Nr. 20

Die Gleichheit

der Kämpfenden ebenso wie durch die Vervollkommnung der Waffen dazu bestimmt ist, ohne Ergebnis zu bleiben?"

Das Flugblatt übt daran anschließend Kritik an den verschiede­nen Parolen, mit denen man das französische   Volk in den Krieg hetzt. Was will man denn eigentlich? Etwa Eroberungen? Daran hat in Frankreich   niemand ernstlich gedacht. Etwa die po= litische Zerteilung der Zentralmächte? Aber dann müßte man die Mittel aufzeigen, mit denen man so etwas voll­bringen könnte, mit denen man ein Volk dazu bringen könnte, das neue Regime auch wirklich anzuerkennen. Rechnet man mit der Erschöpfung des Feindes? Aber läuft man damit nicht Gefahr, in dieselbe Lage zu geraten? Will man die Befreiung der unterdrückten Völker? Aber gibt es die etwa nur in Preußen und Österreich  ? Man spricht von einem dauernden Frieden. Glaubt man wirklich, daß der durch Waffen errungen und gesichert werden kann? Glaubt man wirklich, daß man durch den Krieg den Militarismus in Preußen und irgendwo anders zerstören wird, wie man ein Dorf zerstört? Und wie steht's mit der Kriegsentschädigung? Er ist einer der populärsten Kriegsziele. Aber nach fünfzehn Monaten betrugen die Kriegs­ausgaben der Verbündeten 100 Milliarden. Um eine solche Last einem Volke aufzuerlegen, müßte man es restlos besiegen, wie weder Napoleon   noch Cäsar jemals ein Volk besiegten. Der Auf­ruf gelangt von dieser Kritik aus zu der Schlußfolgerung, daß es neben dem Verbrechen eines vorzeitigen Friedens auch das Ver­brechen eines zwedlos verlängerten Krieges gibt. Die Frauenvereinigung verlangt nicht, daß Frankreich   um den Frieden bitte, wohl aber, daß er vorbereitet werde. Sie wünscht daher, daß alle Regierungen der Alliierten ihre Friedensbedingungen festseßen und bekannt­geben, daß die Regierungen nicht von vornherein die Friedensbedingungen ablehnen, die, von welcher Seite immer, schon gekommen sind oder noch kommen werden, und drittens, daß die französische   Regierung diese Friedensbedingungen der Kammer zur Prüfung und dadurch der Kontrolle der öffentlichen Meinung unterbreiten möge. Die Vereini gung hofft, daß durch diese Tat der Vernunft" die friedliche Verständigung zwischen faltblütigen, zwischen vernünftigen Männern wieder wie eine menschliche Notwendigkeit, wie eine Hoffnung erscheinen möge. Die Vereinigung fordert die Frauen auf, die obengenannten Wünsche in ihren Kreisen zu verbreiten.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

Das internationale Solidaritätsbewußtsein und der Friedens­wille der englischen Genoffinnen kommen in ihrer Betätigung und in dem Organ der Liga für die Frauen der Arbeiterklasse"," The Labour Woman"( Die Proletarierin) flar zum Ausdruck. Inner­halb der Unabhängigen Arbeiterpartei" und der Arbeiterbewegung im ganzen gehören gerade auch führende Genossinnen zu den ener­gischsten und ausdauerndsten Kämpferinnen gegen den militäri­schen Dienstzwang, für die wirksame internationale Solidarität der Arbeiter aller Länder, für einen sofortigen Friedensschluß, wie er den sozialistischen   Grundsätzen entspricht. In den Frauen­bereinigungen und Gruppen, die dem Internationalen Frauen­rat der Sozialistischen und Arbeiterorganisationen" angeschlossen sind, wird eifrigst die systematische Aufklärungsarbeit über die Ur­sachen und den Charakter des Weltkriegs fortgesetzt. Alles, was dabei den Genossinnen als ein Verschulden der Regierung des eige= nen Landes erscheint, wird vom grundsäßlichen Standpunkt aus einer rücksichtslosen Kritik unterzogen. Die gleiche Kritik richtet sich auch gegen die unzulängliche soziale Fürsorge, die das Kriegs­elend der breitesten Massen lindern soll, wie gegen die Maßnahmen, die angeblich im Interesse der Landesverteidigung die alten poli­tischen Freiheiten und Rechte des englischen Volkes beschränken. Es versteht sich, daß die englischen Genossinnen selbst alles tun, was in ihren Kräften steht, um der Not des arbeitenden Volkes, im besonderen aber der Not der Frauen und Kinder zu steuern. Sie suchen zu diesem Zwecke in allen Körperschaften, auf alle Ein­richtungen Einfluß zu gewinnen, die der sozialen Fürsorge dienen. Sie gründen eigene Hilfs- und Aktionsausschüsse, streben nach selbständiger Vertretung in Komitees und Kommissionen, die von den Behörden oder auch von bürgerlichen Gruppen ins Leben gerufen werden, und lassen sich überall angelegen sein, in der Rich­tung ihren eigenen Forderungen die Dinge vorwärts zu treiben. Trotz dieser umfangreichen Betätigung vernachlässigen sie das theoretische und propagandistische Werk der Erziehung zur inter­nationalen, sozialistischen Arbeitersolidarität nicht. Umgekehrt: sie

155

widmen ihm fortgefeßt die größte Aufmerksamkeit und Kraft. Mut­voll kämpfen sie gegen den verheßenden Jingoismus an, stellen sie seinen brutalen Losungen die Ideale des Völkerfriedens und der Völkerverbrüderung entgegen. Namentlich bestreben sie sich auch auf die Mütter in der Arbeiterklasse einzuwirken, daß sie in ihren Kindern den chauvinistischen Geist mancher Schulen, Lehrer und Lehrerinnen nicht mächtig werden lassen, sondern ihr Heim zu einer Pflegestätte sozialistischen Geistes machen.

Frauenarbeit.

Frauenarbeit und wirtschaftliche Kämpfe in Frankreich  . Aus einem etwas rosig gemalten Artikel der Basler Nationalzeitung" über die Arbeits- und Arbeiterverhältnisse in Frankreich   entnehmen wir folgende Angaben:

Die Frauen, die sich durch den plötzlichen Stillstand in der Moden-, Wäsche- und Kleiderindustrie großer Not ausgesetzt sahen, haben inzwischen ihr Los wesentlich verbessern können, auch die Heimarbeiterinnen. Philanthropische Gesellschaften haben für sie zahlreiche Arbeitsgelegenheiten geschaffen. Sehr viele Frauen werden heute in der Kriegsindustrie beschäftigt; so arbeiten in St. Chamond gegenwärtig 2000 Arbeiterinnen, die früher in der Nestelfabrikation bei zehnstündiger Arbeitszeit auf einen Taglohn von 2,25 Franken kamen, heute nur acht Stunden und erhalten dafür einen Taglohn von 3 bis 4 Franken. Ende Juli 1915 waren bereits 45 000 Frauen in der Kriegsindustrie beschäf= tigt; ihre Zahl ist inzwischen auf 120 000 gestiegen.

Angesichts dieser Tatsachen braucht es nicht zu verwundern, daß in den französischen   Arbeiterfamilien mancherorts ein bescheidener Wohlstand einzuziehen beginnt. Wenn der Gatte unter den Waffen steht, bezieht die Frau an Unterstüßungsgeldern für sich 1,20 Fran­fen und für jedes Kind 50 Centimes pro Tag. Da sie außerdem noch mit Naturalien regelrecht unterstützt wird und die Wohltaten des Moratoriums für Mietzins genießt, so kann eine tüchtige ar= beitswillige Frau auch in dieser schweren Kriegszeit mit ihrer Familie ihr Auskommen finden, um so mehr, als zahlreiche wohl= tätige Institute mit weiteren Geld- und Naturalzuschüssen stets zur Hand find."

Daß der Pariser Korrespondent der Basler Nationalzeitung", jedenfalls im Interesse der heiligen Einheit", die Verhältnisse viel zu günstig schildert, beweisen verschiedene umfangreiche und energisch durchgeführte Arbeiterinnenstreiks. Auch in Frankreich   kommt ein bescheidener Wohlstand" nur in die Woh­nungen eines kleinen Teiles der Arbeiterschaft, der in der Rüstungsindustrie besonders gut beschäftigt ist. Der be­scheidene Wohlstand" wird erworben durch überlange Arbeitszeit, durch schwere, den Frauenorganismus schädigende Arbeit, und nicht zuletzt durch die anerzogene, kaum noch menschenwürdige An­spruchslosigkeit mancher Frauen. In anderen Erwerbszweigen, zum Beispiel in der Schneiderei und Textilindustric sind auch in Frankreich   die Löhne und Arbeitsverhältnisse nicht besser, sondern infolge der Kriegsverhältnisse schlechter geworden als früher. Hier sehen denn auch die Frauen ein, daß nur durch den Kampf ihre Lage verbessert werden kann. So haben die Pariser Schneiderinnen vor einigen Wochen einen Lohn­kampf fiegreich durchgefochten. Ein Streit der Weberinnen wird aus Vienne  , im Departement Isère   gemeldet. Da die Unternehmer von Vienne   den hundertfach berechtigten Forderungen der Arbeiterinnen nicht entsprechen wollten, legten diese aufein­mal und einhellig die Arbeit nieder. Auch hier ist zu er= warten, daß der Kampf mit vollem Erfolg endet. Daß sogar in der Munitionsindustrie nicht alles so rosig ist, wie der an­geführte Artikel schildert, beweist folgender Umstand: Die sich häufenden Klagen der Arbeiterinnen haben den Unterstaatssekretär für Artillerie und Munition, Albert Thomas  , veranlaßt, eine Untersuchung über die Arbeitsverhältnisse zu veranstalten. Ein Beispiel, wie nötig und nüßlich es ist, daß die Arbeiterinnen nicht alles stumm und geduldig hinnehmen. Wie überall, so haben auch in Frankreich   die Arbeiterinnen ein Interesse daran, daß die schäd­liche Legende von ihrem bescheidenen Wohlstand" totgeschlagen wird, und daß sie sich geschlossen zum Kampfe für bessere Arbeits­bedingungen stellen.

Die Fran als Bäckerin scheint der Krieg wieder in das allgemeine Wirtschaftsleben einzuführen. Die Londoner   Bäckermeister er­wägen die Frage, Frauen als Gehilfen einzustellen. Eine der größ­ten Bäckereien im Osten der Stadt ist bereits mit der Neuerung vorangegangen. Sie hat ausgebildete Vorarbeiterinnen angestellt, die sich auf die Kunst der Teigbereitung verstehen, die bisher als ein ausschließlich männliches Geschäft angesehen wurde. Und das