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Die Gleichheit
und Freiheit allen Völkern. So ist auch unser Grüßen am Frauentag 1916 wie das der Treu- und Kampfgenossinnen in Deutschland , England, Frankreich , Österreich , Holland und anderen Ländern ein Weck- und Mahuruf den Millionen Bedrückten, uns noch Fernstehenden, mit uns allen vereint emporzuſteigen aus den Tiefen der Armut und des Elends ins Sonnenland des Glückes und der Freiheit.
Der Frauentag in Holland hat einen Monat eifriger sozialdemokratischer Propaganda für das allgemeine Frauenwahlrecht abgeschlossen. Wie die Leserinnen sich erinnern werden, war es der Parteitag der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der diesen Agitationsmonat beschlossen hatte. Die Partei hat mithin ihren Teil an der Propaganda gehabt, es versteht sich aber, daß die organisierten Genossinnen ihre energischsten und freudigsten Trägerinnen gewesen sind. Sie empfanden es als selbstver ständliche Ehrenpflicht, ihre ganze Kraft dafür einzuseßen, dem allgemeinen Frauenwahlrecht eine zahlreiche und überzeugte Anhängerschaft zu werben, namentlich unter den Frauen des arbeitenden Volkes. Während des Propagandamonats haben mehr als 100 öffentliche Versammlungen stattgefunden, die dazu dienten, die Forderung des allgemeinen Frauenwahlrechts zu begründen. Die Genossinren haben außerdem eine rege Hausund Straßenagitation betrieben, wobei 300 000 Flugblätter, viele Broschüren und sozialistische Zeitungen verteilt und verkauft wurden. Der Frauentag selbst war, wie die„ Gleichheit" bereits berichtet hat, ein großer Erfolg. Es fanden in 25 Städten öffentliche Versammlungen statt, die alle glänzend besucht waren. Überall gelangte folgende Resolution zur Annahme:
„ Die öffentliche Versammlung des Frauentags, der von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und dem Verband sozialdemo fratischer Frauenvereine veranstaltet worden ist, um die Sache des allgemeinen Frauenwahlrechts zu fördern, gibt ihrer Überzeugung Ausdruck, daß die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für die Männer allein nicht den Forderungen einer vollkommen demokratischen Staatsverfassung entspricht, wie die Arbeiterklasse fie braucht, um den ihr gebührenden Einfluß auf Staat und Gesell schaft ausüben zu können. Die Versammlung erachtet es daher als eine zeitgemäße Forderung, daß der politischen Zurüdsetzung und Rechtlosigkeit der Frau ein Ende bereitet wird, eine Forderung, die die Sozialistische Internationale den sozialistischen Parteien aller Länder zur Pflicht gemacht hat. Die Versammlung appelliert an die Regierung und die Volksvertretung, daß sie bei der bevorstehenden Verfassungsreform zusammen mit dem allgemeinen Männerwahlrecht auch das allgemeine Frauenwahlrecht verwirklichen, und sie ruft die Männer und Frauen der arbeitenden Klassen auf, fraftvoll für dieses Recht zu kämpfen."
Der Frauentag hat den Frauenmonat abgeschlossen, nicht aber die Aktion für das allgemeine Frauenwahlrecht. Die nächste Jahresversammlung des Bundes sozialdemokratischer Frauenvereine, die am 14. Mai stattfindet, wird Vorschläge und Anregungen zum weiteren energischen Kampf für das volle Bürgerrecht aller Frauen bringen.
Frauenstimmrecht.
H. A.
Frauenstimmrecht und Preußisches Herrenhaus . Ehe das Preußische Herrenhaus sich am 31. März vertagt hat, verhandelte es in seiner Plenarsizung unter anderem auch über eine Eingabe gegen die Einführung des Frauengemeindewahlrechts. Der Deutsche Bund gegen Frauenemanzipation" glaubte sich mit dieser vormärzlichen Petition wieder einmal die Rittersporen der Rückwärtserei zu verdienen. Professor Langermann- Kiel bat im Namen der genannten Organisation darum, nur ja davon abzusehen, den Frauen auch bloß volles Bürgerrecht in der Gemeinde zu verleihen. Der Kommissionsantrag lautete auf überweisung der Eingabe als Material an die Staatsregierung. Das Mitglied des Hohen Hauses, Generaloberarzt Dr. Neuber Kiel hielt es für nötig, die Bedeutung dieses Antrags durch eine Rede gegen das Frauenwahlrecht und die Frauenemanzipation im allgemeinen zu unterstreichen. Schon das Frauenstudium dünkt diesem Herrn vom übel und zeitigt nach ihm die bedenklichsten Folgen. Als besonderen Trumpf spielte Dr. Neuber aus, die ganze Frauenbewegung sei schrecklich zu sagen!- international und leiste lediglich der Sozialdemokratie Vorschub. Diese Behauptung ist ein alter, bekannter Badenhüter der Frauenrechtsgegner und gewinnt nicht um ein Jota an Richtigkeit, wenn sie immer wieder vorgeführt wird. Beachtung verdient hingegen, daß Dr. Neuber wohl die Leistungen der Frauen in der Kriegszeit
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anerkannte, jedoch trotzdem den Warnefinger gegen das Frauenwahlrecht erhob. Dr. Dernburg, der frühere Kolonialsekretär, erflärte mit Recht, daß die vorgebrachten Anschauungen sich mit denen weiter Kreise des deutschen Volkes nicht in Übereinstimmung bringen ließen. Der Breslauer Oberbürgermeister Dr. Matting pflichtete ihm darin bei. Trotzdem, aber erklärlich genug, siegten im Herrenhause die Gegner des Frauenwahlrechts. Die Mehrheit fand, daß die Eingabe Würdigung verdiene, und überwies sie der Regierung als Material. Der Beschluß ist einer jener Strohhalme, die künden, von wannen der Wind kommt und wohin er fährt. Es erinnert die Frauen daran, daß sie unge= achtet ihrer Leistungen volles Bürgerrecht in der Gemeinde und erst recht in Staat und Reich nicht als Belohnung erharren dürfen, sondern daß sie darum ringen müssen.
Ein Sieg des Frauenwahlrechts in Alberta . Die gesetzgebenden Gewalten von Alberta , einer Provinz des englischen Koloniallandes Kanada , haben kürzlich allen großjährigen Frauen die volle politische Gleichberechtigung zuerkannt. Die gesetzgebende Körperschaft der Provinz wurde bisher mittels des allgemeinen Männerwahlrechts gewählt, fünftighin wird ein Wahl= recht für alle Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts über ihre Zusammenschung entscheiden. Das kommunale Wahlrecht besaßen die Frauen bereits. Der Beschluß des Parlaments hat die Billigung, ja die freudige Zustimmung des Statthalters gefunden. Dieser erklärte:
„ Seit vielen Jahren kam das wachsende Gefühl zum Ausdruck, daß die Gleichberechtigung der Geschlechter anerkannt werden sollte, und daß die Frauen die vielleicht gerade in einem neuerschlossenen Lande in ganz besonders hohem Maße zur Entwicklung beigetragen, die Beschwerden und Mühsale geteilt, den Wohlstand gefördert haben das Recht besitzen müßten, einen gleichberechtigten Anteil an der Regierung des Landes zu nehmen. Meine Negierung hat diese Frage in ernstliche Erwägung gezogen und beschlossen, daß, soweit unsere gesetzgeberische Macht reicht, die Gleichberechtigung in Alberta gesetzlich festgelegt werden sollte, und daß es künftig in unserer Proving feinen politischen Unterschied zwischen den Geschlechtern geber darf."
Man vergleiche mit diesen Worten, die Vorurteilslosigkeit, hohen Gerechtigkeitssinn atmen, die Verhandlungen und den Beschluß des Preußischen Herrenhauses über das Frauenwahlrecht in der Gemeinde.
Die Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts in Hol land ist leider nicht so sicher, wie manche nach den ersten Vers öffentlichungen über den Regierungsentwurf zur Verfassungsreform angenommen hatten. Unsere Leserinnen wissen, daß der Entwurf nur die Möglichkeit vorsieht, die Frauen politisch zu emanzipieren. Er überläßt es dem Gesetzgeber, den Frauen das Wahlrecht zu verleihen oder auch nicht zu verleihen.
Wie die Dinge liegen, gibt es betreffs des Frauenwahlrechts vier Möglichkeiten. Erstens, daß der Entwurf gar nicht zum Gesetz wird, denn obgleich die Mehrheit auf feiten der Regierung steht, ist doch nur die sozialdemokratische Arbeiterpartei eine warme Anhängerin des allgemeinen Wahlrechts, sie allein wird ernstlich dafür eintreten. Zweitens ist es möglich, daß das fakultative Frauenwahl recht aus dem Entwurf gestrichen wird. Was das Frauenwahlrecht anbelangt, so würde dann die neue Verfassung der jezigen wie ein Ei dem andern gleichen. Sie würde es nämlich dem Gesetzgeber berbieten, den Frauen das Wahlrecht zuzuerkennen. In diesem Falle wäre der Kampf für die Forderung als Zwang auf Jahre hinaus lahmgelegt, denn der Gesetzgeber könnte das Frauenwahlrecht nur im Gegensatz zu der Verfassung einführen, ein Gesetz darf aber nicht im Gegensatz zu dieser stehen. Drittens kann der Entwurf, so wie er ist, zum Gesetz werden, dann ist es so gut wie sicher, daß der Kampf für das Frauenwahlrecht energisch weiter geht. Viertens aber ist es bei einer kräftigen Aktion der Arbeiterflaffe nicht ganz ausgeschlossen, daß das allgemeine Frauenwahlrecht in die Verfassung aufgenommen wird. Jedenfalls würde solch eine fräftige Aktion unter allen Umständen ihre Früchte tragen.
Die holländischen Genossinnen haben zielflar und energisch darauf hingewirkt, daß es die sozialdemokratische Partei an einer aufrüttelnden Agitation nicht fehlen ließ. Sie sind in ihrem Eifer nicht ermüdet, die Situation für die Forderung des Frauenwahlrechts auszunuzen. Die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen entfalten ebenfalls eine sehr rührige Propaganda, Welches auch zunächst das Ergebnis all dieser Bemühungen sein wird: die Forderung des allgemeinen Frauenwahlrechts muß dabei gewinnen.
Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart .
Drud und Berlag von J. H. W. Diez Nacht. G.m.b.8. in Stuttgart .