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Die Gleichheit

Wir haben das erlebt. Es waren Frauen der kriegführenden Länder, die über die blutdampfenden Schlachtfelder hinweg einander zuerst die Hand reichten. Die sozialistischen Frauen taten es fraft ihrer geschichtlichen Einsicht in das Wesen, die Ursachen des Weltkriegs. Aber auch bürgerliche Frauen famen international zusammen und erklärten, daß ihnen die Menschheit höher als die Nation stehe. Genossin Wibaut ge­dachte in diesem Zusammenhang der Genossinnen Rosa Luremburg, Klara Zetkin, Luise Saumoneau und vieler Un­genannter, die ihr Leben für den Frieden, für den Sozialis­mus geben würden. Wollt ihr", so rief unsere Genossin aus, die große Seele der Frauen nicht in die Gesellschaft aufnehmen? Was nügt uns aber die schönste Resolution, wenn der Wille zur Tat fehlt!" Der lebhafte Beifall des Kongresses war die Kundgebung des Willens zur Tat.

So wird nun die sozialdemokratische Partei für die Ein­führung des Frauenwahlrechts durch die Verfassung kämpfen. Man wird sich aber nicht damit begnügen, die Frauen mit ihrer Rechtsforderung in die allgemeine große Aktion der Partei für die neue Verfassung einzubeziehen. Man wird auch einen besonderen Frauen monat" festseßen, in dem jede örtliche Parteiorganisation eine öffentliche Versammlung für diese Forderung abzuhalten hat, ein Monat, dessen Veran­staltungen in einem Frauentag ausklingen sollen. Unsere Frauenklubs find schon mit Vorbereitungen zur Straßen­agitation mit Flugschriften, dem Frauenblatt usw. beschäf­tigt. Wenn die holländischen Genossinnen in diesen schweren Zeiten Kraft und Energie finden zu einem starken Vorstoß für das Wahlrecht, so ist es nur, weil sie von dem Gedanken ge­tragen werden, daß sie sich damit eine Waffe erobern können, die sie brauchen werden, um neben und mit den Genossinnen der anderen Länder den Kampf zu führen gegen den Krieg, für den Völkerfrieden, für eine höhere Gesellschaftsordnung. H.A.

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wird. Durch eine frühzeitige und übermäßige Kraftverausgabung der jugendlichen Arbeiter wird ferner auch ihre förperliche und geistige Weiterentwicklung gehemmt. Besonders in Fabrikbetrieben, in denen diese Kleinen in den Lagerabteilungen beschäftigt wer­den, find die gesundheitlichen Schädigungen für ihren noch zarten Organismus augenfällig. Diese Lagerabteilungen schließen sich allzuoft noch den eigentlichen Erzeugungsräumen unmittelbar an. Giftige Dämpfe( wie zum Beispiel in der Metallindustrie) und andere schädliche chemische Verflüchtigungen finden so freien Zu­tritt in die Lagerräume.

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Die Unternehmer verstehen auch noch in anderer Hinsicht, sich die kindliche Arbeitskraft nuzbar zu machen. Nachdem der jugend­liche Arbeiter sich eingearbeitet hat, dient er oft als Ersatz für den älteren, teureren Arbeiter. Nach einem Grund der Entlassung des älteren Arbeiters ist das Unternehmertum nicht verlegen. Wegen Arbeitsmangel oder ähnlichem wird der ältere und teurere Ar­beiter entlassen und der junge und billigere Arbeiter kann an seine Stelle aufrüden. Letzterer hat sich aber nur so lange der Gunst des Chefs zu erfreuen, als er seine finanziellen Ansprüche zu er­höhen nicht genötigt ist; dann geht es ihm wie seinem Vorgänger. Auf Grund dieser der kapitalistischen Wirtschaftsweise ent­springenden Zustände erwächst für die Proletariermütter wie für die erwachsene Arbeiterschaft überhaupt die Pflicht, auch die jugendlichen ungelernten Arbeiter den einschlägigen gewerkschaft­lichen Organisationen als Mitglieder zuzuführen. Diese bieten den jugendlichen Arbeitern Schutz vor übermäßiger Ausbeutung durch das Unternehmertum und Belehrung über die Gefahren des werktätigen Lebens. Gerade jetzt in der Kriegszeit muß manche junge Hilfskraft eine ältere ersetzen und bietet sich dadurch die beste Gelegenheit, auch die jugendlichen Arbeiter der modernen Arbeiterbewegung zuzuführen. Einschlägige Organisationen für ungelernte Arbeiter sind der Fabritarbeiterverband und der Deutsche Transportarbeiterverband. H. B.

Aus der Bewegung.

Margarete Wengels zum 60. Geburtstag. Am 29. Februar hat in Berlin Genossin Margarete Wengels ihren sech­

Jugendliche Arbeiter und ungelernte Arbeit. zigsten Geburtstag gefeiert. Ein Schalttagskind, fast dünkt uns das

Ein Beitrag zur Berufswahl.

Wieder naht die Zeit der Schulentlassungen, in der die Sehn­sucht so mancher Mutter, daß ihr Großer endlich etwas mitverdie­nen wird, der Erfüllung entgegengeht. Schon in der Friedenszeit war das schmale Einkommen der proletarischen Familie die Ur­sache, daß viele Arbeitereltern es sich versagen mußten, ihre Nach­tommen ein Handwerk erlernen zu lassen. Die Entschädigung, die der Lehrherr den Eltern seiner Lehrlinge zahlt, ist so gering, daß fie nicht einmal für das Nahrungsbedürfnis des Lehrlings aus­reicht. Aber auch die eigentliche Lehrtätigkeit spielt für den Lehr­herrn oft nur eine untergeordnete Rolle, weil ihm der Lehrling eine billige Arbeitskraft bietet. Diese Tatsachen fallen jetzt in der schweren Kriegszeit doppelt ins Gewicht. Viele Väter der aus der Schule kommenden Knaben stehen im Felde, und die Unterstützung, die die Mutter erhält, reicht noch immer bei weitem nicht aus, um eine gesunde Familienernährung zu ermöglichen. Im Hinblick dar­auf ist es erklärlich, daß viele Mütter bemüht find, eine möglichst lohnende Arbeitsstelle für ihre Lieben zu erhalten.

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In den Lagerabteilungen der Fabrikbetriebe und im Handels-, Transport- und Verkehrsgewerbe finden die jugendlichen Arbeiter als ungelernte Arbeiterin erster Linie eine Unterkunft. Wie der Lehrherr, genau so wollen aber auch diese Unternehmer an den jungen- Leuten profitieren. Das gelingt ihnen um so leichter, als dem jugendlichen Arbeiter die Ausnüßung seiner findlichen Ar­beitskraft noch nicht zum Bewußtsein kommt. Auch die Mutter eines solchen fleinen Arbeitssklaven ist meist hocherfreut über die schöne Stelle, verdient ihr Sohn doch schon mehr, als er im letzten Jahre seiner eventuellen Lehrzeit verdienen würde.

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Was sind aber die Folgen für die Zukunft? Durch das zurzeit verhältnismäßig höhere Lohneinkommen auch der jugendlichen un­gelernten Arbeiter speziell in der Rüstungsindustrie wird sich das Heer der ungelernten Arbeiter weit über den Durchschnitt der Friedensjahre hinaus vermehren. Ob auch das Lohneinkommen gleich hoch bleiben wird, ist sehr zweifelhaft. Alle Anzeichen weisen vielmehr darauf hin, daß sich nach dem Kriege ein Überangebot von ungelernten Arbeitern auf dem Arbeitsmarkt einstellen dürfte, infolgedessen das Lohnniveau eine stark fallende Kurve aufweisen

ein Symbol: Frauen ihrer Art sind leider noch selten. Genossin Wengels ist geradezu eine Verkörperung der besten proletarischen Kampfestugenden. Von dem Augenblid an, wo sie mit Herz und Hirn den Sozialismus erfaßt hat, wo es ihr zur unerschütter­lichen Überzeugung geworden war, nur in diesem seinem Zeichen kann die Arbeiterklasse Freiheit, volles Menschentum erringen: hat sie ihm mit einem Eifer gedient, den Schwierigkeiten und Ge­fahren nicht schrecken, und dem Opfern Freude ist. In jahrzehnte­langem mühereichem Arbeiten und Kämpfen hat sie sich ihm gans gegeben, ohne nach Anerkennung und Lohn zu fragen, ohne sich durch gehäufte Pflichtbürde und manchen schmerzlichen Verzicht hemmen zu lassen. Denn diese Kämpferin und Führerin hat den ganzen Kreislauf der Aufgaben und Sorgen einer Arbeiterfrau erlebt. In der Enge echt proletarischer Verhältnisse, zur Erwerbs­arbeit gezwungen, hat sie acht Kinder erzogen, und sie darf sich rühmen, daß sie alle überzeugt dem Sozialismus anhangen.

Genoffin Wengels' Sinnen war von Anfang an darauf gerichtet, die Frauen des arbeitenden Volkes dem Heer des sozialistischen Proletariats zuzuführen. Niemand hat mehr als sie getan, um die proletarische Frauenbewegung Berlins zu schaffen, zu entwickeln und zu heben, sie mit grundsätzlicher Klarheit und Festigkeit zu erfüllen, ihr eine starke Aftionskraft zu verleihen. Wenn diese Be­wegung vorbildlich für Streben und Wirken der Genossinnen in ganz Deutschland werden konnte, so ist das vor allem mit Marga­ rete Wengels Verdienst. Es hieße die Geschichte unserer Berliner Frauenbewegung schreiben, wollten wir auch nur summarisch auf­zählen, was Genoffin Wengels mit Rat und Tat gewirkt hat. Auf verantwortlichem Posten und schlicht in Reih' und Glied; vor der Offentlichkeit wie im stillen, denn Margarete Wengels gehört zu jenen, denen es genügt, daß geschieht, was ihrer Überzeugung nach geschehen muß, auch ohne daß ihr Name dabei genannt wird. Wie oft ist sie bescheiden im Dunkeln geblieben, wenn sie die frucht­barsten Anregungen gegeben, wichtige Entscheidungen herbeige­führt hatte!

Bei dem Erfassen der Frauenfrage als eines Teiles der sozialen Frage, wie es Genoffin Wengels auszeichnet, versteht es sich von selbst, daß diese jederzeit einen ebenso verständnisvollen wie ener­gischen Anteil an der allgemeinen sozialdemokratischen Bewegung