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Notizenteil.

Aus dem öffentlichen Leben.

Die Gleichheit

Das Verfahren gegen Genossen Janus in Stuttgart   nieder­geschlagen. In den ersten Julitagen wurde Genosse Janus in Untersuchungshaft genommen wegen eines angeblichen Mordver­suchs auf den Chef der politischen Polizei in Stuttgart  , Kriminal­fommissär Mautsch. Am 6. Oktober wurde er wieder entlassen, da die Untersuchung ergeben hatte, daß der Verdacht vollständig unbegründet war.

Der Reichstag   zu den Strafverfahren gegen die Ge­nossen Liebknecht nud Nühle. Die Geschäftsordnungskommission des Reichstags hat am 12. Oktober über den Antrag der Abgeord­neten Bernstein   und Genossen( Sozialdemokratische Arbeits­gemeinschaft) verhandelt, der verlangt, der Reichstag   möge die ver­bündeten Regierungen ersuchen, das bei dem Militärgericht gegen den Abgeordneten Liebknecht   anhängige Strafverfahren und die Untersuchungshaft für die Dauer der Sizungsperiode aufzu= heben. Weiter war beim Reichstag ein Schreiben des Gou­bernementsgerichts in Thorn eingelaufen, das um die Genehmigung des Reichstags zur Einleitung eines neuen Straf­berfahrens gegen den Genoffen Liebknecht   nachsuchte. Die strafbare Handlung soll in der Beteiligung Liebknechts an dem sozia= listischen Jugendtag zu Jena   bestehen, der an Ostern dieses Jahres stattgefunden hat. In den Beschlüssen dieser Veran­staltung erblickt das Gouvernementsgericht eine Aufforderung zum Landesverrat und hat daher ein Strafverfahren gegen Genossen Liebknecht   eingeleitet, der damals bereits als Landsturmmann im Militärberhältnis stand. Die Kommission beschloß, das Ersuchen des Thorner Gouvernementsgerichts abzulehnen. Zu dem An­trag des Genossen Bernstein   schlug der Abgeordnete Payer vor, die Kommission möge die Prozeßakten einfordern, um aus ihnen den Stand des Verfahrens zu ersehen. Ein Mitglied der So­zialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft führte Beschwerde wegen der einseitigen Berichterstattung der Bresse über die Verurteilung des Genossen Liebknecht sowie darüber, daß der Presse jede Kritik an dem Urteil verboten worden sei. Nach dem Berliner Tageblatt" betonte er, daß es den Anschein erwecke, als ob man nur darauf ausgehe, den Wahlkreis Rieb= knechts möglichst schnell freizumachen. Nach längerer Aussprache wurde beschlossen, dem Plenum die Einforderung der Atten zu empfehlen.

Der Geschäftsordnungsausschuß beriet schließlich über einen An­trag auf Genehmigung zur Fortsetzung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Rühle wegen Beleidigung des General­gouverneurs v. Bissingen und seiner Beamten. Der Ausschuß be= schloß, den Antrag abzulehnen.

Das Plenum des Reichstags hat nun zu den Kommissionsvor­schlägen Stellung genommen. Der Antrag auf Entlassung des Ge­nossen Liebknecht   aus der Haft wurde gegen die Stimmen der bei­den sozialdemokratischen Fraktionen und der Polen abgelehnt. Bei den zwei anderen Anträgen, das Verfahren gegen den Genossen Rühle und die Einleitung eines zweiten Verfahrens gegen Ge­noffen Liebknecht betreffend, stellte sich der Reichstag   auf den Standpunkt der Kommission. Wir kommen noch darauf zurück.

Nenorientierung? In Friedenszeiten galt in militärischen Kreisen der Satz: Nur ein guter Christ kann auch ein guter Soldat sein." Juden wurden von der Beförderung zum Offizier ausgeschlossen. Im Kriege mußte man umlernen". Es erwiesen sich Männer als gute Soldaten, die keinem christlichen Bekenntnis angehören. Israe­liten und Sozialdemokraten sind Offiziere geworden. Nun erhebt sich die Frage: Rann ein Dissident Offizier werden? Sie ist durch einen bestimmten Fall aktuell geworden. Die Monats­schrift Weltliche Schule" veröffentlicht folgende Antwort des preußischen Kriegsministers auf eine an ihn ergangene Anfrage.

Kriegsminister

im Großen Hauptquartier  .

Nr. 566/15. g. C. L.   Großes Hauptquartier, 29. Nov. 1915. Euer Hochwohlgeboren teilt das Kriegsministerium in Beant­wortung des gefälligen Schreibens vom 17. Juni 1915 nach Ab­schluß der Untersuchung in der Beschwerde des Professors Dr. U. folgendes ergebenst mit:

Eine Allerhöchste Kabinettsorder, die die Beförderung von Dissi­denten zum Offizier oder Sanitätsoffizier verbietet, besteht nicht. Sofern die sonstigen Bedingungen erfüllt sind, steht der Be­förderung nach sorgfältiger Prüfung des Einzelfalles nichts ent­gegen, vorausgesetzt, daß der zu Befördernde einer Religions­gemeinschaft angehört, der der Staat seine Anerkenntnis nicht versagt.

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Dementsprechend sind auch verschiedentlich von meinen Amis­vorgängern, so in der 228. Sizung am 19. März 1909 und in der 32. Gizung am 10. Februar 1910, im Reichstag   Erklärungen ab­gegeben, daß die Wahl zum Reservcoffizier, wenn die sonstigen dazu vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt sind, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft zu erfolgen hat und erfolgt.

Aber die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft wird ver­langt. Dissidenten, sofern sie konfessionslos sind, werden ausgeschlossen. Da die Söhne des Herrn Professors Dr. U. aus der Landeskirche ausgetreten und ausdrücklich als fonfessionslos" bezeichnet sind, gehören sie einer Religionsgemeinschaft überhaupt nicht an und tommen demnach für die Wahl zum Offizier oder Sanitätsoffizier nicht in Frage.

Das Kriegsministerium muß an diesem Standpunkt festhalten, da gerade die jebige ernste Zeit bewiesen hat, wie fest im Volke die Religion wurzelt, und wie sich gerade jezt manche, deren Verhält­nis zu ihrer Religionsgemeinschaft bereits gelockert war, dem Glauben und der Religion wieder zugewandt haben.

An der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft festzuhalten ist auch eine Notwendigkeit, weil sie für den erzieherischen Einfluß des Offiziers auf die Mannschaften, ihre Belehrung über den Fahneneid und die in ihm beruhenden Pflichten von nicht zu ent­behrender Bedeutung ist. Wollte man hiervon abgehen, so würde das bei der jetzigen Erstarkung des religiösen Gefühles in weiten Kreisen des Volkes auf Mangel an Verständnis stoßen. Gez. Wild v. Hohenborn. Ist die Praxis der vorstehenden Auffassung der Anfang zur Neuorientierung und zur Verwirklichung des Kanzlerwortes: " Freie Bahn für jeden Tüchtigen"?

Für den Frieden.

Französische   Lehrer gegen die Völkerverhetzung. Die organi­sierten Lehrer und Lehrerinnen des Seine- Departements, unter denen sich viele Sozialisten befinden, haben eine Erklärung angenommen, in der folgende Säße bemerkenswert sind:

" Das Syndikat( der Berufsverein) der öffentlichen Lehrer und Lehrerinnen des Seine- Departements stellt fest, daß die Gefahr vor­handen ist, daß die Erziehung zum Chauvinismus und zum Kol­lektivhaß gegen die mit Frankreich   im Kriege befindlichen Völker ein Punkt des öffentlichen Lehrprogramms wird. Ferner, daß unsere Führer uns zu überreden versuchen, es sei Pflicht der Lehrer, die entsprechende Ergänzung der Moral ebenso zu lehren, wie wir die Achtung vor den Eltern, Arithmetik und Geographie lehren. End­lich, daß die Verwaltung fich bereits veranlaßt gesehen hat, gegen Lehrerinnen einzuschreiten, die sich weigerten, das neue Evangelium zu verbreiten. Angesichts dieser Feststellungen erklärt das Syndikat, daß die Erregungen des Hasses schädlich und gefährlich find. Schädlich, weil sie sich an die brutalsten und niedrigsten In­stinkte richten, die eine Verneinung aller Moral find. Gefährlich, weil sie die Dauer des gegenwärtigen Krieges nur verlängern und eines Tages verhängnisvollerweise eine Kraft neuer Kriege sein können, wenn sie zwischen den Völkern eine ständige Feindschaft aufrechterhalten."

Wir begrüßen es, daß sich unter den französischen   Lehrern und Lehrerinnen starke Persönlichkeiten erhoben haben, denen die klare Einsicht und der Mut eignet, sich in der Öffentlichkeit der chauvi­nistischen Hochflut entgegenzustemmen. Wir warten gespannt, ob das schöne Beispiel in anderen Ländern Nachahmung finden wird.

Friedensbewegung in den englischen Judustriezentren. Nach einem Bericht im Vorwärts" vom 26. Oktober erklärte in der Sigung des englischen Unterhauses vom 12. Oktober Herr Dal­ziel, ein Liberaler, folgendes: Es wäre ein Fehler, wolle das Haus die Augen vor der Tatsache verschließen, daß in den großen Industriezentren Woche für Woche mächtige Massenver­sammlungen abgehalten worden sind, in denen die Frie= densgedanten mit stürmischem Beifall aufgenommen wur den. Diese Stimmung ist besonders durch den Umstand verstärkt worden, daß die einen im Kriege alles opfern und die anderen durch ihn reich werden. Für diesen Stand der Dinge ist die Re­gierung Englands zum guten Teil verantwortlich. Sie hätte die wilde Profitmacherei verhindern müssen, und es wäre Pflicht der Minister gewesen, durch häufige Reden ihre Wähler über den Gang des Krieges aufzuklären und dadurch dem Umsichgreifen der Friedensideen entgegenzuwirken." Wenn die Friedenssehnsucht der englischen Arbeiterschaft zum bewußten, tätigen Friedenswillen wird, werden alle Ministerreden ohnmächtig sein, die Kriegsdauer zu verlängern. Wenn...!