser   Franen für den Frieden. Am 2. Januar versammelten fich ungefähr 1500 Frauen, Ehefrauen eingezogener Mitglieder des Seemannsverbandes, in der großen Halle des Pariser Gewerk­schaftshauses, um ihre monatlichen Unterstübungsbeiträge von seiten der Gewerkschaften entgegenzunehmen. Sebastian Faure  hielt eine eindrucksvolle Ansprache zugunsten des Friedens, die be= geisterten Beifall fand, und es wurde einstimmig ein den Frieden fordernder Beschluß gefaßt. Sebastian Faure   ist daraufhin vom Minister des Innern vorgeladen worden und es wurde von ihm verlangt, die Friedensagitation weiterhin nicht fortzusetzen.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Der sozialistische Frauentag in Oesterreich  . Die österreichischen Genoffinnen haben im Einvernehmen mit der sozialdemokratischen Partei beschlossen, auch heuer den Frauentag abzuhalten. Er wird in der Zeit vom 12. bis 26. März durch Versammlungen begangen, wie sie im Rahmen des geltenden Rechtszustandes möglich sind. Die Herausgabe eines Agitationsblattes: Der Frauentag" ist eben­falls beschlossene Sache. Die Genoffinnen aller Länder werden das Vorgehen der österreichischen Schwestern freudigst begrüßen. Es ist ein hoffnungsreiches Anzeichen des drängenden Willens für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts und seine volle Be­freiung durch den Sozialismus zu wirken. Allen Nöten, Schwierig teiten und Hemmungen der furchtbaren Kriegszeit zum Troy.