Nr. 9

Die Gleichheit

Treibereien, die für jeden Beteiligten die schwersten Folgen haben fönnen, warnen. Auf diese Veröffentlichungen des Parteivorstandes und der Generalfommission legte der Reichsanwalt das allergrößte Gewicht. Er begründete aus deren Wortlaut auch, daß in dem Flugblatt nicht zu einem furzen Proteststreit aus Anlaß der Verurteilung Liebknechts aufgefordert werde, sondern zu einem großen Muni­tionsarbeiterstreit in ganz Deutschland , und daß die Angeklagten das fragliche Flugblatt in diesem Sinne aufgefaßt haben müßten. Er behauptete ferner, daß eine Organisation zur Verbreitung des Flugblatts bestanden habe, und daß die Angeklagten als Teil­nehmer dieser Organisation mit den Verbreitern des Flugblatts in den übrigen Städten zusammengewirkt hätten. Es kam auch zur Sprache, daß französische Ballons mit Spartacus- Flugblättern in Württemberg niedergingen, woraus der Reichsanwalt folgerte, daß die Verbreitung dieser Flugblätter unter der deutschen Be­völkerung der französischen Regierung fehr wertvoll erscheine. Er behauptete auch, daß deutsche Ballons mit dem Flugblatt, Zwei­einhalb Jahre Zuchthaus nach Frankreich von Württemberg aus abgelassen worden seien, konnte dies aber nicht beweisen.

Das Strafgesetz bedroht Landesverrat mit Zuchthaus, wenn derselbe aus einer ehrlosen Gesinnung entsprungen ist; sonst und beim Vorhandensein mildernder Umstände mit Festungshaft. Der Reichsanwalt beantragte, obgleich, wie gesagt, das Flugblatt nir­gendwo den Erfolg der Arbeitseinstellung gehabt hat, unter Ver­sagung mildernder Umstände gegen Schwab 2 Jahre 6 Monate Zuchthaus und 5 Jahre Ehrverlust, gegen Rödel und Schlum­berger je 1 Jahr und 5 Monate Zuchthaus und 3 Jahre Ehr­verlust. Er begründete die ehrlose Gesinnung unter anderem da­mit, daß die Angeklagten nach Ausbruch des Krie ges ihre politische Gesinnung nicht geändert hätten, obgleich dies die Mehrheit der Fraktion und der Parteiberstand getan: außerdem mit der un­geheuren Gefahr der Schädigung der Kriegsmacht des Deutschen Reiches durch die Verbreitung des Flugblatts.

Das Reichsgericht sprach Rödel und Schlumberger frei und ver­urteilte Schwab zu 2 Jahren Zuchthaus, auf die 2 Monate Unter­suchungshaft angerechnet werden, und zu 5 Jahren Ehrverlust. Es verkündete, daß es sich um eine Tat handle, wie man sie sich für Deutschland nicht schwerer vorstellen könne. Die Verbreiter fuchten die Volksgenossen im Schüßengraben wehrlos zu machen. Politischer Fanatismus möge mitgewirkt haben. Eine solche Hand­lung, die eine erhebliche Gefahr für Deutschland heraufbeschworen, sei aber aus ehrloser Gesinnung entsprungen, und deshalb sei auf Zuchthausstrafe und Ehrberlust erkannt.

Die Verteidigung, welche von den Rechtsanwälten Schickler aus Etuttgart und Dr. Herzfeld aus Berlin geführt wurde, hatte ver­geblich darauf hingewiesen, daß eine politische Anschau­ung die entgegengesette und deren Handlung nicht für ehrlos erklären könne, und daß auch, da nicht der geringste Schaden entstanden sei, den Angeklagten, die sich bis­her tadellos geführt und das Vertrauen ihrer Mitbürger genöffen, unbedingt mildernde Umstände zugebilligt werden sollten, falls das Gericht zu einer Verurteilung käme.

In dieser Entscheidung hat das Gericht zum ersten Male den indirekten Landesverrat in die Rechtsprechung eingeführt. Vergeblich hatte die Verteidigung darauf hingewiesen, daß dadurch jede feste Grundlage für den Begriff des Landesverrats schwinde."

Für den Frieden.

Die Friedensresolution der Genossinnen von Groß- Berlin, die auf der Konferenz einstimmig zur Annahme gelangte, hat diesen Worilaut:

" Das grauenhafte Wüten des Weltkrieges, dessen schaudernde Zeugen wir sind, hat nunmehr seit 27 Monaten die Fluren Europas verwüstet, die Menschen, wie die Grashalme unter der Sense hin­gemäht, Kulturgüter von Generationen zerstört und bittere Not und unfägliches Leid über die Wölfer gebracht.

Das kapitalistische Weltmacht- und Herrschaftsstreben, das letzten Endes den Weltbrand entzündete, hat im weiteren Verlauf des Krieges ein bisher neutrales Land nach dem anderen in den Mal­strom der Menschenvernichtung und des wirtschaftlichen Nuins hin­eingezogen. Längst ist die Blüte der Nationen dahingesunken und immer neue Reserven werden ins Feuer geführt, dem Tod, der Ver­krüppelung oder dem Siechtum ausgeliefert. Und den weitaus größten Teil dieser Todesopfer stellt das Proletariat, das jetzt mit den Waffen in der Hand gegeneinander kämpft, während seine ge­schichtliche Aufgabe, die gemeinsame Bekämpfung und überwindung

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des Kapitalismus, der kapitalistischen Weltmachtspolitik, sowie die Verwirklichung des Sozialismus ist.

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Die Massenvernichtung des Proletariats, der sozialistisch denkenden und strebenden Arbeiter eine Vernichtung, wie sie nie zuvor die Welt gesehen hat, ist ein schwerer tödlicher Schlag gegen die sozialistische Bewegung, gegen die Verwirklichung der hohen Ideale der Menschheit.

Klarer als je zuvor ist durch diese Entwicklung der Dinge die internationale Solidarität des Proletariats der ganzen Welt als geschichtliche Notwendigkeit enthüllt und auf das eindringlichste dar­gestellt."

Das Proletariat hat kein Interesse an der Niederzwingung der einen oder der anderen Mächtegruppe, getreu seiner sozialistischen überzeugung will es Frieden; einen Frieden, der die Freiheit und Unabhängigkeit der beteiligten Völker sicherstellt und damit das Unterpfand schafft für einen friedlichen Wettbewerb, für die schnelle Wiederherstellung der menschlichen Gemeinschaft aller Kulturvölker. Die sozialistische Frauenfonferenz Groß- Berlins fordert deshalb, daß die deutsche Regierung schleunigft die nötigen Schritte zum Frieden unternimmt, zu einem Frieden ohne jegliche Annexionen, ohne politische oder wirtschaftliche Vergewaltigung irgend eines Volkes.

Die sozialistischen Frauen erheben im Namen der Menschlichkeit diese Forderung, damit dem Blutvergießen endlich ein Ende gemacht wird und setzen getreu ihrer fozialistischen Weltanschauung dem blutigen Völkermorden das Prinzip der menschlichen Solidarität, der hohen innigen Kulturgemeinschaft der Menschheit entgegen.

Als Trägerinnen neuen Lebens, als Pflegerinnen und Erziehe­rinnen der jungen Generation trifft sie die Vernichtung des blühen­den Menschenlebens besonders hart, empfinden sie doppelt schmerz­lich den Verlust der Vielen, die, erfüllt von hoher edler Gesinnung, sozialistischer Überzeugungstreue und kühnen Heldenmuts ins Grab santen, und um so heißer ist ihr Wunsch, um so gebieterischer ihre Forderung nach Frieden. Sie versprechen, mit starker Energie und unermüdlichem Eifer für eine schnelle Herbeiführung des Friedens wirken zu wollen.

Eine Antwort aus Deutschland auf die Botschaft der hol: ländischen Genoffinnen. Genoffin Ziez hat in der Parteipresse den Aufruf unserer holländischen Schwestern zur Friedensarbeit wie folgt beantwortet:

Unermüdlich sind die sozialistischen Frauen der kriegführenden Länder und der neutralen Staaten Europas und Amerikas be­müht gewesen, für die Herbeiführung des Friedens zu wirken und durch die Bekämpfung des Völkerhasses und des Chauvinismus im eigenen Lande einem baldigen Kriegsabschluß durch eine Verstän­digung der Völker die Bahn ebnen zu helfen.

War es ihnen auch verwehrt, von der Parlamentstribüne herab die Not der Völker hinauszuschreien in die Welt und zu fordern, daß dem Wüten der Kriegsfurie Einhalt geboten werde, so haben sie doch alle sonstigen Mittel genutzt, um nach Maßgabe ihrer Kräfte im Sinne der sozialistischen überzeugung für das genannte Ziel zu wirken. Wo immer es möglich war, haben sie der über­zeugung Ausdruck gegeben, daß der Krieg kein geeignetes Mittel sei, die großen Streitfragen der Nationen zu lösen, daß aber un= wiederbringlich verloren ist, was er vernichtet an fostbaren Men­schenleben und mit diesen an kulturschaffender Arbeitskraft, an hoher Intelligenz und großer, edler Gesinnung; daß er eine Fülle fittlicher und geistiger Kulturerrungenschaften gerstampft, Jdeen­gemeinschaften der Völker zerreißt und statt deffen Nationalitäten­und Rassenhaẞ üppig in die Halme schießen läßt; ganz zu schwei­gen von der unübersehbaren Vernichtung materieller Kulturgüter, durch die Europa verarmt und um Jahrzehnte in der Kulturent­wicklung zurüdgeworfen wird.

Nachdem das Friedensangebot der Mittelmächte und die Inter­vention Wilsons ein schwaches Flämmchen Friedenshoffnung ent­zündeten, haben unsere holländischen Genoffinnen als internatio­nale Sozialisten und getreu ihren demokratischen Grundfäßen der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Völker der kriegführenden Mächte, und unter ihnen besonders die Frauen, berufen seien, das schwache Flämmchen Friedenshoffnung zur lodernden Flamme an­zufachen.

Wir danken unseren Holländischen Genossinnen für ihre Trene und internationale Solidarität. Mögen ihre glühende Friedens­sehnsucht atmenden Worte überall in den Herzen der Genofsinnen zünden und mithelfen, in den Völkern die Erkenntnis zu erweden und zu stärken, daß es ihre geschichtliche Aufgabe ist, dem Böller­morden ein Halt zu gebieten.

Will es auch fast scheinen, daß nach der Antwort der Entente­regierungen und nach dem Echo, das diese Antwort in einem