Nr. 7

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27. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft viertelfährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.

Jabres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

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Stuttgart

5. Januar 1917

Eine geschichtliche Stunde? Die sozialdemokratischen Frauen und der Friede. Von Luise Zieß. Die Heimarbeiterinnen im Franken­ wald . Von m. b.- Politische Rundschau. Gewerkschaftliche

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Rundschau. Genossenschaftliche Rundschau. Von H. F. Notizenteil: Aus dem öffentlichen Leben. Für den Frieden. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.- Arbeitslosigkeit der weiblichen Erwerbstätigen. Frauenarbeit.

Eine geschichtliche Stunde?

Zum drittenmal, feit der Weltkrieg die Schrecken der Hölle entfesselt zu haben scheint, treten die Völker über die Jahres schwelle. Ärmer an materiellen Kulturgütern- es sei denn, daß man die Berge von Geschützen, Handgranaten, Bomben, Unterseebooten, Kampfflugzeugen und anderen Zerstörungs­werkzeugen ,, vollkommenster Art" als höchste Stulturgüter ein­schätzt, ärmer namentlich auch an allem ideellen, geistig stttlichen Kulturbesitz, den sich die Menschheit im Laufe unge zählter Jahrtausende in Lust und Leid, in der Sehnsucht Dual und Hoffnungsseligkeit, in der Enttäuschung Bitternis, in jubelnder Erfüllung geschaffen hat. Stehen wir nicht auf Golgatha, und hat die Sonne nicht ihren Schein verloren, wie damals, als nach der christlichen Legende der ans Kreuz geschlagene Gottmensch verschied? Jedoch in dem bangen, lastenden Dunkel scheint ein lichter Schimmer aufzudämmern, dem schwachen unsicheren Leuchten gleich, das in zitternden Wellen als erster Vorbote des Morgens über den Himmel zieht. Friedenshoffnungen weben um das neue Jahr, und mögen es noch so winzige, trüb glimmende Fünklein sein, die riesengroße Friedenssehnsucht von Millionen haftet in atem­loser Spannung an ihnen.

Kurz che das alte Jahr zur Rüste ging, gab der deutsche Reichskanzler im überraschend zusammenberufenen Reichstag die Erklärung ab, daß die verbündeten Mittelmächte ihren Gegnern den Eintritt in Friedensverhandlungen vorschlagen. Freilich fehlte in der Ankündigung das Wichtigste. Nämlich die Mitteilung, unter welchen Bedingungen die Mittelmächte zum Friedensschluß bereit selen. Denn was darüber in der Note" enthalten ist, die den Regierungen der Entente über­mittelt worden, sind unter den obwaltenden Umständen im Munde von Staatsmännern nichts als allgemeine Redens­arten, wie wir sie ähnlich schön auch schon von London und Paris gehört haben. Die Note schweigt über die Stellung nahme der Mittelmächte zu den sehr konkreten Fragen, die der Weltkrieg aufgerollt hat. Es gibt für sie kein Belgien , tein Serbien , kein Nordfrankreich, kein Livland und Kurland, feine polnische Frage, keine deutschen Kolonialländer in Afrika und Ostasien , um nur einiges zu nennen. So gleicht die offi­zielle Friedensaktion dem berühmten Lichtenbergschen Messer ohne Heft und Klinge.

Wer die so viel angerufenen Wirklichkeiten nicht aus dem Auge verliert, kann deshalb kaum überrascht, geschweige denn enttäuscht sein, daß die offizielle Friedensaktion der Mittel­

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin ( Sundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.

mächte kein freudiges und einheitliches Echo erweckt hat, nicht einmal in den Ländern des Vierverbands selbst. In der Presse aller kriegführenden Länder- und etwas weniger lebhaft in der der Neutralen- stoßen und werfen Friedensfreunde und Kriegsheher das Friedensangebot wie einen Fußball hin und her. Die Ausbrüche wildester chauvinistischer Leidenschaft maß­Yoser Annexionisten, die Stimmen von superklugen, maßvollen Männern der realen Garantien" mischen sich mit dem Ver­langen nach einer Verständigung der Völker, die weder Sieger noch Besiegte zurückläßt und allen Nationen volle politische und wirtschaftliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit sichert. Wie an einem Drakelspruch zu Delphi werden von Journa listen, Politikern, Kannegießern alle Auslegekünfte an der Note der Verbandsmächte, den Worten des Reichskanzlers, dem Um und Auf der offiziellen Friedensaltion erprobt. Ist diese Aktion ernst zu nehmen oder ein bloßer Theatercoup? Eriveist sie die überlegenheit oder die Schwäche der Mittelmächte? Wird sie entscheidende politische oder lediglich moralische Wirkungen zeitigen? Welchen Einfluß kann sie auf Stimmung und Stel­lungnahme der Neutralen ausüben? Wird Wilson nun die früher angekündigte Rolle des Friedensvermittlers wirklich in Angriff nehmen? Wie hat sich Trepow zu dem Angebot von Friedensverhandlungen geäußert? Wie Sonnino, Briand und Lloyd George ?

Über diese Fragen und andere noch ist auf Bergen von Druckpapier manches Richtige und viel Unrichtiges, einiges Vernünftige und überwiegend Törichtes geschrieben worden. In allen kriegführenden Ländern leider unverantwortlich viel, was statt die Friedensstimmung zu fördern, die Striegsleiden­schaften aufpeitschte. Und die Reden, mit denen in Petersburg und Rom , in Paris und London die leitenden Staatsmänner des deutschen Reichskanzlers Ausführungen beantwortet haben, flangen nicht besonders friedeverheißend. Mit Variationen und in verschiedenen Tonarten wiederholten sie das Einer­seits und Anderseits, das Bethmann Hollwegs Rede ihr Ge­präge gegeben hatte, Beteuerungen der Friedensbereitschaft, wenn... Eidschwüre für das Durchhalten, wenn... Wir kennen die Weise, wir kennen den Text, wir kennen auch die Verfasser." Zur Zeit, da diese Nummer in Druck gehen muß, steht die offizielle gemeinsame Antwort der Ententemächte auf die Note, auf die Aufforderung zu Friedensverhandlungen noch aus. Wird sie das Tor öffnen für den ersten Schritt zum heiß­ersehnten Ende der Völkerzerfleischung? Das zehrende Leid ungezählter Gebeugter, die gespenstige Not von Millionen Darbender, die schwache Hoffnung Verzweifelnder harrt der Antwort entgegen wie einem Evangelium.

Ist es wirklich in allen kriegführenden Ländern zum Glaubens­sak geworden, daß der Friede einzig und allein an der Hand der Regierungen von himmlischen Höhen zur blutüberströmten Erde herniedersteigen muß? Ist wirklich bis zum letzten Rest die Überzeugung ausgetilgt, daß er auch von den Völkern geleitet nahen kann? Die Antwort auf diese Frage ist für die Entscheidung über Krieg und Frieden bedeutsamer als alle mehr oder minder vieldeutigen Worte der Staatsmänner,