2 Die Gleichheit Nr.! unmöglich ist, deren Gegensatz nicht verkleistert werden kann, sondern ausgetragen werden mutz. Die Mehrheit und die Minderheit redeten auf der Konferenz zwei verschiedene Sprachen, wobei noch bemerkt werden muß, daß der extreme national-imperialistische Standpunkt der Genossen des äußersten rechten Flügels nicht einmal in seiner ganzen Schärfe zum Ausdruck gelangt ist. Für den linken Flügel der Minderheit, für die Gruppe „Internationale" sprach Genossin Duncker. In kurzen, programmatischen Ausführungen stellte sie jene Punkte heraus, die diese Gruppe nicht nur von der Mehrheit, sondern auch von der„Arbeitsgemeinschaft" trennen. Es geschah dies nicht aus irgendwelcher Sonderbündelei. Die Gruppe Internationale hat durch ihr Verhalten auf der Konferenz bewiesen, daß es ihr nicht auf„Spaltungsagitation" ankommt. Schulter an Schulter mit der Arbeitsgemeinschaft stand sie im Kampf gegen den Sozialimperialismus. Wo immer die„Arbeitsgemeinschaft" sich auf grundsätzlicher Höhe bewegt, kann sie der Unterstützung durch die Spartakusgruppe gewiß sein. Wo immer aber opportunistische Schwächen und ein Mangel an Praktischer Konsequenz sich zeigt, da werden sich die„Internationalen" durch keinerlei Rücksicht zum Schweigen bestimmen lassen. Es genügt der Gruppe nicht, eine Weltanschauung zu besitzen, sie fordert, daß die Weltanschauung auch in die Praxis umgesetzt wird. Noch hat die Arbeitsgemeinschaft ihrer Kreditverweigerung im Parlament keine grundsätzlich unzweideutig zugespitzte Erklärung mit auf den Weg gegeben. Noch glaubt die Arbeitsgemeinschaft, man könne zurückkehren zu der„alten, bewährten" Taktik, die in der Hauptsache rein parlamentarisch orientiert war, man könne die alte Internationale der Instanzen, Konferenzen und Resolutionen wiederaufbauen, eine Internationale, deren Schwerpunkt wie bisher in den einzelnen nationalen Parteiorganisationen und Parlamenten läge. In der Steuerpolitik, in der U-Bootfrage, in der Haltung zur Friedenspetition des Parteivorstands fehlt es der Arbeitsgemeinschaft an Folgerichtigkeit. Die Gruppe Internationale legt dagegen Gewicht darauf, daß man nicht nur dann und wann in Konferenzen usw. radikal und grundsätzlich spricht, sondern daß man überall, im Parlament wie im Volke, grundsätzlich handelt. Der Unterschied zwischen ihr und der„Arbeitsgemeinschaft" liegt demnach vor allem in einer größeren programmatischen Klarheit, in der stärkeren Betonung der praktischen Konsequenzen, die sich aus den Grundsätzen ergeben, und endlich in Fragen der anzuwendenden Taktik. Das trat auch auf der Konferenz zutage. In ihrem Schlußwort gab Genossin Duncker eine Erklärung der Gruppe„Internationale" zu Protokoll, die in gutgegliederten und gedrängten Leitsätzen die grundsätzliche Stellungnahme des sogenannten Linksradikalismus präzisiert. Wie Genosse Stadthagen in der Debatte, erhob auch sie im Namen ihrer Gruppe scharfen Protest gegen eine Sympathieerklärung für die Person Liebknechts, die, von Anhängern der Mehrheit eingebracht, ausdrücklich von seiner Politik abrückt. Die Politik der Mehrheit und das gehässige Vorgehen einiger ihrer Mitglieder gegen Liebknecht nehmen ihr jedes Recht, solche Sympathieerklärungen zu veröffentlichen. An der Abstimmung über die vorliegenden Anträge und Resolutionen hat sich die Minderheit geschlossen nicht beteiligt. Es war das der eindrucksvollste Protest dagegen, daß die Konferenz durch Beschlutzfassungen ihre Kompetenzen überschritt. Es liegt auf der Hand, daß die Beschlüsse dieser Konferenz ebensowenig formell als moralisch bindende Kraft beanspruchen können. Sie sind nichts als eine Zählprobe der Mehrheit und nicht einmal eine richtige Zählprobe des Kräfteverhältnisses der ringenden Gegensätze. Die Stimmenthaltung brachte semer mehr zum Ausdruck als allein den Protest gegen die undemokraiische Anmaßung der Mehrheit: nämlich die Uberzeugung, daß heute weniger als je mit Beschlüssen und Erklärungen gedient ist. In der„Welt am Montag" hat HanS Leuß die Auseinandersetzungen auf der Konferenz mit dem französischen Witzwort „Deutsche Querelen" tituliert. Er sieht in der Opposition nur das Wiedererwachen der„revolutionären Phrase".„Nicht durch Reden, nur durch Tatsachen wird entschieden, so oder so", heißt es. Er, der selbst auf dem Boden eines demokratischen Imperialismus steht, nennt der Opposition als wamendes Beispiel die bürgerlichen Revolutionäre von 1818 und mahnt, Respekt vor den Tatsachen zu haben, wenn mau selbst Tatsachen schaffen wolle. HanS Leuß versteht die Tatsachen in seinem Sinne, aber in dem einen hat er recht. Er meint, die intemationale Sozialdemokratie könne nur dann dem Krieg ein Ende machen, wenn alle europäischen Sozialdemokraten es mit Einsatz ihres ganzen Willens bis zum Opfer des eigenen Lebens wollten. Die Bedeutung der Konferenz liegt nicht in ihren Beschlüssen und nicht in dem„Manifest zur Friedensfrage". Alle diese Dinge hat die Mehrheit unter sich beschlossen. Von Bedeutung ist der Beweis für das Erstarken der Opposition, das nianchen Politikern gewiß unerwartet und unerwünscht ist. Nicht nur zahlenmäßig, auch an grundsätzlicher Klarheit, an Energie ist die Opposition gewachsen. Für die sozialistische intemationale Friedensbewegung wird das in allen Ländern ein kräftiger Anspom sein. Denn nur diese Bewegung kann die Welt einein Frieden näher bringen, wie ihn die Massen des arbeitenden Volkes brauchen. Immer freilich unter der Voraussetzung, daß die Opposition ihre Kräfte nicht in bloßen Erklärungen verpufft, sondern in energischer, opfervoller Arbeit ohne Sucht nach Kompromissen und vorübergehenden Tageserfolgen gewissenhaft anwendet._ Ernahnmgssvagen. An der Schwelle des dritten Kricgswiuters ist nach den bisherigen trüben Erfahrungen die Befürchtung berechtigt, daß die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sich noch unzulänglicher gestalten wird als zuvor. Von Kriegsbeginn an wurde die Nahrungsmittelversorgung durch den Bundesrat geleitet. Im Juni d. I. übertrug dieser die ihm vom Reichstag verliehene unbegrenzte Macht auf den Reichskanzler, der sie seinerseits auf das neugeschaffene Kriegsernährungsamt Ubertrug, an dessen Spitze als„Lebensmitteldiktator" Herr von Batocki berufen wurde, der bisherige Oberpräsident von Ostpreußen. Damit war zwar Person und amtliche Stelle gewechselt worden, doch das System blieb das gleiche— und der Mißerfolg ebenfalls. Gleich dem Bundesrat ist das Kriegsernährungsamt vor jedem Eingriff in die Produktion zurückgeschreckt. Die Bedarfsdeckung sucht man zu erreichen durch hohe Preise auf Kosten der Konsumenten, statt daß durch staatliche Maßnahmen die Produzenten gezwungen werden, den Bedarf ohne Wucher- gcwinn zu decken. In einem Aufruf vom 1. August 1916„An die Verteidiger des Vaterlandes!" hat Herr von Batocki seine Meinung klar ausgesprochen, daß„eine Senkung des Preisstandes der Nahmngsmittel" nur so weit in Betracht komme. als sie sich„ohne Gefährdung der Bedarfssicherung ermög- lichen lasse". Drei Wochen später aber wendet er sich„An die deutschen Landfrauen" mit„herzlicher und ernster Bitte",„das Erzeugte auch richtig denen zuzuführen, die es brauchen". Obwohl Herr von Batocki in demselben Aufruf zugibt, daß die Preise„jetzt schon für viele ärmere Familien unerschwinglich geworden sind", ergreift er keine Maßnahmen, um preiswerte Lieferungen zu erzwingen, sondern begnügt sich mit der Bemerkung:„Mir klingt es wie eine Beschimpfung der Landleute, wenn man hier und da sagt, nur durch den Anreiz gesteigerter Preise ist etwas aus ihnen herauszuholen." Wie sehr diese „Beschimpfung" aber recht oft der Wahrheit entspricht, beweist das Verschwinden der Ware vom Markte, sobald Höchstpreise irgendwo festgesetzt werden. Um die überaus hohen Lebensmittelpreise zu rechtfertigen, wird von amtlicher Stelle aus immer wieder verwiesen auf die Erhöhung der Produktionskosten. Doch fehlt bis heute jeder ziffermäßige Nachweis, daß die Erhöhung der Produk-
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27 (13.10.1916) 1
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