130 Die Gleichheit Nr. 17 die Arbeiterinnen des hohen Wertes der Organisation bewuht wer­den und auch Opfer dafür bringen. Allerdings ist auch ein anderes zuzugeben. Manche gewerkschaftliche Organisationen haben noch nicht genügend getan, um die gerade in der Gegenwart so hoch­wichtige Einbeziehung der Arbeiterinnen zu fördern. Es steht zu erwarten, daß in nächster Zeit eine lebhaftere Agitation zur Ge­winnung der Arbeiterinnen einsetzen wird. Diese Tätigkeit mit aller Kraft zu unterstützen, ist selbstverständiche Pflicht der Genos­sinnen. Finanziell haben sich die Gewerkschaften all­gemein besser gehalten. Das läßt hoffen, daß die Organi­sationen nach dem Kriege in der Lage sein werden, dem Ansturm zur Herabdrückung der Löhne und Verschlechterung der Arbeits­bedingungen die Spitz« zu bieten. Trotz großer Ausgaben für Unter­stützungen der Kriegsteilnehmer und ihrer Familien und trotz er­heblich verringerter Beitragseinnahmen sind die Kassenabschlüsse rein rechnerisch nicht ungünstig. Die Beitragszahlungen pro Mit­glied waren in der Kriegszeit nicht geringer, vielfach sogar höher als vordem. Die Kassenbestände nahmen wenig oder gar nicht ab. Illlerdings gibt der Grund dafür zu denken: Die großen Ausgaben für Streiks und Lohnbewegungen fielen ganz fort und die Arbeits­losenunterstützungen verringerten sich stark. Mit anderen Worten: die gewerkschaftliche Aktion war schwächer und weniger umfang­reich als im Frieden. Teuerungszulagen wurden mit Ablauf der jetzt bestehen­den Lohntarife von den Organisationen häufig verlangt, wenn die Tarife verlängert werden sollten. Doch überall mit geringem Er­folg. Die Unternehmer wollen nur einige wenige Pfennige mit Ach und Krach bewilligen, eine Zulage, die denn doch in gar zu schreiendem Mißverhältnis zur jetzigen Teuerung steht. Im Bau­gewerbe kam es deswegen bekanntlich zu keiner Einigung, auch im Buchbindergewerbe und im Schneidergewerbe nicht. Für das Portefeuillergewerbe wurde in den Städten Nürnberg , Stuttgart und Berlin ein« Verstän­digung erzielt, während sich die Verhandlungen im Frankfurt - Offenbacher Lohngebiet wegen eines Pfennig? zerschlugen. Auch der A r b e i t e r i n n e n ist bei den Forderungen beziehungs­weise Abmachungen gedacht worden; die Teuerungszulagen betragen wöchentlich 2 bis g Mk. Wichtig ist, daß der Sattler, und Porte- feuillerverband Mindest st undenlöhne für Handnähe­rinnen auf Sattlerarbeiten für die Heeresver­waltung vereinbart hat. Damit soll dem Lohndruck durch die Unternehmer vorgebeugt werden. Wer als Handnäherin auf Sattlerarbeiten beschäftigt ist, erkundige sich bei den örtlichen Ver­waltungsstellen nach dem für seine Arbeit festgesetzten Lohn, da­mit er nicht übervorteilt wird. Eine für die Arbeiter und Arbeiterinnen einschneidende Ver­ordnung ist durch die Militärbehörden für das Schneider­gewerbe getroffen worden. Durch die Beschlagnahme der Web-, Wirk- und Strickstoff« ist die Arbeitsgelegenheit für diese Berufs­angehörigen sehr herabgemindert worden. Um eine massenhafte Entlassung der Arbeiter und Arbeiterinnen zu verhindern, ist die Arbeitszeit auf wöchentlich 40 Stunden herabgesetzt worden; zu­gleich wurde verfügt, daß das Personal nicht entlassen werden darf. So günstig diese Verordnung auch auf die Arbeitslosigkeit einwirkt, so verursacht sie doch für die vielen tausende Arbeiter und Arbeite­rinnen im Schneidergewerbe einen empfindlichen VerdienstauSfall, der durch nichts ausgeglichen wird. Im Malergewerbe sind unter dem Druck der Lage die tarifuntreuen Unternehmer von Rheinland-Westfalen zur Ordnung angehalten worden. Beim letzten Tarifabschluß hatten dies« Herren den Tarifabschluß nicht anerkannt. Auch der Tarif­spruch der Unparteiischen konnte sie nicht zur Räson bringen. Sie mußten daher vom Unternehmerverband ausgeschlossen werden. Jetzt haben auch diese renitenten Unternehmer den Tarif aner­kannt, und sie bewilligten sogar die Teuerungszulage, die bei den letzten Tarifverhandlungen den Arbeitern zuerkannt worden war. Gegen die Erhöhung der Tabaksteuer wehren sich nun auch die graphischen Gewerb« in einer Eingabe an die Reichsregierung. In diesen Gewerben werden 10 12 000 Arbeits­kräfte mit; der Herstellung von Hilfsfabrikaten für die Tabakindu­strie beschäftigt, wie Rekamedrucksachen, Packungen und Ausstat­tungen. Die geplante starke Erhöhung der Tabaksteuer würde naturgemäß eine erhebliche Einschränkung dieser Reklamefabrikate herbeiführen, also eine schwere Schädigung der betreffenden Ge­werbezweige. Die Nutzanwendung dieser Tatsache liegt auf der Hand: keine weitere Belastung der Tabakindustrie. G Notizenteil. Für den Frieden. Die französische Parteioppositiou auf dem Vormarsch. Noch immer fehlen Einzelheiten und eine genaue Darstellung der Sitzung des Nationalrats der französischen Partei. Fest steht nach wie vor nur das eine, daß die Opposition gegen die sozialpatriotische Mehr­heitspolitik im Wachsen begriffen ist, sich sammelt, klärt und be­festigt. Ein Drittel der Delegierten haben gegen die Mehrheit ge­stimmt. Freilich ist diese Opposition noch lange nicht genug ent­schieden und prinzipiell sozialistisch. Ihre Führer sind Longuet und Pressemane, die die Pflicht der nationalen Verteidigung betonen und statt die Friedensaktion in die Hand der sozialistisch aufzu­klärenden Massen zu legen, sie von den Instanzen erwarten, von dem Zusammentreten des Internationalen Sozialistischen Bureaus, also von den Verhandlungen der Führer. ES ist nichts Näheres be­kannt, wie sich die entschiedene Opposition, deren Führer Bour- deron und der Gewerkschaftler Merxheim sind, zu der Resolu­tion Longuets Verhalten hat. Man weiß nicht, ob ihre Stimmen in den 000 mitzuzählen sind oder nicht. Indes, mag noch so viel zu wünschen übrigbleiben, eines ist klar erwiesen: die Tage des Sozial­patriotismus sind auch in Frankreich gezählt. Der Boden schwindet den einstigen Führern unter den Füßen. Wie stark sich die Opposi­tion bereits weiß, beweist die Gründung eines Wochenblattes der Minderheit. Das Blatt hat den Titel l-e k'opulairs(Der Volks- tümliche) und will im Sinne des Internationalismus und der inter­nationalen Verständigung wirken. Seine Leitung liegt in den Hän­den des Genossen Jean Longuet , des Abgeordneten der Seine. Noch erfreulicher, weil im Geiste vollster Aktivität und Entschie­denheit gehalten, ist das Flugblatt, das die Parteimitglieder ver­breitet haben, die demKomitee zur Wiederherstellung der inter­nationalen proletarischen Beziehungen' angehören. Die Flugschrift weist zunächst darauf hin, daß die Vertreter der beiden bedeutendsten Sektionen der Arbeiterintemationale die deutsche und die fran­ zösische Sektion durch ihre Stellungnahme zum Krieg und zu ihren Regierungen ihre glorreiche Vergangenheit verleugnet hätten. Der Rekord des Versagens sei von den französischen Kührern ge­schlagen worden, indem sie jeden Vorschlag einer geineinsamen Aktion ablehnten.Aber den Fehler aller Fehler,' heißt es in dem Aufruf weiter,das Verbrechen aller Verbrechen haben die Parteiführer begangen, als sie... die internationale Solidarität der Arbeiter­klasse opferten. Dieser höchste Verrat hat das sozialistische Ge­wissen Frankreichs geweckt...' Der Aufruf fährt fort:Wir richten diese bitteren Worte keineswegs im Namen irgendwelcher Überlegenheit an euch, von der wir uns frei wissen. Unsere ein- zigeüberlegenheit ist die der sozialistischenüberzeugung, der wir treu bleiben wollen, selbst um den Preis unseres Lebens, wenn eS sein muß, und die für uns alle bei unserer Aktion wegleitend sein soll____' Der Aufruf schließt mit folgenden Worten:Genossenl Freunde der Föderationen und Sektionen! Ihr werdet dem nationalistischen und opportunistischen Sozialismus zu­rufen: Zurück! Ihr werdet bis ans Ende die Internationale ver­teidigen, dieses echte Baterland der Zukunft. Indem ihr so handelt, rettet ihr die Ehre des französischen Sozialismus und die höheren und dauernden Interessen des französischen Volles, ihr werdet da­durch das Leben Hunderttausender von menschlichen Wesen retten! Es lebe der Sozialismus! Es lebe die Internationale!' Durch das Fortschreiten der Opposition in Frankreich , einer Opposition, die sowohl an Geist wie an Ausdehnung gewinnt, werden iinmer mehr die Bedingungen geschaffen, die eine internationale proletarische Aktion für den Frieden in den Bereich der nahen Möglichkeit rücken. Der Friedensfeldzug der englischen Sozialisten. Der Aufruf der Unabhängigen Arbeiterpartei, von der wir schon berichteten, hat begeistert« Aufnahme gefunden. Die Sondernum­mer de»Labour Leader" wurde in 250 000 Exemplaren mit großem Erfolg verteilt. Ein« Wahlversammlung im Hhdepark, die von 1000 Personen besucht war, nahm gegen zwei Stimmen eine Resolution an, die die Regierung auffordert, die erste Gelegenheit zu benutzen, um über einen ehrenhaften Frieden zu unterhandeln. Eine gleiche Resolution wurde in Keir Hardies altem Wahlkreis von über 3000 Personen einstimmig angenommen. Die Sammlung zur Unterstützung der Flugblattpropaganda nimmt einen günstigen Fortgang. Ein liberaler Leser schrieb demLabour Leader": Ich bin gewiß, daß unter Tausenden unserer Landsleute, die wohl schweigen, aber denken, die tiefe Uberzeugung wächst, daß es Zeit ist, etwas zu tun, um der allgemeinen Schlächterei ein Ende zu machen.'