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Die Gleichheit

Nr. 1

eine.Dienstwohnung'. Sie hat zwar die vorgeschriebene Größe von 68 Quadratmeter, doch 68 Quadratmeter durch fünf Räume geteilt ergibt solche Zimmer, die sich noch nicht einmal für ein alleinstehendes Ehepaar als Wohnung eig­nen, viel weniger die Unterbringung mehrerer Kinder er­möglichem Die Aufstellung der Möbel in einer solchen Woh­nung wirkt lächerlich, da die einzelnen Zimmereinrichtungen mehrfach geteilt, ohne Rücksicht auf ihren Zweck in die ver­schiedenen Räume untergebracht werden müssen; ungefähr so, als wenn man bei einem Umzug einen Möbelwagen voll­stellt. Der freie Bewegungsraum ist gewöhnlich SV bis 7V Zentimeter breit. Wer da kein Gliederverrenkungskünstler ist, wird entweder die Möbel beschädigen oder sich selbst verletzen. Ich habe gegenwärtig erst ein Kind, und wenn der Kinder­wagen in einem Zimmer steht, ist jede Bewegungsmöglichkeit ausgeschlossen. Wo soll ein Kinderbett aufgestellt werden, und wo sollen gar mehrere Kinder sich aufhalten und spielen? Können die zuständigen Stellen nicht berechnen, welcher freie Raum nach der Aufstellung der nötigen Möbel übrig bleibt? Anscheinend hat es noch niemand für nötig befunden; denn sonst müßte man an die Absicht glauben, die Leute sollen nicht wohnen, sondern sie sollen eingepfercht sein. Solche Zustände herrschen in den neueren Diensttvohnun- gen. In den alten war wenigstens e i n großer Raum. Nach­dem aber der Ruf nach mehr voneinander getrennten Räumen, wegen der sittlichen Gefahren, durchdrang, wurde in den neuen Dienstwohnungen die Zimmerzahl, aber nicht der Flächenraum vermehrt, und so entstanden die heutigen neuen Menstwohnungen mit fünf Räumen, deren Flächen­inhalt aber kaum dem einer Privat-Zweizimmerwohnung ent­spricht. Die Eltern stellen sich oft die Frage: Sollen auch wir das moderne Ein-' und Zweikindersystem gelten lassen oder nicht? Und kommen zu dem Ergebnis, daß der Staat es so haben will, denn sonst hätte er für mehr Raum Sorge getragen. Wie sollen Besitzer von Mietkasernen, die nur auf ihren finanziellen Vorteil bedacht sind, sich zugesunden, luftigenWohnräumenbeiNeu- bauten entschließen, wenn der Staat selbst, der in dieser Beziehung mit gutem Beispiel vorangehen müßte, seinen Beamten Woh­nungen schafft, die weit hinter denen der Mietkasernen zurückstehen?" In der Tat, diese Eisenbahnerfrau ist dem Kern der ganzen Frage sehr nahegerllckt. Was ihr fehlt, ist nur noch die Er­kenntnis, warum derselbe Staat, der ein so großes Interesse am Bevölkerungszuwachs hat, trotzdem so wenig zu tun ver­mag, um die sozialen Vorbedingungen eines gesunden Kin­derreichtums zu schaffen. Aber die Frau hat nicht weit mehr zu dieser Erkenntnis. In der Wertung des Bevölkerungspro­blems als einer Frage derWehrkraft" liegt das Rätsel be­schlossen. Nicht unter militärischen und machtpolitischen Ge­sichtspunkten muß Bevölkerungspolitik getrieben werden, son­dern als eine Frage der körperlichen und geistigen Hebung und Veredlung der Volksmassen. Solange aber die breitesten Massen als Abhängige, Unfreie im Interesse einer Minder­heit die Produktionsmittel des Lebens und des Todes be­dienen müssen, so lange wird eine wirklich durchgreifende HZe- völkerungspolitik unmöglich sein. Erst die sozialistische Ge­sellschaft kann eine solche Politik treiben, denn sie wertet jeden einzelnen wegen seines Menschentums, erhebt ihn zu einem Gleichberechtigten und Gleichverpflichteten, und betrachtet als ihren größten Schatz den Reichtum an leiblich und seelisch voll- und harmonisch entwickelten und wirkenden Menschen.

Aus der Bewegung. Adolf d. Elm ft. Am IS. September hat der Tod den Genossen v. Elm in Hamburg einem arbeits- und kampfreichen Leben un­erwartet entrissen. Mit ihm ist einer der eifrigsten und hingebungs­vollsten Förderer des Aufstiegs der arbeitenden Massen zu Freiheit

und Kultur geschieden. Am 14. September 18ö7 geboren, hat Adolf v. Elm kaum die Schwelle des 59. Lebensjahres überschritten, ohne Zweifel vor der Zeit aufgezehrt von der schweren Bürde der Arbeiten und Verantwortlichkeiten, die er seit vielen Jahren um seiner Ideale willen getragen hat, denn er gehörte zu jenen, bei denen hinter dem Bekenntnis stets die Tat steht. Schon in jungen Jahren fand er den Anschluß an die moderne Arbeiterbewegung, aus der Praxis des alltäglichen Lebens heraus, die auf Schritt und Tritt den unversöhn­lichen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit enthüllt. Was diese Praxis lehrte, das befestigte und vertiefte das Studium eines wissens­hungrigen Geistes. Insbesondere� wurde Adolf v. Elm von dem Ge­danken ergriffen, wie notwendig der Zusammenschluß der vielen Schloachen, der Ungenannten und Unbekannten, zu einer starken Macht fei, die sich auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens zur Geltung bringen könnte. Dieser Gedanke ist allzeit der Polar­ stern seines Wirkens geblieben. Gelernter Zigarrensortierer gründete Adolf v. Elm für seine Ve- rufsgenossen eine Organisation, die später.im Tabakarbeiterverband aufgegangen ist. Seine Betätigung für die gewerkschaftliche Organi­sierung der Arbeiter war so bedeutend, daß er 1899 Mitglied der Generalkommission wurde, der in jenem Jahre eingesetzten Zentral­leitung der deutschen Gewerkschaften. Genosse v. Elm gehörte zu den überzeugtesten Verfechtern der Auffassung, daß die Gewerkschaften durch Unterstützungseinrichtungen die Ausgebeuteten nicht bloß an die Organisation fesseln, sondern durch die gegenseitige Hilfe und Fürsorge materiell und moralisch heben müßten, um sie kampfes­tüchtiger zu machen. Bereits 1896 trat er für einen Plan ein, nach dem die Gewerkschaften sich bei Lohnkümpfen gegenseitig unterstützen sollten. Der Vorschlag fand damals keine Zustimmung, sein Kern­gedanke aber gewann allmählich Boden, und der Plan ist in seinen Grundzügen in einem Beschluß des letzten Gewerkschaftskongresse? 1914 zu München enthalten. Der Genossenschaftsbewegung hat Genoffe v. Elm sich seit Mitte , der neunziger Jahre mit nie ermattender Begeisterung und Arbeits­freudigkeit gewidmet. Die Gründung und glänzende Entwicklung des größten Konsumvereins in Deutschland , einer durchaus prole­tarischen Genossenschaft, der Hamburger Produktion, bleibt mit seinem Namen unzertrennlich verbunden, darf geradezu ein Denkmal seines Wirkens genannt werden. Genosse v. Elm war jederzeit be­strebt, die Genossenschaftsbewegung in enger Fühlung nnt der Ge­werkschaftsbewegung zu halten. Deshalb und seiner ganzen Auffas­sung entsprechend, daß die frondenden Massen durch Hebung ihrer Lage in der Gegenwart auf die sozialistische Zukunft vorbereitet werden müßten, war Genosse v. Elm auch ein rühriger Befürworter der gewerkschaftlich-genossenschaftlichen VersicherungsanstaltVolks- fürsorge". Es war wohlverdient, daß ihm 1911 ihre Leitung an­vertraut wurde. Die proletarische Frauenbewegung ist allezeit von dein Genoffen v. Elm mit Rat und Tat unterstützt worden. Er war fest von der Gleichwertigkeit der Geschlechter, von der Bedeutung der weibliche» Leistungen für Familie und Gesellschaft überzeugt. Sein heißes Ge­rechtigkeitsempfinden trieb ihn deshalb stets in die Schranken, w« für die volle Gleichberechtigung des WeibeS gekämpft wurde oder wo es sich darum handelte, die Elendsbürde der Proletarierinnen durch Selbsthilfe oder Gesxllschaftsfürsorge zu erleichtern. So ließ er sich besonders angelegen sein, die Frauen als bewußte Träge­rinnen und Mitarbeiterinnen in der GenoffenschaftSbewegung zu gewinnen, ihnen aber auch in dieser den gebührenden Einfluß zu sichern. Gleichfalls unterstützte er tatkräftig alle Bestrebungen, die Arbeiterinnen gewerkschaftlich zu organisieren. In diesem Sinne hat er unermüdlich in der Generalkommission wie als Agitator und Or­ganisator gewirkt. Genoffe v. Elm war davon überzeugt, daß die Entwicklung zur Verwirklichung der sozialistischen Zukunftsordnung führe. Seinem Auge entging nicht, daß da» Proletariat auch auf politischem Gebiet kämpfen müsse. So ist er werbend und sammelnd für die Sozial­demokratie tätig gewesen, und hat sie auch viele Jahre im Reichstag vertreten. Seiner tatverlangenden Natur entsprechend fand man ihn im politischen Kampf und im Streit der Meinungen wahrhaftig nie in den hintersten Reihen. Bei Auseinandersetzungen um Grundsätze und Taktik stand er meist auf dein rechten Flügel der Partei, weil ihm unserer Meinung nach das richtige sichere Augenmaß für das Verhältnis von Gegenwartswirken und Zukunftsziel fehlte, wie für die Einschätzung der Ansätze zur sozialistischen Entwicklung in den Dingen und im Bewußtsein der Menschen. Seine Auffassungen mochten die schärfste Kritik herausfordern, auf die Lauterkeit ihrer Quelle, auf die Lauterkeit der Persönlichkeit fiel kein Schatten Ge­nosse v. Elm war in allem ein innerlich überzeugter und Ergrif­fener. Die aufrichtige Wertschätzung auch derer bleibt ihm, die oft