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Die Gleichheit

dürfte der Sinn der Winkelzüge sein, die die Kompromißler anstellten. Man hofft offenbar auf solche Weise, durch die schreiende Ungerechtigkeit dieser Steuer weite Kreise kopf­scheu zu machen, das Prinzip der direkten Besteuerung zu diskreditieren.

Der Plan scheint indessen denn doch überschlau und dürfte deshalb nicht gelingen. Zwar ist es jetzt in der Kriegszeit leicht, die Massen irrezuführen, da es unmöglich ist, in Volks­versammlungen und in der Presse das ganze Treiben nach Ge­bühr zu beleuchten. Aber soviel gesunden Sinn dürften die Boltsmassen und vor allem die Arbeiterschaft sich doch be­wahrt haben, um zu erkennen, daß das ganze Machwerk dar­auf hinausläuft, dem Volke dauernd eine enorme Last indiretter Steuern aufzubürden, wäh rend man den Besitz einmalig zu einer Abgabe heran­zieht, zu einer Abgabe, die schreiende ungerechtigkeit in sich schließt."

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Soweit der Vorwärts". Zu derselben Frage äußert sich die Bremer Bürgerzeitung":

Das Schlimmste an den neuen Steuergeseten ist, daß sie wieder ungeheure und dauernde Lasten an indirekten Steuern bringen. Die schönen Träume gewisser Sozialdemo­fraten haben sich in Schäume verwandelt, wie das voraus­zusehen war. Man sollte nun meinen, für die Sozialdemo­fratie gäbe es unter den jetzigen Umständen, die für sie so wenig rühmlich sich gestalteten, nur eines: Ablehnung der ganzen Steuergesetze. Dazu kann man sich aber offenbar nicht aufschwingen. Die indirekten Steuern will die alte Fraktion ablehnen, für die Besiẞsteuern aber will sie stim men, wie wir's im Hamburger Echo' und in der Schwäbi­schen Tagwacht' lesen. Dabei kommt selbst die, Chemnizer Volksstimme zu folgendem Schluß: Die Kriegsgewinn­steuer, die wir absichtlich so hoch( auf 1 Milliarde. Red.) ge­schätzt haben, wie sie ganz gewiß nicht werden wird, ist in dieser Form nur der Vorspann für die ganze Last der indirekten Steuern, und das ganze Steuerwerk wird damit für die Sozialdemokratie un annehmbar. Die Chemnißer Volksstimme ahnt da ganz richtig, wie die Massen die Steuerpolitik der sozialdemo­fratischen Parlamentarier, die die Mehrheitspolitik ver­treten, beurteilen wird. Sie möchte deshalb vorbeugen. Ver­gebliches Bemühen! Wie wird's übrigens mit der Abstim­mung über den Reichsetat werden? Wird man ihm wieder zustimmen? Trotz der indirekten Steuern? Vielleicht wegen der 10 Milliarden Mark neuer Kriegskredite, die todsicher abermals neue indirekte Steuern erfordern werden?"

Neben die Frage, ob direkte oder indirekte Steuer, tritt, wie die Dinge liegen, noch eine andere in den Vordergrund: die nach dem Zweck der Steuer. Ihr Zweck ist, die Fortführung des Krieges zu ermöglichen. Die Stellungnahme der Sozialdemokratie zu diesem Zweck bestimmt auch das größere oder geringere Maß des Widerstandes gegen die volksschädigenden Tendenzen im Steuerkompromiß. Eine Fraktion, die die Kriegskredite bewilligt und unter allen Umständen durchhalten will, kann zwar mehr oder minder schneidig gegen diese oder jene Steuerform Attacke reiten, sie muß sich aber letzten Endes doch der bürgerlichen Mehr­heit fügen. Für eine Fraktion aber, die den Krieg grund­fäßlich zu bekämpfen erklärt, die auf internationalem sozia­ listischen Boden steht, ist der Steuerzwed nicht minder ausschlaggebend wie die Steuerart. Sie wird in den Verhandlungen und Kommissionen, aber auch in der Öffent­lichkeit, soweit das unter dem Belagerungszustand möglich ist, keine Gelegenheit entschlüpfen lassen, um durch Kritik und positive Vorschläge für direkte Besteuerung einzutreten. Ste wird aber den Zweck der Steuer letzten Endes maß­gebend machen müssen für ihre Bewilligung oder Ablehnung. Sie würde sonst ihr grundsätzliches Eintreten für den Frie­den zur bloßen Farce, zu einer rednerischen Übung ernied­rigen. An der Haltung zur Steuerfrage wird es sich zeigen, ob zwischen der sozialdemokratischen Fraktion und der So­

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zialistischen Arbeitsgemeinschaft ein grundsätzlicher Unter­schied besteht oder ob es wirklich nur Fragen der augenblick­lichen Taktik sind, die zur Spaltung führten, wie die Erklä­rung zur Kreditablehnung im Dezember 1915 vermuten läßt.

Bevölkerungsprobleme.

Von Hans Fehlinger.

Schon vor dem Kriege hat die Frage der Volksvermehrung vielen Volkswirtschaftlern schwere Sorge bereitet. Schon lange machte sich ein Geburtenrückgang bemerkbar, der besonders in den Jahren, die dem Kriege unmittelbar vorausgingen, sehr auffällig war. Während des Krieges ist der Geburten­ausfall besonders groß geworden. Es wurde darüber bekannt­lich sogar schon im Preußischen Abgeordnetenhaus gesprochen. Bisher hat der ständige Rückgang der Sterblichkeitsziffern trotz des Rückgangs der Geburtenhäufigkeit dem Deutschen Reich noch alljährlich einen ansehnlichen Bevölkerungszuwachs gesichert. Aber, müssen wir uns fragen, werden dieselben Ver­hältnisse auch nach dem Kriege wieder bestehen? Der Krieg hat namentlich unter den Männern jener Altersklassen stark aufgeräumt, die in normalen Zeiten die geringste Sterblich­feit zeigen. Viele von den Männern dieser lebenskräftigsten Jahrgänge sind tot, andere sind verstümmelt, und sie kommen gewiß nur zu einem kleinen Teil für die Eheschließung und Fortpflanzung in Betracht. Auch kann man nicht erwarten, daß es der ärztlichen Kunst gelingt, eine weitere starke Ver­minderung der Sterblichkeitshäufigkeit herbeizuführen, ganz besonders gilt dies in Anbetracht der Tatsache, daß wirtschaft­liche Not eher eine Zu- als eine Abnahme der Sterblichkeit begünstigt. Vorläufig hat die Einberufung des größeren Tei! s der im zeugungsfähigen Alter stehenden Männer die Ge­burtenziffern aller an dem Kriege beteiligten Länder sehr stark zum Sinken gebracht. Wie groß der hierdurch verursachte Geburtenausfall ist, können wir nicht angeben, da amtliche statistische Nachweisungen erst für einzelne Städte und einen verhältnismäßig furzen Abschnitt jenes Beitraums vorliegen, währenddessen der Einfluß des Krieges auf die Geburtenzahl zum Ausdruck kommen muß( was erst neun Monate nach Kriegsausbruch der Fall sein kann).

Wir wollen uns, um sehr bescheiden zu sein, hier auf eine ganz kurze Betrachtung der Geburtenziffern in der Reichs­hauptstadt Berlin und in der bayerischen Hauptstadt München beschränken.

In Berlin ging die Gesamtbevölkerung in der Kriegs­periode von Ende Juli 1914 bis Ende Dezember 1915 von 2 053 302 auf 1 835 094 zurück. Während die Zahl der weib­lichen Personen zunahm, nahm die Zahl der männlichen Ber­sonen um 234 747 oder rund 24 Prozent ab. Im Jahre 1914 betrug die Geburtenzahl 25 689, 1915 jedoch 19 243, das ist um 6446 oder 25,1 Prozent weniger. Die Säuglingssterblich­feit war kurz nach dem Ausbruch des Krieges besonders groß. Das ist wohl darauf zurückzuführen, daß damals eine umfangreiche Arbeitslosigkeit herrschte, so daß in vielen Fa­milien die kleinen Rinder nicht richtig ernährt werden konn­ten; ferner kommt in Betracht, daß wahrscheinlich infolge des damals herrschenden hochgradigen Erregungszustandes der Bevölkerung zahlreiche Mütter ihre Kinder vernachlässigten.

in München wurden vom Mai bis November 1914 7122 und 1915 5213 Kinder lebend geboren. Der in diesen Mo­naten im Jahre 1915 gegen 1914 eingetretene Geburten­ausfall beziffert sich auf 1609 oder 29 Prozent. Um wieviel die Zahl der Männer in München abnahm, ist nicht bekannt. Uneheliche Geburten sind in München besonders häufig; im Mai bis November wurden 1914 2183 und 1915 1461 ge­meldet, es trat also eine Abnahme von 722 oder 33 Prozent ein. Die verhältnismäßig stärkere Abnahme der unehelichen Geburten hat wahrscheinlich ihren Grund darin, daß in den ersten Kriegsmonaten der Anteil der ledigen Männer an der Gesamtzahl der Eingerückten besonders groß war.