Nr. 23

26. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

Stuttgart  

4. August 1916

Mutterschafts- und

Um die Kriegsziele. Ein Blatt Geschichte. II. Säuglingsschutz. Rede des Reichstagsabgeordneten Kunert.( Schluß.) - Zur Abhaltung einer Reichsfrauenkonferenz. Von Frida Wulff, Breslau  . Aus der Bewegung: Genossin Hajlamáß- Leipzig Gewerkschaftliche Rundschau. Genossenschaftliche Rundschau. Notizenteil: Aus dem öffentlichen Leben. Für den Frieden. Frauenstimmrecht.

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Um die Kriegsziele.

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Seit Wochen tobt in einem Teil der Presse eine Ausein­andersetzung um die Kriegsziele, die mit einer scharfen Bo­Iemik gegen den Reichskanzler und seine Politik verquickt ist. Für die fanatischen Annexionsphantasten im Lager der Ronservativen und Nationalliberalen spielt Herr v. Beth­ mann Hollweg   die Rolle des bekannten hölzernen Türken­kopfes am Jahrmarktskraftmesser. Gegen den Reichskanzler wird unverblümt der Vorwurf erhoben, daß er sich einer Politik der Flauheit" schuldig mache, daß er wie der rechtsnationalliberale Herr Fuhrmann erklärt- feine Pflicht verabsäumt habe, einen einheitlichen nationalen Willen zu schaffen, wie er nötig ist, um der äußeren Politik Ziele zu zeigen und diesen Zielen zur Verwirklichung zu helfen".

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Welches diese Ziele sind, das hat die berüchtigte Eingabe der sechs Wirtschaftsverbände seinerzeit klar ausgesprochen. Es sind große Eroberungen im Osten, im Westen und über See. Zu ihrer Verwirklichung soll das Deutsche Reich den Krieg in rücksichtslosester Weise durchhalten, namentlich auch mittels unbeschränkter Verwendung der Tauchboote. Es wird dem Reichskanzler besonders schwer angekreidet, daß er auf das Drängen nach solcher Verwendung mit einem Nein geant­wortet hat. Sicher nicht aus sentimentalen Gründen" über die entsetzlichen Greuel der Kriegführung oder aus Liebe für Herrn Wilsons schöne Augen, sondern geleitet von einer Er­kenntnis, die der hausbackene Verstand ganz ohne staats­männisches Genie findet. Nämlich, daß auch der militärisch Starke und Stärkste lassen soll, was seine Lage in Gegenwart und Zukunft politisch verschlechtert.

Jedoch bei den maßlosen Annerionsheßern konservativer und nationaler Couleur steht das sogenannte staatsmännische Genie in dem gleich schlechten Kurs wie der hausbackene Ver­stand. Sie pochen wie Shylock   auf ihren Schein: auf die Macht bestimmter kapitalistischer Kreise, die hinter ihnen stehen, wie die Nede des Abgeordneten Hirsch- Essen im Reichstag flärlich erwiesen hat. Herr Fuhrmann hat diese Losungen in der Täglichen Rundschau" erst kürzlich wieder mit einer Deutlichkeit in die Öffentlichkeit gerufen, wie sie uns bei der Vertretung unserer Ideale unmöglich ist. Er schrieb:

Wir haben unsere Schüßengräben weit in Feindesland vor­geschoben und mit der Besetzung und Befestigung insbesondere der flandrischen Küste eine provisorische Verlängerung unserer

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zettin( Zunden), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bel Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

unzureichenden Seebasis bewirkt. Es wird die Aufgabe deutscher  Staatskunst sein, nach uneingeschränkter Anwendung unserer Machtmittel und unter restloser Ausnutzung der schließlichen mi­litärischen Lage im Westen und im Osten den neugewonnenen militärischen Herrschaftsbereich beim Friedensschluß in dem not­wendigen Ausmaß in unser politisches Machtgebiet umzuwan­deln."

Steht der Reichskanzler tatsächlich in so unversöhnlichem Gegensatz zu den hißigen Eroberungswünschen, daß deren Borkämpfer ihm das Vertrauen" auffündigen müßten, wie es der nationalliberale Führer Professor Brandenburg  und andere angedroht haben? Wir glauben das nicht. Gewiß, umlernbeslissene sozialdemokratische Mehrheitsparlamenta­rier haben mit heißer Liebesmüh die Illusion verkündet und gepflegt, als ob der Reichskanzler hinsichtlich des Friedens, der Friedensbedingungen auf einem Boden mit der Sozial­demokratie stände. So die Genossen Landsberg  , Grad­nauer usw. Genosse Scheidemann   hat es vor nicht langem wieder in Breslau   der staunenden Mit- und Nachwelt ,, enthüllt", der Kanzler sei Gegner der Annexionen, teile die Eroberungspläne der sechs Wirtschaftsverbände nicht und mißbillige sie. Wie der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Böttger im Tag" zutreffend ausführte, ist das nur in gewissem Sinne richtig. Den Glauben der Leute in allen Ehren, die den Puls der Geschichte zu fühlen wähnen, wenn sie einem offiziell abgestempelten Staatsmann die Hand drücken, aber schließlich ist es nicht des Reichskanzlers persönliche Auf­fassung, die dem Weltkrieg Ziele steckt. Auch Herr v. Beth­ mann Hollweg   macht" nur Geschichte, wie er sie machen muß!" Er wird außerdem selbst am besten wissen, wie er zu der Annexionsfrage steht, muß es besser wissen als alle seine unfreiwilligen und freiwilligen Traumdeuter und Ausleger, sogar den Genossen Scheidemann   davon nicht ausgenommen. Und er hat das mit wünschenswerter Deutlichkeit für alle ausgesprochen, es sei denn für die Tauben, die rechts und links nicht hören wollen. Erst kürzlich hat er sich auf seine Rede vom 5. April im Reichstag bezogen, in der er über die Kriegsziele erklärte:

" Zu unserer Verteidigung sind wir ausgezogen, aber das was war, ist nicht mehr, die Geschichte ist mit ehernen Schritten bor­wärtsgegangen, es gibt kein Zurüd. Unsere und Osterreich­Ungarns Absicht ist es nicht gewesen, die polnische Frage aufzu= rollen, das Schicksal der Schlachten hat sie aufgerollt. Nun steht sie da und harrt der Lösung. Deutschland   und Österreich- Ungarn  müssen und werden sie lösen. Den status quo ante kennt nach so ungeheuren Geschehnissen die Geschichte nicht.... Herr Asquith  spricht in seinen Friedensbedingungen von dem Prinzip der Na­tionalität. Wenn er das tut und wenn er sich in die Lage des un­besiegbaren Gegners versetzt, kann er dann annehmen, daß Deutschland   freiwillig die von ihm und seinen Bundesgenossen befreiten Völker zwischen dem Baltischen Meer und den Wolhy­nischen Sümpfen wieder dem reaktionären Rußland   ausliefern wird, mögen es Polen  , Balten, Litauer oder Letten sein?... Und wenn jemand glaubt, daß wir die im Westen besetzten Länder, auf denen das Blut unseres Volkes geflossen ist, ohne