Nr. 25

-181­

26. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

Die Striegszielerörterungen. Von W. Sollmann. Die neutraler Länder im Haag.

-

Stuttgart  

1. September 1916

Ein Ernährungsbeirat von Frauen. Ein Ernährungsbeirat von Frauen. Konferenz der sozialistischen   Parteien Aus der Bewegung: Eine Jubilarin. Gewerkschaftliche Rundschau. Genossenschaftliche Rundschau. Von H. F. Notizenteil: Für den Frieden. Frauenarbeit. Gewerkschaftliche Drganisation.-Frauen in öffentlichen Ämtern. Fürsorge für Mutter und Kind.

Die Kriegszielerörterungen.

In allen friegführenden und neutralen Ländern steigt un­aushaltsam das Verlangen der Massen nach Frieden. Bis tief in die Bourgeoisie hinein ist der Wunsch lebendig, in irgend­ciner ehrenvollen" Weise aus den furchtbaren, blutigen Wirrnissen eines Krieges von unabsehbarer Dauer heraus­zukommen. Um so lauter erklingen die Schlachttrompeten der fleinen, aber machtvollen Cliquen jener unentwegten Kriegs. politiker und imperialistischen Beutemacher, deren Vater­land" nie groß genug sein kann. In Deutschland   haben diese Herrschaften wiederholt zu offenem Angriff gegen den Reichs­fanzler ausgeholt, der ja keineswegs ein Gegner von An­negionen ist, der jedoch als verantwortlicher Politiker natür­lich auch mit anderen Tatsachen rechnen muß als mit den Interessen und Wünschen der Reventlow und Gebsattel, Bas­sermann, Stresemann, Fuhrmann, Schumacher, Schäfer, Thyssen e tutti quanti. Als Stüße der offiziellen Reichs­politik ist der Nationalausschuß zur Herbeiführung eines ehrenvollen Friedens" ins Leben getreten. Die dritte Wieder­fehr des Kriegsbeginns am 1. August bot ihm willkommene Gelegenheit, in zahlreichen Großstädten Versammlungen ab­zuhalten, in denen trotz aller Schattierungen im einzelnen im großen ganzen Kriegsziele aufgestellt wurden, die sich auf der vom Reichskanzler angedeuteten mittleren Linie" halten. Mit diesen Versammlungen hat tatsächlich die Erörterung der Kriegsziele begonnen, begonnen freilich nur in dem be­schränkten Sinne, wie es der Regierung genehm ist. Die na­türliche Folge davon war, daß die unentwegten Aldeutschen für sich dieselbe Freiheit der Meinungsäußerung verlangten, die dem Nationalausschuß gelassen wurde. Sie taten und tun das demonstrativ, trotzdem sie auch vorher schon Mittel und Wege genug gefunden haben, ihre anspruchsvolleren Kriegs­ziele in der Öffentlichkeit bekanntzugeben. Es sei nur an die Eingabe der sechs Wirtschaftsverbände erinnert, an die Re­solution des Nationalliberalen Parteivorstandes, an die Agi­tation des Professors Dietrich Schäfer   usw.

Die Sozialdemokratie hat von Anfang an neben anderem die Freigabe der Kriegszielerörterungen gefordert. Als Massenpartei, die sich auf die Demokratie beruft, mußte sie diese Forderung erheben. Ein Volk, das sein Blut auf den Schlachtfeldern verspritzt und zu Hause die schwersten Ent­behrungen trägt, muß auch das Recht haben, über Kriegs. und Friedensziele nicht nur seine Meinung zu sagen, son­dern über sie zu entscheiden. Es kommt ferner in Betracht, daß ungeachtet der geknebelten Meinungsfreiheit nicht ver­

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit sind zu richten an Frau Klara Zetkin  ( Zundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

hindert werden kann, daß das Ausland über die im Deutschen  Reiche bestehenden Strömungen und Gegenströmungen unter­richtet ist. Aller Zensur zum Troß gelingt es den Annexio­nisten und Alldeutschen   immer wieder, mit ihren Forderungen an die Öffentlichkeit zu treten. Den ausländischen Kriegs­politikern ist es in der Folge ein leichtes, für ihre Zwecke ihrem geduldigen Publikum das gefälschte Bild eines kriegs­und eroberungswütigen deutschen   Volkes vorzumalen. Freie Kriegszielerörterung ist also eine Forderung der Demokratie und der allgemeinen politischen Klugheit.

Die Sozialdemokratische Arbeitsgemein­schaft hatte sofort die Konsequenzen aus den Veranstal­tungen des Deutschen Nationalausschusses gezogen. Sie wollte in Berlin   in einer Versammlung das gleiche Thema behan­deln, das dort erörtert wurde. Ihr Vorstoß wurde verboten. Nun hat der Vorstand der sozialdemokratischen Partei Deutschlands   die Freigabe der Kriegsziel­erörterungen gefordert. In einem Aufruf an die Par­teigenossen wirft er unter Hinweis auf die furchtbaren Opfer und Verheerungen zweier Kriegsjahre die Frage auf, ob dieses Länder und Volkskraft verwüstende Ringen noch immer kein Ende nehmen solle? In seinem entscheidenden Teile lautet der Aufruf:

Der Friedenswille, der bei den Völkern der gegnerischen Länder ebenso stark ist wie in Deutschland  , wird zweifellos geschwächt und zurückgedrängt, wenn gleich den chauvinisti­schen Eroberungspolitikern in den Ententeländern auch in Deutschland   einflußreiche Kreise Kriegsziele aufstellen und Eroberungspläne propagieren, die die Völker jener Länder zum zähesten Widerstand aufstacheln müssen.

Es erscheint deshalb an der Zeit, daß das deutsche   Volk frei und unbeschränkt zu diesen Eroberungsplänen Stellung nimmt, deren Verwirklichung den Keim zu neuen Kriegen legen würde und die nur zu sehr geeignet sind, den Krieg zu verlängern.

Die von der sozialdemokratischen Partei seit langer Zeit geforderte Aufhebung des Belagerungszustandes ist nicht er­folgt, auch die Freigabe der Erörterung der Kriegsziele ist bisher nicht zugestanden worden. Troßdem sind die An­nexionswünsche gewisser Kreise immer wieder an die Öffent­lichkeit gekommen und zur Stimmungsmache im feindlichen Ausland benutzt worden.

Nachdem nunmehr am 1. August dieses Jahres in zahl­reichen deutschen   Städten Versammlungen des Nationalen Ausschusses zur Herbeiführung eines ehrenvollen Friedens stattgefunden haben, in denen von den meisten Rednern Kriegsziele, vielfach in annexionistischem Sinne, erörtert worden sind, ist es eine unabweisbare Pflicht der Regierung, die Erörterung der Kriegsziele allgemein freizugeben. Wir haben daher in einer Eingabe an den Reichskanzler die Frei­gabe der Kriegszielerörterungen erneut dringend gefordert. Die Parteiorganisationen im Reiche fordern wir auf, dem­nächst öffentliche Versammlungen zu veranstalten, in denen zu den Kriegs- und Friedenszielen Stellung genommen wer­