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Die Gleichheit

wenn nicht in schier fabelhafter Weise die Frauenkraft im ge­sellschaftlichen Arbeitsprozeß Verwendung gefunden hätte. Das Notgesetz vom 4. August 1914 sezte die Arbeiterinnen­schutzgesetze für die Kriegszeit außer Kraft. Der Ausnutzung der Frau stand nun nichts mehr im Wege. Tag- und Nacht-, Sonntags- und Wochentagsarbeit ist gestattet. Ganz gleich, ob die Arbeit große Körperkräfte, besondere Geschick. lichkeit, große Sorgfalt erfordert oder in rein mechanischen Verrichtungen besteht, ob sie geleistet wird im Berg- und Hüttenwerk, in Metall- oder Holzfabriken, in chemischen In­dustrien oder im Schneidergewerbe, im Laden oder in der Landwirtschaft, im Verkehrswesen oder im Staatsbetrieb oder auch in den Höhlen der Heimarbeit; wo Straßenkehrer oder Schornsteinfeger fehlten, überall fand man passende Frauen fräfte als Ersak für die eingezogenen Männer.

Arbeitgeber in allen Erwerbszweigen treten auf und ver­fünden, daß nach Qualität und Menge die Frauenleistungen nicht hinter denen der Männer zurückstehen. Und selbst wenn die Frauen hier und da weniger leisten, stehen dem ander­wärts bessere als die Männerleistungen gegenüber. Dazu tommt die Billigkeit und Willigkeit der Unorganisierten. Wahr lich, die Frauen verdienen das ihnen allseitig gespendete Lob!- Ist es doch sogar möglich geworden, nachdem die Frauen überall ihren Befähigungsnachweis glänzend erbracht hatten, daß man schärfer mit der Einziehung der männlichen Arbeiter zum Heeresdienst vorgehen konnte, in der Gewißheit, voll­wertigen Ersatz in der weiblichen Arbeitskraft zu finden. Und nach dem Kriege? Ei, da wollen die Arbeitgeber, wie Felig Kuh in der Arbeitgeberzeitung" gemütvoll" plauderte, nicht nur die Frauen als wohlfeile Arbeitskraft behalten, nein, ihr Lohn soll auch der Maßstab für die Entlohnung der Männer werden. Wahrlich, da wird es höchste Zeit, daß wir uns eingehend und dauernd mit dem großen Problem der Frauenerwerbsarbeit in seiner Totalität, mit all seinen Ron­sequenzen beschäftigen.

Denn das eine scheint uns sicher zu sein, daß nach dem Kriege, der allen beteiligten Völkern furchtbaren Aderlaß und schwere Wunden brachte, der sie der Verarmung auf Genera­tionen hinaus preisgibt, eine stärkere Verwendung der Frauen­kraft, als vor dem Kriege üblich war, zur Notwendigkeit wird. Zur Notwendigkeit im volkswirtschaftlichen Interesse und im privatwirtschaftlichen der Arbeiter, die aus einer Reihe von Gründen, die wir aus Raummangel hier nicht besprechen können, den Verdienst von Frau und Töchter nicht zu ent­behren vermögen. Ganz zu schweigen von den Kriegerwitwen und-waisen und den Frauen der Verkrüppelten, die durch Lohnarbeit das fehlende Bargeld herbeischaffen müssen.

Angesichts dieser Entwicklung der Dinge wird die politische Mündigkeitserklärung des weiblichen Geschlechts, seine Aus­rüstung mit den Staatsbürgerrechten immer mehr zu einer Lebensnotwendigkeit für die Frauen und für die Arbeiter­klasse. Wie sollen die Frauen ohne direkten Einfluß auf die politische und soziale Entwicklung, auf die staatlichen und fommunalen Maßnahmen, sich ihrer Haut wehren, ihre In­teressen wahrnehmen, geistig und moralisch emporsteigen können? Wie sollen die Arbeiter, unter denen die weiblichen einen immer größeren Bestandteil bilden, ihren wirtschaft­lichen Aufstieg durchsetzen, ihre Anteilnahme am staatlichen Leben erweitern und ihre soziale Befreiung erreichen können, wenn die Frau minderberechtigt und deshalb kein gleichge­rüsteter Kamerad und Kampfgenosse ist?

Und dabei sind der Reformen so viele- alte Forderun gen, deren Erfüllung heute dringlicher denn je ist, auf deren Gestaltung insbesondere die Frauen einen weitgehen­den Einfluß haben müßten. So wäre es wahrlich notwendig, daß namentlich Sozialreform und Bevölkerungspolitik orien­tiert würden nach der stark gesteigerten Frauenerwerbsarbeit, und daß die Frauen doch wohl die am meisten Interes­sierten die Berechtigung zur parlamentarischen und ver­waltenden Mitarbeit erhielten durch die Zuerkennung des demokratischen Wahlrechts. Nach dem Kriege ist es unerläß­

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lich, daß der Arbeiterinnenschuß nicht nur im alten Umfang­das sollte schon jetzt geschehen wiederhergestellt, sondern start erweitert wird. Die Frau müßte als Mensch und Mutter behütet, als Arbeiterin von dem Zuviel an Arbeit entlastet werden. Ebenso bitter not tut die Sicherung und Ausgestaltung des Schutzes der Jugendlichen und Kinder. Die Befreiung der Frau von unökonomischer Hausarbeit durch kommunale Reformen billige, moderne Speise­anstalten, Schulspeisung, kommunale Waschanstalten usw.- und durch eine gründliche Wohnungsreform, die auch im Ar­beiterhaus endlich die technischen Verbesserungen bringt, die im Hause der Besitzenden längst selbstverständliche Einrichtun­gen sind, bedeutet eine weitere Entlastung, und als dritte muß die der Mütter hinzukommen, durch Erweiterung und Aus­bau der gesellschaftlichen Erziehungseinrichtungen Säug­ lingsheime , Kindergärten, Kinderhorte, Schulreform usw. Und bei der Regelung all dieser Dinge sollte die Frau schweigen müssen, während ihr Anteil an der Gesamtleistung der gesellschaftlichen Arbeit immer größer wird? Das wäre ein unwürdiger und darum unerträglicher Zustand, der tiefe Verbitterung erzeugen müßte.

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Die gewerkschaftliche und politische Organisierung der Frauen, ein sittliches Pflichtgebot, um sie vor der Schande des Lohndrückers, vor der Beschämung des Gleichgültigen zu bewahren und sie mit dem erhebenden Bewußtsein treuer Kameradschaft und Kampfbereitschaft zu erfüllen; ihre Durch­dringung mit sozialistischem Geiste, ihre Ausrüstung mit wirt­schaftlicher und politischer Erkenntnis: all das würde unge­mein leichter sein, sobald das weibliche Geschlecht politisch gleichberechtigt ist. Denn die Erfahrung hat wieder und wieder gelehrt, in wie hohem Maße politische Rechte vorzüg­liche politische Erziehungsmittel sind.

Im Interesse der Frauen, der Arbeiterklasse und der ge­samten Stulturentwicklung fordern wir deshalb nachdrück­licher denn je: Gebt uns unsere Staatsbürgerrechte! Unser Rechtsanspruch darauf ist unbestreitbar! Während der Krieg Kulturgüter von Generationen zerstörte, haben wir neue ge­schaffen! Während der Zeit des europäischen Menschen­mordens haben wir Menschen gepflegt, behütet und neuen Menschen das Leben gegeben! Während Völkerhaß und Barbarei den Geist der Menschlichkeit zu ersticken drohte, haben wir die Herzen frei gemacht für ein großes und schönes Erbarmen und unablässig einer Verständigung der Völker das Wort geredet!

Denn uns hat sich in den Schrecknissen des Krieges flarer als je die internationale Solidarität der Völker als geschicht­liche Notwendigkeit enthüllt. Und dies Bewußtsein interna­tionaler Solidarität und des gemeinsamen Fühlens aller so­ zialistischen Frauen der Welt läßt unsere Herzen höher schla­gen. Gibt es uns doch die beglückende Gewißheit, daß unser Ringen um die politische Mündigkeitserklärung des Weibes gleichzeitig eine Vorarbeit für die Verwirklichung der großen sozialistischen Jdeale ist. Denn die vollberechtigte Staatsbürgerin wird ihre historische Aufgabe klarer erkennen und treu erfüllen.

Die Herzen erfüllt von dem schweren Leid um die furcht­baren Opfer des Krieges und doch in unerschütterter sozia­listischer überzeugung, reichen wir im Geiste den Genossinnen aller Länder die treue Schwesterhand. Mit ihnen wissen wir uns eins in dem tiefinnigen Wunsche, daß recht bald die Zeit kommen möge, die uns wieder zusammenführt zu gemein­samer Friedensarbeit für die Befreiung der Frau aus poli­tischer Rechtlosigkeit und wirtschaftlicher Unfreiheit.

Luise Zieß.

Staatsmonopole als Einnahmequelle.

In der Finanznot kommen verschiedene findige Leute auf den Gedanken, Staatsmonopole an Stelle der Steuern zu empfehlen. Auf den ersten Blick scheint das plausibel. Das Monopol bedeutet, daß der Staat die Herstellung und den