Nr. 22

26. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich obne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mark.

Jnhaltsverzeichnis.

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Stuttgart

21. Juli 1916

Der

Ein Blatt Geschichte. I.- Mutterschafts- und Säuglingsschuß. Rede des Reichstagsabgeordneten Stunert.( Forts.) Ein paar Worte zu der dringend nötigen Auskunft! Von Verta Lewetsch. Deutsche Textilarbeiterverband im Jahre 1915. Von sk. Notizenteil: Aus dem öffentlichen Leben. Für den Frieden. Frauenstimmrecht.

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Ein Blatt Geschichte.

I.

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Die politische Freiheit Englands, namentlich die Macht des Parlaments, die so groß ist, wie faum in einem Lande, sind im Grunde genommen Früchte der großen Revolution des fiebzehnten Jahrhunderts. Damals raffte sich das englische Bürgertum auf, um die Macht des Königtums einzuschränken und das Parlament zum eigentlichen Machtfaktor des poli­tischen Lebens zu erheben. Es stützte sich dabei auf die revo­lutionären Schichten des arbeitenden Volkes und stellte sich führend an ihre Spitze. Der Kampf dauerte vom ersten Augen­blick der Thronbesteigung Karls I. im Jahre 1625 bis 1649. Er lief die ganze Stufenleiter des Ringens um politische Macht durch, von dem stillen Geplänkel zwischen König und Parlament, das noch in den ehrerbietigsten Formen seine ,, Vorstellungen" und" Petitionen" an den Stufen des Thrones niederlegte, bis zur offenen großen Volksrevolution, in der der König des Hochverrats angeklagt und geköpft wurde, worauf in England elf Jahre lang die Republik be­stand. Einer der geschichtlich interessanten Abschnitte dieses ge­waltigen Kampfes ist derjenige, als der König, noch auf seine Macht pochend, einen Streich gegen die Immunität einiger oppositionellen Abgeordneten wagte und sie mitten im Bar­Iament verhaften wollte. Damit ward der Sturm entfesselt, der ihm den Kopf kosten sollte.

Viermal hatte Karl I. seit seiner Thronbesteigung das Par­Iament einberufen und hatte es immer wieder sehr bald wegen hartnäckiger Unbotmäßigkeit aufgelöst. England war damals durch die herrschende Reaktion in ein Reihe von Kriegen ver­wickelt: erst mit Spanien , Österreich und Frankreich , dann mit Schottland , wo ein Aufstand gegen die Willkürherrschaft Karls und seiner hohen Geistlichkeit ausgebrochen war. Die Regierung forderte vom Parlament vor allem die Bewilli­gung von Kriegskrediten. Das Parlament erklärte jedoch: Vor der Bewilligung irgendwelcher Mittel muß das ganze reaktionäre System reformiert, müssen die Minister in Anklagezustand versetzt und dem Volke die politischen Freiheiten gesichert werden. Angesichts der Unbeugsam keit des Parlaments jagte Karl I. die Abgeordneten aus­einander und versuchte elf Jahre lang ganz absolutistisch zu regieren. Aber die Gärung im Volfe wuchs. Man weigerte fich, Steuern zu zahlen, man verbreitete massenhaft revolu­tionäre Flugschriften, es gab immer häufiger Straßenauf läufe und Demonstrationen. In ihrer Ratlosigkeit berief die Regierung endlich das Parlament 1640 wieder ein. Es blieb

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit sind zu richten an Frau Klara Zetkin ( Zundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.

jedoch fest, und sein erstes Wort war: ehe nicht die politische Freiheit gesichert ist, keinen Pfennig zur Kriegführung. Der Konflikt spitte sich zu, und der König entschloß sich zu einem Gewaltstreich. Fünf der angesehensten Führer der Opposition im Parlament sollten des Hochverrats angeklagt werden. über das, was darauf folgte, erzählt der Historiker Guizot in seiner Geschichte der englischen Revolu­tion":

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In der Tat begab sich noch an demselben Tage der Ge­neralstaatsanwalt, Sir Edward Herbert, nach dem Oberhaus, und klagte Lord Kimbolton sowie die Unterhausmitglieder Hampden, Pym, Holes, Strode und Haslerig des Hochverrats an, weil sie versucht, 1. die Grundgeseze des Reiches umzu­stoßen und den König seine gesetzliche Macht zu rauben; 2. das Volk dem König durch böswillige Verleumdungen zu entfremden; 3. die Armee gegen den König in Aufstand zu bringen; 4. eine fremde Macht, Schottland , zum Einfall in das Reich zu veranlassen; 5. die Rechte und selbst die Existenz der Parlamente zu vernichten; 6. gegen den König und das Parlament aufrührerische Versammlungen zu erregen, um ihre verbrecherischen Pläne mit Gewalt durchzusetzen; 7. end­lich, zum Kriege gegen den König aufzureizen. Zu gleicher Zeit verlangte Sir Edward die Ernennung eines Ausschusses, um die Anklage zu untersuchen, und daß es der Kammer ge­fallen möge, sich der Person der Angeklagten zu versichern.

Die Lords blieben still und stumm, niemand hatte eine solche Handlung vorausgesehen, keiner wagte zuerst zu sprechen. Endlich stand Lord Kimbolton auf. Ich bin bereit," sagte er ,,, allen Befehlen des Hauses zu gehorchen, da meine Anklage aber öffentlich ist, verlange ich, daß es meine Recht­fertigung ebenfalls sein möge," worauf er sich, noch immer von Schweigen umgeben, wieder segte. Lord Digby, der neben ihm saß, flüsterte ihm ins Ohr: Wie kläglich doch der König beraten ist; ich müßte viel Unglück haben, wenn ich nicht er­fahren sollte, von wem dies alles kommt," und ging hinaus, wie um sich darüber zu erkundigen. Er allein war es jedoch gewesen, der den König zu diesem Unternehmen gedrängt und sich überdies verbindlich gemacht hatte, sobald die An­flage Lord Kimboltons durch den Kronanwalt erfolgt sei, dessen sofortige Verhaftung zu verlangen.

Eine Botschaft von seiten der Lords benachrichtigte die Ge­meinen schleunigst von allem, was vorgegangen war. Diese dagegen hatten soeben erfahren, daß sich Leute des Königs zu den fünf Mitgliedern begeben und alles versiegelt hätten. Eie entschieden augenblicklich, daß ein solches Verfahren alle ihre Privilegien verlegte, daß die Angeklagten das Recht und jeder Constable die Pflicht habe, sich dem zu widersetzen, und die Beamten des Königs zu verhaften und als Delinquenten vor die Schranken zu führen seien. Sir John Hotham wurde zu den Lords gesendet, um von ihnen eine Konferenz für die­selbe Stunde noch zu verlangen und zu erklären, daß die Ge­meinen, wenn sich das Oberhaus noch weigerte, sich mit ihnen zu vereinigen, um eine Schuhwache vom König zu verlangen, sich an einen sicheren Ort zurückziehen würden. Während