Nr. 11

Die Gleichheit

So handeln die Verfechter der nationalsozialen Parteipolitik dort, wo sie in der Mehrheit sind, wenn auch vielleicht hier und da nicht in einer imponierend starken Mehrheit. Wo sie sich in der Minder­heit wissen, zersplittern sie die Partei, indem sie nach dem partei­zerrüttenden Vorbild von Stuttgart , Bremen , Teltow Beeskow Sondervereine gegen die Parteiorganisationen gründen, die an den Grundsägen des internationalen Sozialismus festhalten. Dhne sich um die sonst als neunmalheilig beschivorenen Sagungen des Partei­ftatuts zu kümmern und mit dem Segen des Parteivorstands, der der Hüter des Parteirechts sein soll. Mit Billigung des Partei­borstandes ist die Gründung statutenwidriger Vereine für Groß­Berlin in die Wege geleitet, in einigen Wahlkreisen schon Tatsache geworden. Das Bild des Kampfes gegen die Opposition wird ver­vollständigt durch die kaum verhüllte Maßregelung von Redakteuren. Genosse Hente muß aus seinem langjährigen und erfolgreichen Wirkungskreis an der Bremer Bürgerzeitung" scheiden, angeblich wegen heftiger Auseinandersegung mit der Geschäftsleitung. An der Elberfelder Freien Presse" wird an die Stelle des Genossen Niebuhr, eines Dogmenfanatikers", Genosse Haberland treten, dessen Grundsäße sich mit der Mehrheitspolitik vertragen. Der äußere An laß dazu: wie in Berlin beim Vorwärts" das Verbot des Blattes und die vorgebliche Rücksicht auf sein weiteres Erscheinen.

Die Opposition ihrerseits steht auf dem Plan. Es hieße auf den sozialistischen Geist der Partei verzichten, wollte sie den Stampf für ihre Überzeugung aufgeben. Auch sie fährt fort, sich zu zählen und zu sammeln. Für die sozialistischen Biele und den festeren Zu sammenschluß der Opposition im Rahmen der Partei erklärten sich ebenfalls Sonferenzen von Bezirks- und Wahlkreisvorständen, Wahl. freisversammlungen, Parteileitungen wichtiger Parteizentren, dar­unter eine Sektion der Münchner Organisation und die Generalver sammlung der Parteiorganisationen von Groß- Berlin.

Vom Geist sachlicher Entschiedenheit getragen, nahm diese einen glänzenden Verlauf und erklärte sich einstimmig für die von der oppositionellen Reichskonferenz gezogenen Richtlinien wie für die weitere Reichskonferenz, zu deren Vorbereitung der Vorstand der Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft in einem Aufruf aufgefordert hat. Wie die erste Konferenz der Opposition, so ist auch die geplante zweite Tagung ein unvermeidlicher Att der Notwehr gegen die strupellose Gewaltpraris, mittels deren die Mehrheitsführer die Opposition zu erstiden trachten. In dem Aufruf heißt es: Gegen über der planmäßigen Schaffung von Sonderorganisationen durch den Parteivorstand genügt nicht mehr ein Protest! Es müssen sich nunmehr auch die oppositionellen Genossen überall zu­sammenschließen.... Solidaritätspflicht ist es jetzt für alle grundsagtreuen Genossen, sich organisatorisch zu vereinen zu gemeinsamer Arbeit für die Gesundung der sozial­demokratischen Bewegung, für die Durchführung des sozialdemokratischen Programms sowie der Beschlüsse der Parteitage und der internationalen Sozialistenton gresse!... Jn Wahlkreisen, in denen nach der Anstachelung des Parteivorstandes die oppositionellen Parteigenossen durch Wahlkreis­beschluß ihrer Parteirechte beraubt werden, erwarten wir, daß sie sofort eine eigene Organisation gründen...." Bis Mitte März sollen die organisatorischen Vorbereitungen für die Konferenz beendet sein, die die erforderlichen Maßnahmen zum Zusammen­schluß der Opposition" beschließen wird. Die unsozialistische Kriegs­politi! der Mehrheitsfraktion zeitigt ihre unvermeidlichen Folgen.

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Notizenteil.

Aus dem öffentlichen Leben.

Zwei weitere Verurteilungen wegen des Flugblatts: Zwei­einhalb Jahre Zuchthaus . In Nr. 9 haben wir berichtet, daß bas Reichsgericht Genossen Schwab, Stuttgart , au 2 Jahren Buchthaus und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte für 5 Jahre verurteilte. Nach der Auffassung der Richter sollte er sich des in direkten Landesverrats durch die Verbreitung des obengenannten Flugblatts schuldig gemacht haben, das gegen Genossen Liebknechts Verurteilung zu einem Proteststreit aufforderte.

Wie die Leipziger Voltszeitung" in der Nr. 20 vom 25. Januar meldet, stand Genosse Richard Schröder, Lößnig , Metallarbeiter, wegen der nämlichen Handlung vor dem Schöffengericht. Das Urteil lautete nach der angegebenen Duelle wegen begangener Fahr­lässigkeit auf zwei Wochen Haft. Da Genosse Schröder fünf Monate in Untersuchungshaft gesessen hat, wurde die Strafe als verbüßt erklärt. Die Verurteilung erfolgte, weil das Flugblatt einen

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erdichteten Druder und Verleger angegeben hatte. Durch die Ver­treibung habe Schröder gegen eine Verfügung des Generalfom­mandos verstoßen, die auf dem Belagerungsgesetz beruhe und zu Recht bestehe. Der Angeklagte habe zugegeben, es sei ihm bekannt gewesen, daß man sich bei der Verbreitung von Flugblättern vor. zusehen habe. Er hätte sich deshalb um die geseglichen Vorschriften fümmern müssen. Das habe er jedoch nicht getan, und sei mithin wegen Fahrlässigkeit zu verurteilen.

über den zweiten Fall berichtet das Berliner Tageblatt" in Nr. 70 vom 8. Februar unter der Stichmarke: Ein Nachspiel zum Liebknechtprozeß: Wegen Versendung und Verbreitung eines verbotenen Flugblattes hatte gestern der Buchdrucker Folge vor der ersten Strafkammer des Landgerichts I zu erscheinen, vor der er wegen Vergebens gegen das Belagerungsgesez angeklagt war. Folge hatte seiner Zeit an einen im Felde stehenden Ober­gefreiten zwei Berliner Tageszeitungen geschickt, zwischen deren Blättern sich jenes Flugblatt befand, das nach der Verurteilung des Rechtsanwalts Dr. Liebknecht erschienen war. Unter Anklage ge­stellt, behauptete er, das Flugblatt nicht abfichtlich in die Zeitungen hineingelegt, mithin leine Verbreitung oder Versendung beabsichtigt zu haben. Das Blatt sei lediglich durch ein Versehen in die Bei­tungen hineingekommen. Das Schöffengericht Berlin- Mitte jah aber als erwiesen an, daß der Angeklagte, der in Schutzhaft genommen worden war, und darin über 90 Tage zubringen mußte, das Flugblatt habe anderen zur Kenntnis bringen wollen. Es ver­urteilte ihn mit Rücksicht auf die Sachlage zu drei Monaten Ge­fängnis. Hiergegen hatten dann sowohl der Staatsanwalt wie der Angeklagte Berufung eingelegt. Das Landgericht kam aber zu dem gleichen Ergebnis wie der Vorderrichter. Es sab gleichfalls tein Versehen, sondern eine beabsichtigte Berbreitung als vorliegend an und hielt auch das hohe Strafmaß in anbetracht, daß der Inhalt des Flugblatts wegen seiner aufreizenden Tendenz und seiner Ver­breitung eine große Gefahr in sich schlöße, vollkommen für gerecht­fertigt. Demgemäß wurden beide Berufungen verworfen."

Für den Frieden.

Die Friedenssehnsucht französischer Frauen hat fürzlich in zwei Schriftstücken beredten Ausdruck gefunden. Die Französische Sektion der Internationalen Frauenliga für einen dauernden Frieden hat sich an Wilson mit der Bitte gewendet, seine Bemühungen zugunsten eines baldigen Friedens fortzusetzen. In dem Schreiben des Pariser Komitees heißt es:" Seit dem Tage, an dem Ihre Stimme sich für den Frieden erhob, ist die Hoffnung in alle Heime eingezogen; die Hoffnung auf den Frieden macht alle Herzen erbeben. Unsere gesamte Presse verschweigt, welche Hoff­nungen Sie in der Seele Frankreichs wachgerufen haben, wir aber wollen Ihnen das nicht verschweigen. Die große Masse derjenigen, die stumm leiden, haben von nun an nur einen Wunsch: Sie möchten energisch und ausdauernd auf beide kämpfenden Mächtegruppen ein­wirken, bis der Friede in Europa wiederhergestellt sein wird. Alle wissen, daß Sie von mun an die Macht haben, allmählich die Re­gierungen aller Länder, von denen der Tod und das Märtyrertum der Soldaten abhängt, zur offenen Aussprache über ihre Kriegsziele und zur Mäßigung zu bewegen. Von Zutrauen und Anerkennung für die von Ihnen unternommenen Schritte erfüllt, danken wir Ihnen im Namen aller derer, die Ihrem Vorgehen vertrauen und flehen Sie an, mit Ihren Bemühungen fortzufahren, bis Ihr Ziel verwirklicht ist."

Das Schreiben ist von sechs Mitgliedern des Pariser Komitees namentlich unterzeichnet und dient als Begleitschreiben einer Bu schrift, die schon im Dezember an Wilson gerichtet wurde, ihn aber damals nicht erreichen konnte. Diese Zuschrift besagt unter anderem: Die Mitglieder des Komitees erkennen die Schwierigkeiten, mit denen Präsident Wilson zu rechnen hat. Alle Kriegsführenden sind in der Stellungnahme zu Friedensvorschlägen unaufrichtig. Sie be haupten insgesamt, daß sie gut bewaffnet seien", entschlossen zu fämpfen bis zum endgültigen, den Feind vollständig vernichtenden Sieg". Solche Behauptungen und jeder leidenschaftliche Protest gegen Friedensgedanken erweden den Anschein, als ob es darauf abgesehen sei, von vornherein jede Vermittlungsmöglichkeit zurückzuweisen. Das alles würde zu einem unüberwindlichen übel werden, wenn man nicht all das hätte voraussehen können. Sicher aber ist eins: die Soldaten und die Bevölkerung sind in ganz anderer Gemütsver fassung, als wie sie aus den angedeuteten Reden spricht. In den ver flossenen 29 Monaten haben in allen friegführenden Ländern Männer, Frauen, Greise und Kinder bewiesen, daß sie weder am Ende ihrer Straft, noch ihres Mutes sind, und daß sie genug ertragen haben,