Nr. 17

Die Gleichheit

Natürlich hat diese steigende Welle sozialistischer Friedenspropa­ganda die Staatsmacht und alle reaktionäre Kräfte auf die Beine gebracht. Das ist mit als ein Erfolg dieser Propaganda anzu­sprechen, daß sie alle Jllufionen von Demokratie und persönlicher Freiheit unter der englischen Arbeiterschaft rücksichtslos zerstört. Sie bewirkt nämlich, daß die Behörden sich die Larve vom Gesicht reißen, indem sie mit voller Brutalität gegen die unbequemen Friedensagitatoren vorgehen. So ist denn die Polizei in die Druckerei der National Labour Preß" eingedrungen und hat die Druckschriften beschlagnahmt. In dem Prozeß gegen die GI a&- gower Genossen ist es zu unerhörten Schreckensurteilen gekom­men. Am 11. April stand der frühere Lehrer John Maclean   bor  den Geschworenen von Glasgow  . Er war angeklagt, in sechs im Januar gehaltenen Reden Äußerungen getan zu haben, die der Rekrutierung zu schaden und Aufruhr und Aufstand zu erzeugen, die Zivilbevölkerung aufzureizen und die Produktion und den Transport von Kriegsmaterial zu hindern und zu verzögern such­ten. Der Kronzeuge war ein Detektiv. Der Vorsitzende einer der Bersammlungen erklärte den Bericht des Detektivs für falsch, ebenso sagten dreißig andere Zeugen aus. Der Angeklagte gab nur zu, von den blutigen englischen Kapitalisten" gesprochen zu haben, was eine klassische Redensart" sei. Auch habe er vom Mörder Asquith  " gesprochen. Er sei ebenso bereit, in jedem Augenblic Lloyd George   einen Lügner nennen und das zu beweisen.

Der Angeklagte wurde am zweiten Tage zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Verkündigung rief eine ungeheure Erregung hervor. Das Publikum sang die Rote Fahne". Vier von den Demonstranten wurden sofort verhaftet. Sie wurden schon am nächsten Tag vor Gericht gestellt und zu einer Geldbuße von 2 Pfund verurteilt. Hierauf wurde die Verhandlung gegen die Herausgeber des Worker", die Genossen Walter Bell, Gallacher und John Muir   begonnen. Die Angeklagten erklärten die Behauptung für falsch, daß das Komitee der Arbeiter von Clyde den Streit anstrebe. Das gerade Gegen­teil sei wahr. Die Angeklagten wurden schuldig gesprochen, in einem Artikel zum Aufruhr und zur Behinderung der Mu­nitionsproduktion aufgefordert zu haben. Gal­lacher, der Vorsitzende des Arbeiterkomitees, und Muir, Heraus­geber des Worker", wurden zu zwölf Monaten, Bell, der Direktor des Sozialist Labour Preß" zu drei Monaten ver­urteilt. Als mildernd wurde angenommen, daß die Angeklagten die Veröffentlichung des Artikels bedauert hatten.

In Glasgow   ist jetzt auch die Versammlungsfreiheit aufgehoben. Ein Protestmeeting gegen die neuliche Depor­tierung von Frauen wurde verboten, ebenso ein Straßenumzug. Eine Versammlung des Trades Council( Gewerkschaftskartells) von Glasgow   beschloß, juristische Schritte gegen das Versamm­lungsverbot zu unternehmen.

Von einer Frauenkundgebung in London   gegen die Reichs­verteidigungsakte, das Munitionsgesetz und das Wehrpflicht­gesetz berichten die Tagesblätter. Die Protestversammlung soll vom Verband für das Frauenwahlrecht unter Führung von Fräulein Pankhurst veranstaltet worden sein. Sie wurde, wie es heißt, von einer wild erregten Menge gesprengt. Die Sache scheint untlar, Fräulein Pankhurst zählte nach Zeitungsmeldungen früher zu den eifrigsten Verteidigerinnen des Krieges. Sollte sie nach vorwärts umgelernt" haben und nicht nach rüdwärts, wie so viele?

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

Der Frauentag in Holland  . Unsere Leserinnen wissen, daß dieses Jahr dem Frauentag in Holland   besondere Wichtigkeit zu­fam. über seinen Verlauf ist uns noch kein eigener Bericht zuge= gangen. Der Vorwärts" schrieb darüber:

Der holländische Frauentag stand heuer im Zeichen einer be­sonderen Kampfesstimmung. Denn der Frauentag, von der sozia­ listischen   Fraueninternationale vor allem als Demonstration für die Rechte der proletarischen Frau gedacht, war diesmal ein Propa­gandatag bon aktueller Bedeutung für die Genossinnen Hollands. Enthält der von der Regierung der Kammer vorgelegte Entwurf auf Verfassungsänderung auch keine feste und bindende Formel für das Frauenwahlrecht, so ist darin doch von dieser Stelle zum erstenmal für Holland   die prinzipielle Anerkennung des politischen Grundrechts für die Frau ausgedrückt. Es ist erst ein vages Versprechen und eine Aussicht aber die sozialistischen   und allem Anschein nach auch die bürgerlichen Frauen sind entschlossen, alle Kraft einzusetzen, um der offiziellen theoretischen Anerkennung auch die praktische Durchsetzung ihres Rechts folgen zu lassen. So

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wurde denn der gestrige Frauentag, dem eine äußerst rührige Pro­paganda vorgearbeitet hatte, zu einer wirkungsvollen Betonung des proletarischen Frauenwillens, dessen Ernst und Kraft sich auch allenthalben in einer Massenbeteiligung der Frauen aussprach. Neben dieser Kundgebung für die politische Gleichberechtigung galt die Demonstration der Frauen Hollands diesmal in ganz beson­derem Maße der Betonung der internationalen Solidarität und der Friedensidee, und überall, wo sie zur Aussprache kamen so namentlich nach der Verlesung des Schreibens von Klara Bettin in der Amsterdamer Versammlung fanden sie ein begeister­tes, demonstratives Echo. Auch gedachten die Redner und Redne­rinnen mit warmer Anerkennung der sozialdemokratischen Frauen neutraler und triegführender Länder, namentlich in Deutschland  und Österreich  , die trotz aller Schwierigkeiten am Frauentag und am internationalen Gedanken unbeirrt festhielten.

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In Amsterdam   wurden in zwei der größten Säle der Stadt Versamlungen abgehalten. Es sprachen überall Redner und Redne­rinnen; denn, wie der Parteivorsitzende in der Amsterdamer Ver­sammlung hervorhob, sei das Frauenwahlrecht nicht Sache der Frauen allein, sondern als sozialdemokratische Forderung, Sache der ganzen Partei. Unter den Argumenten, die Redner und Redne­rinnen für das politische Recht der Frau anführten, fand jenes den stärksten Widerhall, das die Frauen und Mütter als die besten Anwälte des Friedens, als unerbittliche und natürliche Streite= rinnen gegen den Krieg erscheinen läßt. In allen Versammlungen wurde eine gleichlautende.auf die Frauenwahlrechtsforderung be­zügliche Resolution angenommen. Die Amsterdamer   Ver­sammlung beschloß einen Umzug durch die Hauptstraßen der Stadt. Der riesige Zug mit den Tausenden mit roten Schleifen geschmück­ten, singenden und demonstrierenden Frauen bot ein prächtiges, Aufsehen erregendes Bild. Auch die Nachrichten aus den größeren Provinzstädten deuten alle auf einen vollen Erfolg des holländi­schen Frauentages."

Der sozialistische Frauentag in Ungarn  . Der Frauentag, der in Ungarn   am 26. März abgehalten worden ist, hat im allgemeinen einen über alles Erwarten glänzenden Verlauf genommen. So­wohl in Budapest   wie auch in den Provinzstädten Preßburg  , Raal, Großwardein  , Szegedin  , Hodmezöbasar­hely und Kiskunhalas   fanden feierliche Veranstaltungen statt, in Temesvar   und Fünfkirchen   waren sie dagegen po= lizeilich verboten worden. Die Frauentagsfeier erfreute sich überall eines vorzüglichen Besuchs. Sie brachte außer musikalischen Dar­bietungen Vorträge und Ansprachen, die die Bedeutung des Tages aufzeigten. In mehreren Versammlungen sprachen Männer und Frauen. Wie ein roter Faden zog sich durch alle Ausführungen der Gedanke, daß die umgewälzte wirtschaftliche Tätigkeit der Frau nun auch zu einer anderen politischen, rechtlichen Stellung führen müsse. Die Frau, die aus dem engen Kreis des Hauses in die kapi­talistische Wirtschaft der Gesellschaft gedrängt worden sei und draußen in der Öffentlichkeit Interessen zu verteidigen habe, müsse in Gestalt voller politischer Rechte die Möglichkeit erhalten, an der Gesetzgebung, an allen sozialen Aufgaben mitzuarbeiten. Die Notwendigkeit, der Nutzen solcher Mitarbeit wurde start be= tont. Es versteht sich, daß im Zusammenhang der aufgerollten Frage auch andere dringende Reformforderungen begründet wur­den: gesetzlicher Arbeiterinnen-, Mutter- und Kinderschutz; gleicher Lohn für gleiche Leistung; gesellschaftliche Erziehungs- und Bil­dungseinrichtungen; kommunale und staatliche Maßnahmen, um Hauswirtschaft und Kinderpflege zu erleichtern usw. Kurz, die Rednerinnen und Redner zeigten an dem, was ist, und an dem, was sein sollte und heute schon sein könnte, daß für die Frauen der breitesten arbeitenden Massen der Besitz vollen, unbeschränk­ten Bürgerrechts zu einem immer dringenderen Gebot wird. Nie haben die Frauen ihre politische Rechtlosigkeit schwerer empfunden, aber auch nie die Notwendigkeit ihrer überwindung klarer erkannt, als gerade jetzt. In warmen, begeisternden Worten wurde allent­halben der internationalen Solidarität der proletarischer Frauen aller Länder Ausdruck verliehen und Grüße ausgesprochen, die über die trennenden Schranken hinweg den Schwestern die Sehn­sucht kundgeben sollen, mit der wir der Stunde harren, da wir uns wieder in gemeinsamer Arbeit für die Ideale des Sozialismus vereinigen können, die auch diese furchtbare Zeit in uns nicht niederzuringen vermochte. E. G.

Frauenstimmrecht.

Die Demokratie der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung Deutschlands   hat begonnen, sich zu sammeln. In Frankfurt   a. M. tagte am 15. und 16. April die Erste Konferenz des Deutschen