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Die Gleichheit

Frauenstimmrechtsbundes, der als linker Flügel der deutschen  Frauenstimmrechtsbewegung in seinen Sagungen die Forderung des allgemeinen, gleichen, diretten, geheimen aktiven und passiven Wahlrechts aufstellt. Eine große Anzahl Delegierter aus allen Teilen des Reiches nahmen an der Konferenz teil, darunter auch die Delegierten der Drtsgruppen, die sich nach der Entscheidung in Weimar   vom Deutschen   Verband für Frauenstimmrecht losgelöst und dem demokratischen Bund angeschlossen haben. Die Gründe­rinnen der deutschen   Frauenstimmrechtsbewegung, Minna Cauer  , Dr. Anita Augspurg  , Lida Gustava Heymann  , waren an­wesend. Ein geschichtlicher Überblick über die deutsche Frauen­stimmrechtsbewegung leitete die Tagung ein. Nachdem Satzungs­änderungen und Erweiterungen vorgenommen waren, wurden die Aufgaben des Frauenstimmrechtsbundes nach dem Kriege erörtert. Es wurden vier Kommissionen eingefegt: eine Reichspetitions-, eine Presses, eine Finanz- und eine Propagandakommission. Die Stonferenz beschloß, durch Resolutionen die Stellungnahme des Frauenstimmrechtsbundes zum weiblichen Dienstjahr und zur Be­völkerungspolitik zum Ausdruck zu bringen. Im Anschluß an die Konferenz fand die Gründung der Frankfurter   Ortsgruppe des Frauenstimmrechtsbundes mit einer größeren Anzahl Mitglieder statt.

Die oppositionelle radikale Minderheit der bürgerlichen Frauen­stimmrechtsbewegung hat sich also durch die Vereinigung der un demokratischen Mehrheit nicht entmutigen lassen. Sie antwortet Schlag auf Schlag, indem sie sich auf dem Boden demokratischer Grundsäge sammelt.

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Der Deutsche Reichsverband für Frauenstimmrecht ist wie mitgeteilt aus der Verschmelzung der beiden ältesten und größten bürgerlichen Frauenstimmrechtsorganisationen hervorge= gangen. Der Deutsche   Verband für Frauenstimm recht wurde 1904 gegründet und hatte den Verein für Frauenstimmtecht als Vorläufer, den 1902 entschiedene Vorkämpferinnen der vollen politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts ins Leben gerufen hatten. Der Verband" bestand zur Zeit der Weimarer   Tagung aus zehn Landesvereinen mit 75 Ortsgruppen. In ihm waren von Anfang an neben einem radikalen", das heißt demokratischen Stamm ausgesprochen ge= mäßigte Elemente organisiert, die der Forderung des allgemeinen Wahlrechts ablehnend, zum mindesten aber gleichgültig gegenüber­standen. Die Flagge beschränkt bürgerlicher Frauenrechtelei deckte ihren bürgerlichen, politischen Klassenstandpunkt. Diese Elemente gewannen die Oberhand in dem Maße, als eine schärfere Schei­dung zwischen den verschiedenen bürgerlichen Bevölkerungsschichten fich entwickelte, der Gegensatz zwischen befizenden und nichtbesitzen den Klassen ausgeprägter wurde, das weiland liberale Bürgertum sich mehr und mehr von den alten politischen Grundsätzen ab= wandte. Die Vereinigung für Frauenstimmrecht, die zweite große Organisation, hat von ihrer Gründung an im Zeichen dieser Entwicklung gelebt und gewebt, ja sie ist deren legitimes Kind. Die Vereinigung entstand 1911 aus dem West deutschen und aus dem Schlesischen Stimmrechtsverband, die 1907 und 1908 in Oppofition zu dem Deutschen   Verband gegründet worden waren. Sie faßte seit Anbeginn die Frauenrechtlerinnen zusammen, denen die Führung des Deutschen Verbandes allzu radikal" war, zu weit nach links steuerte. Der Vereinigung gehörten bier geographi­sche Verbände mit 38 Ortsgruppen an. Das Stärkeverhältnis der beiden verschmolzenen Organisationen zueinander läßt erkennen, daß es die rückwärts gerichtete Mehrheit im Verband gewesen ist, die letzten Endes über die Hinopferung des allgemeinen Wahl­rechts im neuen Reichsverband entschieden hat. Halb zog sie ihn, halb sank er hin." Die alte Geschichte von Kompromissen, bei denen Grundsäße über Bord geworfen werden.

Erste Vorsitzende des Deutschen Reichsverbandes für Frauenstimmrecht ist Frau Marie Stritt  , deren eigener persönlicher Entwicklungsgang als Kämpferin ein getreues Spiegelbild von der Entwicklung des Bürgertums ist. Unter den Vorstandsmitgliedern befindet sich keine einzige Frauenrechtlerin, die als energische Verfechterin demokratischer Grundsätze ange­sprochen werden darf. Auch dieser Umstand ist charakteristisch.

Gesetzlicher Arbeiterinnenschuh.

Ärztliche Urteile über die Wirkungen der Über- und Nacht: arbeit auf den Frauenorganismns. Der in Nr. 16 wiedergegebenen Betition für gesetzlichen Arbeiterinnen- und Jugendschuh haben die Genossinnen Bieß und Hanna das Urteil zweier angesehener Ärzte beigefügt.

Sanitätsrat Dr.Freudenthal erklärt:

Str. 17

Ich kann als Arzt nur auf Grund zahlreicher Erfahrungen be­stätigen, was von den Laien nach dem Augenschein behauptet wird, daß durch die Kriegsarbeit mit ihren Überstunden, der Sonntags= und Nachtarbeit bei den Frauen namentlich die schwersten gesund­heitlichen Schädigungen hervorgerufen sind. Ich erinnere mich nicht, jemals so viel schwere Fälle von Nervenschwäche und Nerven­zerrüttung gesehen zu haben wie jetzt seit Jahresfrist; fast allge­mein klagen die Patientinnen über heftige Kopfschmerzen, Schwindel- und Ohnmachtsanfälle; lettere sind einigemal auch in meiner Sprechstunde während der Untersuchung eingetreten. Schon äußerlich fällt die Unterernährung, Blässe der Haut und Schleim­haut auf, zahlreich sind die Fälle von Lungenspitzenkatarrh, Herz­affettionen, nervösen Magen- und Darmbeschwerden, Magen­erschlaffung. Dazu kommen noch die vielen Unfälle mit ihren un­heilvollen Folgen für das Nervensystem.

Wenn auch nicht zu leugnen ist, daß viele Frauen mangels leich­terer Arbeit schon in leidendem Zustand die schwere Kriegsarbeit übernommen und sich dadurch eine Verschlimmerung ihres Leidens zugezogen haben, so sind auch andererseits reichlich Fälle nachweis­bar, in denen früher gesunde Frauen sich ihr Leiden durch monate­lange schwere und anhaltende Beschäftigung in der Kriegsindustrie zugezogen haben.

Daß die Lebensmittelteuerung und der Mangel an verschiedenen Lebensmitteln dabei mitwirken, ist sicher, zumal in den Fällen, wo nach Eintritt eines Magenleidens oder wie bei Zuckerkrank­heit eine begrenzte, schonende Diät am Plaze wäre.

Ich würde es im Interesse der Volksgesundheit mit Freuden be= grüßen, wenn der Arbeiterinnen- und Jugendlichenschutz wieder in Kraft gesetzt würde."

Dr. J. 3 adet äußert sich wie folgt:

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Während des Krieges, insbesondere in den letzten Monaten, habe ich auffallend viele Fälle von nervösen Störungen und Er­frankungen bei Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen gesehen: Kopf­schmerz und Eingenommenheit des Kopfes, Schwindel und Stö­rungen des Schlafes, Abgeschlagenheit in den Gliedern und allge­meine Hinfälligkeit, Kreuz- und Rückenschmerzen, Einschlafen und Absterben in Händen und Füßen, auch gesteigerte Erregbarkeit, Angstzustände, Muskelzittern, Beklemmungen auf der Brust, Herz­Klopfen und Herzensangst. Fast in allen Fällen waren erhebliche Gewichtsabnahmen zu konstatieren, in vielen Zeichen von hoch­gradiger Blutarmut vorhanden. Viele mußten deswegen ihre Be schäftigung aufgeben und, soweit sie Krankenkassenmitglieder waren, arbeitsunfähig geschrieben werden die Statistik der Krankenkassen dürfte diese Erfahrungen zahlenmäßig bestätigen. Daß ein Zusammenhang zwischen diesen gehäuften Nerven­erkrankungen und dem Kriege respektive den durch diesen ver­änderten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen be­steht, ist kaum zu bezweifeln. Freilich ist es im Einzelfall sehr schwer nachzuweisen, ob mehr die verlängerte Arbeitszeit respet­tive Sonntags- und Nachtarbeit oder die erschwerte Nahrungs­mittelbeschaffung respektive Unterernährung, oder die Sorge um den im Felde stehenden Mann, Sohn, Bruder usw., oder die( so oft bei Gelegenheit des stundenlangen Stehens auf der Straße bei Wind und Wetter erworbene) Erkältung" schuld war an den ner­bösen Störungen, der Entkräftung, dem Verlust des seelischen Gleichgewichts.

Auch bei arbeitenden Schwangeren ist mir diese in der letzten Beit gesteigerte Hinfälligkeit aufgefallen und hat zur frühzeitigen Unterbrechung der Beschäftigung geführt.

Daß von den Arbeiterinnen verlängerte Arbeitszeiten, über­stunden und insbesondere Nachtarbeit viel schwerer ertragen wer­den als von den Männern, viel leichter zu Gesundheitsstörungen, Gewichtsabnahmen und nervösem Zusammenbruch führen, liegt ohne weiteres auf der Hand: häusliche Pflichten und Sorgen, Nachtstörungen durch die Kinder( bei Erkrankungen derselben ins­besondere!) nehmen die außer dem Hause arbeitende Frau ungleich mehr mit, machen sie ungleich schneller mürbe, als den in jeder Beziehung beffer gestellten und gepflegten Mann. Aus dieser Er­wägung heraus sind seinerzeit die Schutzbestimmungen für die ge­werblich tätige Frau entstanden; sie sollten jetzt, wo noch viel mehr förperliche und seelische Anforderungen an die Arbeiterfrau ge­stellt werden, im Interesse nicht bloß dieser Frauen, sondern auch im öfentlichen Interesse, im Interesse der Volksgesundheit( auch der Krankenkassen!) je eher, desto besser wieder in Wirksamkeit treten."

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Berlag von J. H. W. Dieß Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart  .