Nr. 25

Die Gleichheit

Das klare und gefestigte Bewußtsein internationaler Soli­darität der serbischen   Sozialdemokratie hat sich seit Kriegsausbruch bis heute glänzend bewährt. Furchtbare Ereignisse sind über das Land einhergebraust. Der Krieg soll 1 Million Männer von 4/2 Mil­lionen Einwohner verschlungen haben; das Land wurde Kriegs­schauplatz und erobertes Gebiet; Hunger und Epidemien rafften ungezählte Opfer dahin; dunkel, unbestimmt scheint Serbiens   po­litisches Geschick. Alle Schrecken und Nöte, alle entfesselten Leiden­schaften und Stimmungen haben die überzeugung der serbischen  Sozialdemokratie nicht crschüttert.

Serbien   ist ein aufblühendes Agrarland, das von den Nachbar­staaten eingeschnürt, fast ganz vom internationalen Warenverkehr abgeschnitten ist. Das aber in einer Zeit, wo die imperialistische Entwicklung den Balkan mehr und mehr in ihren Malstrom reißt und die europäischen   Großmächte zum Ringen um den vor­herrschenden Einfluß über die Halbinsel aufpeitscht. Unlösbar ber­schlingen sich für Serbien   Bestrebungen zur nationalen Zu­sammenfassung und staatlichen Selbsterhaltung mit modernsten imperialistischen Strömungen.

Betrachtet man die Lage des Landes für sich, losgelöst von der Vielheit der Fragen, die für die Völker Europas   von der Geschichte auf die Tagesordnung gestellt worden sind, so stimmt es, was der serbische Genosse Dusch   an Popowitsch voriges Jahr schrieb: Wenn die Sozialdemokratie überhaupt irgendwo das Recht ge= habt hätte, für den Krieg zu stimmen, so in erster Linie in Ser­ bien  ." Die serbischen   Genossen konnten trotzdem dieses Recht nicht anerkennen. Der Vorwärts" hat das in Nr. 162 und an anderen Stellen ausführlich nachgewiesen. Die bürgerlichen Parteien und die Regierung des Landes sahen die Dinge vom Kirchturm eines ,, Großferbiens" aus. Die Sozialdemokratie dagegen stand auf der höheren Warte der Internationalität. Sie erkannte, daß die kapita­listische Entwicklung der Gegenwart auch den Einigungsbestre­bungen kleinerer Völker ihren nationalen Charakter nimmt und fie zu internationalen Fragen macht. Sie täuschten sich nicht dar­über, daß angesichts der internationalen Lage das Drängen nach einem Großserbien" das Land in wachsende Abhängigkeit von den Großmächten bringen mußte.

Deshalb konnte die gefünftelte Unterscheidung zwischen An­griffs- und Verteidigungskrieg" die serbische Sozialdemokratie nicht blenden und verwirren, sie war geschlossen gegen den Krieg. " Für uns war die Tatsache entscheidend," erklärte Genosse Po po= witsch, daß der Krieg zwischen Serbien   und Österreich   nur die Ouvertüre zum europäischen Weltkrieg bildete, der nach unferer tiefsten Überzeugung keinen anderen als einen scharf aus­geprägten imperialistischen, kapitalistischen Charakter tragen fonnte. Deshalb erachten wir es als unsere gebieterische Pflicht, als Teil der großen sozialistischen, proletarischen Internationale mit aller Entschiedenheit gegen den Krieg aufzutreten."

Die serbischen   Sozialdemokraten haben dieser Auffassung gemäß gehandelt. In der Stuptschina stimmten die beiden sozialdemokra tischen Volksvertreter, die Genossen aptschewitsch und Rablerowitsch, gegen die Kriegskredite, wie sie früher in übereinstimmung mit der Partei gegen den Krieg agitiert hatten. Nach Kriegsausbruch fuhr die Partei und ihre Presse fort, das ser­bische Volk an die internationale Solidarität der Arbeiter aller Länder zu erinnern und für den Frieden zu wirken. Die Ar­beiterzeitung", das offizielle Parteiorgan, wurde verboten, die sie ersetzende Zukunft" fand, wie es im Vorwärts" heißt, trotz der Zensur noch immer den Weg, gegen den Krieg Stim­mung zu machen, und ihr Wort wurde bis in die Schüßengräben hinein gehört. Die nach Nisch   verlegte Redaktion des Parteiblattes war der Sammelplatz der von der Front zurückkommenden und dahin abgehenden Genossen, die dort sagten, was ihnen auf dem Herzen lag.... Die letzte Nummer des Parteiorgans erschien einige Tage vor der Einnahme von Nisch   durch die Bulgaren  . Das Blatt betonte in seinem Leitartikel, daß Serbien   nun wohl vernichtet werde, man möge aber das Vertrauen und den Mut nicht verlieren, Serbien   und das serbische Volk werde durch den Sozialismus be= freit werden. Hoch der Sozialismus! Das war der letzte Ruf der serbischen   Sozialdemokratie.... Dann kamen die Bulgaren   und die tragischen Ereignisse folgten einander. Das Blatt wurde weg­gefegt, die Partei verschwand, und in dem blutigen Durcheinander verschwanden die Genossen.... 2aptschewitsch und Popo= witsch, die das Blatt bis zum letzten Augenblick fertigstellten, fonnten sich irgendwie bis nach Belgrad   zurück durchschlagen.... Genoffe Katlerowitsch war nischen nach dem Ausland berschlagen worden. Er setzte hier sein Wirken als Vertreter der Sozialdemokratie energisch mit der alten Festigkeit fort."

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Die serbische Sozialdemokratie hatte wiederholt ihrem Friedens­willen Ausdruck gegeben. Genosse Katlerowitsch reichte am 5. De­zember 1915 in Skutari der Regierung ein Memorandum mit der Forderung des Friedensschlusses ein. Es flingt in diesen Säßen aus:

" Indem ich die serbische Regierung für den Untergang Serbiens  und für all das Entsetzliche, das sich vor unseren Augen abgespielt hat, verantwortlich mache, fordere ich die Regierung in letzter Stunde zum Rückzug auf und verlange, daß sie der Wahrheit in die Augen schaue. Ich sage der Regierung, sie hat kein Recht, um auch noch diesen Rest des einstigen serbischen   Volkes zu töten und zugrunde zu richten.... Die Regierung muß wissen, daß die Stimmung des Volkes nicht mit ihrer bisherigen Politik übereinstimmt. Das Volk will den Fries den, die Regierung darf kein Spiel treiben mit dem Volt. Ich verlange also von der Regierung, daß sie sofort Friedens= verhandlungen einleite und dafür sorge, daß das Heer und die Bevölkerung, die sich hier befindet, unter möglichst wenig Qualen in ihre Häuser zurückkehren können."

Genosse Katlerowitsch hat die einige Zeit zerrissene Ver­bindung mit den Gesinnungsfreunden in Serbien   wieder geknüpft. Daß sie seine Haltung billigen, dafür spricht diese Außerung des Genossen aptschewitsch:" Was Kaplerowitsch getan hat, ist die Fortsetzung unseres Verhaltens vom ersten Tage des Krieges an. Er konnte gar nicht anders handeln." Während die sogenannten Staatsmänner Serbiens   von den Regierungen der Entente etwas Mitgefühl für das unglückliche Land zu erbetteln und dem Volke die Wahrheit vorzuenthalten suchen, ist Genosse Kaplerowitsch zur zweiten Konferenz der Zimmerwalder nach Kiental gegangen, um die Bande internationaler Solidarität fester zu knüpfen, die die ar­beitenden Massen aller Länder verbindet, und dieser Solidarität in dem klaren, bestimmten Friedenswillen Ausdruck zu verleihen. In der Heimat wie als Geflüchtete wirken die serbischen   Genossen, ,, bon der unerschütterlichen überzeugung durchdrungen, daß nur eine solche Tätigkeit den Frieden beschleunigen und die besonderen und allgemeinen Ziele der Balkansozialisten der Verwirklichung nahe zu bringen vermag". Man spreche angesichts solcher Tätig­feit und solcher Überzeugungstreue nicht herablassend oder gar ver­ächtlich von einer kleinen Partei in einem kleinen Staate. Der Geist macht lebendig, kühn, stark und groß, und in Zeiten gewal­tiger Umwälzungen hat sich noch immer gezeigt, daß die letzten die ersten sein können.

Frauenarbeit.

Zur Frage der Meinungsgegensätze über die Entlohnung von Frauenarbeit in den Kriegsküchen wird uns aus Frank­ furt   a. M. geschrieben:

In Nr. 23 der Gleichheit" befaßt sich die Einsendung einer Karlsruher   Genossin mit der Frage der Entlohnung von Frauen in den Kriegsküchen. Was da mitgeteilt wird, ist recht be­schämend für den mit Namen genannten Genossen im Karlsruher  Stadtparlament. Seine Stellungnahme zu den Vorschlägen zu­fünftiger Bezahlung einer früheren ehrenamtlichen Tätigkeit ist eigentlich gar nicht zu verstehen. Meines Erachtens müßte so viel wie möglich ehrenamtliche Arbeit durch bezahlte Arbeit ersetzt wer= den; keinesfalls darf die erstere zur Verdrängung der bezahlten Arbeit beitragen. In diesen schweren Zeiten ist es eine unbestreit­bare soziale Pflicht, den Frauen Erwerbsquellen zu sichern, um ihnen ihr Fortkommen zu erleichtern. Die beiden genannten Ge­nossen im Stadtparlament zu Karlsruhe   könnten sich verdient machen, wenn sie dazu beitragen würden, daß in den Kriegsküchen so wenig wie möglich ehrenamtliche Arbeit verwendet wird. Sie müßten darauf drängen, daß bezahlte Arbeitskräfte eingestellt wer­den, und zwar ausreichend bezahlte. Den Karlsruher   Genos­sinnen rate ich, dem Beispiel der Genofsinnen in den Kriegsküchen zu Frankfurt   a. M. zu folgen. Sie haben darauf hingewirkt, daß bei Gründung der Kriegsküchen von vornherein bezahlte Ar­beitskräfte herangezogen wurden. In jeder Küche sind nur eine Leiterin und ein paar Damen ehrenamtlich tätig, die das fertige Essen verteilen. Die eigentliche Betriebsleiterin ist eine be­zahlte Kraft. Werden über 300 Portionen Essen   mittags ausge= geben, so wird für jedes weitere 100 eine bezahlte Kraft eingestellt. Ein großer Teil der Angestellten ist gewerkschaftlich organisiert und hat dadurch schon verschiedene Vorteile erreicht. Die Arbeits­zeit, die früher unbegrenzt war, dauert jetzt von 1/28 Uhr mor­gens bis 6 Uhr nachmittags, die Pausen inbegriffen. Dauert die Arbeit länger, so werden Überstunden entlohnt. Die Entlohnung der Arbeiterinnen ist erhöht worden. Sie betrug früher 40 Mt.