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Die Gleichheit

produktive Zwecke als auch durch gerechte Verteilung der Steuerlast. Mit einer bloßen Erschließung neuer Einnahme­quellen ist es nicht getan, und erst recht nicht mit der Emp­fehlung von Monopolen, die genau wie die indirekten Steuern die Lasten der arbeitenden Massen erhöhen.

Die Erwerbslosenfürsorge in der Textilindustrie.

Von Hermann Jäckel, Mitglied des Reichstags.

Der 25. Juli, der 1. und 14. August des Jahres 1915 sowie der 1. Februar 1916 bezeichnen Wendepunkte in der tertilen Produktion Deutschlands während des Krieges. An diesen Tagen übernahm sozusagen die Staatsgewalt nacheinander die Regelung der Anfertigung und des Verschleißes der Tertilartikel. Unternehmer und Arbeiterorganisationen wur­den ausführende Organe. Da diese Maßnahmen verbunden waren mit Einschränkung der Produktion und zunehmender Beschäftigungslosigkeit zahlreicher Textilarbeiter und-arbeite­rinnen, wurde gleichzeitig von Reich, Staat und Gemeinde in Verbindung mit den zahlkräftigen Unternehmern die Verpflichtung einer Versorgung der betreffenden Arbeiter, Angestellten und Kleinunternehmer übernommen. Zum Zwecke dieser Versorgung nahm man in Aussicht: Unter­bringung in andere Industrien und Gewäh­rung materieller Unterstützung.

Die Durchführung einer großzügigen Aktion zum Zwecke der Arbeitervermittlung, wie sie von den Arbeitervertretern unter Zustimmung der Reichsbehörden befürwortet war, schei­terte an dem zunächst passiven, später offenen Widerstand der Unternehmer. Es wird von diesen als Folge der jezigen Ar­beitsvermittlung Arbeitermangel nach dem Kriege befürchtet. Die Arbeitsvermittlung hält sich infolgedessen in sehr beschei­denen Grenzen.

Eine Fülle eifrigster Arbeit erforderte die Durchführung der Unterstüßungsaktion. Soweit Bundesstaaten mit großer Textilindustrie in Frage kommen, ist die Aktion im ganzen jetzt durchgeführt oder in der Durchführung begriffen. Eine Ausnahme machen nur einige preußische Gebiete.

Als erstes Land, das die Angelegenheit regelte, ist Baden zu nennen. Bereits am 15. August 1915 traten die dort aus­gearbeiteten ,, allgemeinen Grundsätze für die Erwerbslosen­fürsorge in der Textilindustrie" in Kraft. Am 1. Oktober 1915 folgte Bayern . Am 15. Oftober 1915 beschloß das säch fische Ministerium seine Grundsäße für die Textilarbeiter­fürsorge für das Königreich Sachsen". Neuß jüngere Linie folgte am 20. November 1915, Reuß ältere Linie am 14. De­zember 1915. Später wurden die diesbezüglichen Beschlüsse bes württembergischen Ministeriums veröffentlicht. Sodann folgte Sachsen- Meiningen . Das preußische Ministerium des Innern und das preußische Finanzministerium forderten durch Rundschreiben im Januar die nachgeordneten Organe zur Durchführung der Unterstüßungsaktion auf. In Preußen überwies man aber diese Durchführung ausschließlich den Regierungspräsidenten, ohne daß man irgendwelche allge­meinen Grundsätze umterbreitet hätte, die aus gemeinsamen Beratungen der Regierung, der Unternehmer- und Arbeiter­organisationen sowie der Gemeindevertretungen hervorge­gangen wären. In der Folge ging die Regelung der Sache in Preußen äußerst langsam und schwierig vonstatten. Auch das Reichsamt des Innern hatte zunächst versäumt, den in Frage kommenden einzelstaatlichen Verwaltungsbehörden irgendwelche Mitteilungen zu machen über die Höhe des in Aussicht gestellten Reichszuschusses. Erst durch Bundesrats­beschluß vom 18. November 1915 wurde das festgelegt und dann weiteren Kreisen folgendes mitgeteilt:

,, Mit Rücksicht darauf, daß die Arbeitseinschränkungen im Tertilgewerbe mit Maßnahmen der Heeresverwaltung zusam­menhängen, geht die Beteiligung des Reiches über das bei der

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allgemeinen Kriegswohlfahrtspflege als regelmäßige Höchst­grenze für die Beihilfe des Reiches festgesezte Drittel hinaus bis zur Hälfte des Gesamtaufwandes. Für einzelne Bezirke oder Gemeinden, in denen die Textilindustrie das Hauptge­werbe bildet, kann durch Beschluß des Bundesrats bis zu zwei Dritteln, ausnahmsweise beim Vorliegen eines besonderen Notstandes bis zu drei Vierteln des Gesamtaufwandes be­willigt werden. Für Teile des Reiches, die im Kriegsopera­tionsgebiet liegen, darf auch diese Grenze noch überschritten werden. Als Zeitpunkt für den Beginn der Fürsorge ist der 1. Oktober 1915 festgesetzt."

Auf Grund dieses Bundesratsbeschlusses geht die Beteili­gung des Reiches im Königreich Sachsen nicht unter 50 Pro­zent des Gesamtaufwandes, sie steigt in sehr vielen Bezirken auf 662, Prozent, und in besonders finanziell schwachen oder sonst start in Mitleidenschaft gezogenen Gemeinden bis auf 75 Prozent. Für Preußen ist nach einem Rundschreiben des Ministeriums durchgängig der Reichszuschuß nicht unter 50 Prozent festgelegt worden. Außerdem wird hier den Gemein­den regelmäßig ein Drittel der Gesamtaufwendungen aus Staatsmitteln erstattet, so daß den Gemeinden und Gemeinde­verbänden höchstens ein Sechstel dieser Aufwendungen zu eigenen Lasten verbleibt. Zu diesem Sechstel tragen dann in vielen Fällen die Unternehmer noch die Hälfte bei. Ähnlich ist die Verteilung der Lasten in den anderen Bundesstaaten. Einen großen Mangel weist das Regulativ für Württemberg auf, indem es die Gewährung der besonderen Textilarbeiter­fürsorge" abhängig macht von der Beteiligung des Unter­nehmers an der Beitragsleistung. Es ist damit besonders fil­zigen Unternehmern die Möglichkeit gegeben, die schönsten Gefeßesbestimmungen für ihre Arbeiter unwirksam zu machen.

Die Berechnung der Unterstügung ist sehr ver­schieden. Während im Regierungsbezirk Frankfurt a. d. D., im Großherzogtum Sachsen- Meiningen und im Königreich Bayern die Person bei der Berechnung als Einheit gilt und zugrunde gelegt wird, ist es im Regierungsbezirk Aachen , in Krefeld , im Königreich Sachsen, in Württemberg, in Reuß jüngere Linie und Reuß ältere Linie die Familie. Dort, wo die Person als Einheit der Berechnung zugrunde gelegt wurde, erhöht sich die Unterstützungssumme für die Familie immer dann, wenn Mann und Frau zusammen durch regel­mäßige Arbeit für den Unterhalt der Familie beigetragen haben. Da die Mehrzahl der Tertilarbeiterfrauen gewerb­licher Arbeit nachzugehen genötigt war, hat die Mehrzahl der Tertilarbeiterfamilien von dieser Berechnungsart Vorteil.

Die Organisation der ganzen Unterstützungsaktion ist gleichfalls nicht einheitlich über das Reich durchgeführt. In Württemberg ist es jeder einzelnen Gemeinde überlassen, ob fie die Erwerbslosenfürsorge für Tertilarbeiter einführen will; Art und Höhe der Unterstüßung sowie sonstige verwal­tungstechnische Bestimmungen hat jede für sich zu beschließen. Im Königreich Sachsen ist durch Beschluß des Ministeriums die Bildung von Kommunalverbänden angeordnet. Ein amts­hauptmannschaftlicher Bezirk bildet in der Regel einen solchen Verband. Auch die Städte mit revidierter Städteordnung sind vielfach in diese Verbände einbezogen. Der Kommunal­verband ist der Träger der Unterstüßung. Die Beiträge der Unternehmer fließen an einer Hauptstelle zusammen und werden von dieser gleichmäßig an die Gemeinden und Ver­bände verteilt. ( Schluß folgt.)

Um das Frauenwahlrecht in Holland .

Nachdem Ende des vorigen Jahres der Entwurf zu einer Verfassungsänderung in Holland erschienen war, wanderte durch die ausländische Presse die Nachricht, die holländische Regierung plane die Einführung des Frauenwahlrechts. So einfach liegt die Sache indessen nicht. Der Entwurf bringt mohl den Männern das allgemeine Wahlrecht, und zwar vom 23. Jahre an, eine Altersgrenze, die entschieden zu hoch ist. Was die Frauen anbetrifft, so überläßt der Entwurf es dem