Nr. 14

Die Gleichheit

Deutschland feine Geschäfte machen, dann legt er seine Gelder in ausländischen Papieren an, wenn er nicht vorzieht, ganz auszu­wandern. Einzig und allein der Arbeiter, der Lette", hat keine Möglichkeit sich den Folgen zu entziehen; denn das Auswandern ohne sicheren, goldenen Grund war schon vor dem Kriege ein dor­nenvoller Leidensweg. Ich gebe noch zu bedenken, daß Partei und Gewerkschaften, unser Stolz und Rückhalt, in dem jetzigen Um­fange nur möglich sind in einem unabhängigen, vollbeschäftigten Deutschland . Und deshalb, verehrte Genossin frage ich Sie: Wie fönnen Sozialdemokraten es ablehnen, die Arbeiter vor den un­absehbaren Folgen einer Niederlage zu schüßen?

Josephine Siloff( Kiel ). Genossin Siloff vertritt die wundersame Auffassung: weil der Krieg nun einmal Tatsache ist, haben die Sozialisten sich mit ihm grundsätzlich abzufinden und sich zur kreditbewilligungsbegeisterten nationalistischen Durchhaltepolitik zu bekennen. Es ist dies das verstaubte reaktionäre Dogma: was ist, ist durch seine bloße Eri stenz gerechtfertigt, ist heilig, unverletzlich, heischt Anerkennung und Unterwerfung. Also, geehrte Genoffin Siloff, um in Ihrem Stil und Geist zu sprechen: weil der Kapitalismus ist, muß er uns ehr­würdig und unverleßlich sein, dürfen wir ihn nicht fritifieren und bekämpfen. Weil das preußische Dreiklassenwahlrecht ist, trägt es seine Existenzberechtigung in sich, danken wir vor ihm ab. Und so fort mit Grazie. Eine bequeme Logit das für die Verteidigung des Ewig- Heutigen, aber eine geistige und politische Bankrott­erklärung für die Bahnbrecher des Morgigen, die die geschichtlichen Ereignisse kritisch zu erfassen und zu durchdringen suchen und sie nicht mit beschränktem Untertanenverstand anstaunen und hin­nehmen. Dann der hinkende, vulgär- bürgerliche Vergleich des rasenden imperialistischen Weltkriegs mit der individuellen Not­wehr, ein Vergleich, dessen Nichtigkeit die Tatsachen für jeden er­weisen, der nicht freiwillig blind sein will. Keine Spur von Ver­ständnis für das Wesen des Weltkriegs und die ihn treibenden Kräfte; ausgelöscht das klare Bewußtsein von den Klassengegen sägen innerhalb jeder Nation und der internationalen Solidarität der Arbeiter aller Länder. Genoffin Siloffs Ausführungen sind charakteristisch für die Kluft, die sich in der Auffassung und Be­wertung des gegenwärtigen Krieges und innerhalb der Arbeiter­bewegung aufgetan hat, damit aber auch in der Auffassung von sozialistischer Pflicht. Wir glauben darauf verzichten zu können, uns ernsthaft mit den unsozialistischen Gedankengängen der Ein­fenderin auseinanderzusehen. Unsere Leserinnen werden sich einen Vers zu ihrer Melodie machen.

Die Kreisgeneralversammlung des Wahlkreises Hanan­Bockenheim Gelnhausen- Orb für die Opposition und die grund­sätzliche Haltung der ,, Gleichheit". Am 11. März tagte in Hanan eine außerordentliche Kreisgeneralversammlung des Wahlkreises Hanau- Bockenheim- Gelnhausen- Drb. Sie stimmte folgender Reso­Intion des Kreisvorstandes zu:

Der Wahlkreis Hanau steht in entschiedenster Opposition gegen die Politik der Mehrheit der Fraktion, des Parteivorstandes und des Parteiausschusses. Er hält diese Politik für unvereinbar mit den Grundsätzen und dem Geiste des Sozialismus und der Demo­fratie. Sie widerspricht den Beschlüssen der Parteitage, der inter nationalen Sozialistentongresse, der ganzen geschichtlichen Vergangen heit und der überlieferung der Sozialdemokratie sowie der Haltung der Partei bis zum 4. August 1914 gegen den Staat, die Regierung, die bürgerliche Gesellschaft und den Kapitalismus . Sie liefert in ihren Folgen die sozialdemokratische Partei und die Arbeiterbewegung den Todfeinden der Arbeiterklasse, dem Kapitalismus und Imperia­lismus aus. Der Parteivorstand, in Übereinstimmung mit der Fraktionsmehrheit, ist es, der die Partei spalten will, um in dem ihm anhängenden Teil der Partei, den er durch Zuzug aus bürger­lichen Streifen zu verstärken gedenkt, die Politit des 4. August zur herrschenden zu machen. Zu diesem Zweck bedient er sich des Partei­ausschusses, um die Opposition, entgegen den klaren Bestimmungen des Organisationsstatuts, als außerhalb der Partei stehend zu er flären. Parteivorstand und Partetausschuß brechen somit bewußt die klaren Bestimmungen des Statuts der Partei. Mit der Haltung des Abgeordneten Hoch im Reichstag sind die Delegierten nicht einverstanden und sprechen ihre schärfste Mißbilligung aus. Die Wahlkreiskonferenz bekundet ihr volles Einverständnis mit der po­litischen Haltung der, Gleichheit und verurteilt die gegen die Genossin Zettin eingeleitete Hege, um dieselbe von der Redaktion der, Gleichheit zu entfernen. Genojjin Zettin fordern wir auf, un­beirrt, getreu dem internationalen Sozialismus, wie seither die , Gleichheit zu redigieren."

Gegen die Maßregelung der Genoffin Zieh haben sich die Genossen und Genossinnen von Harzburg , Bündheim und Schle

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weke in entschiedener Weise ausgesprochen. Sie nahmen eine Reso= lution an, in der sie erklären, daß sie auf das schärfste die Politik der Fraktion und die Gewaltmaßregeln des Parteivorstandes ver­urteilen; sie stehen fest auf dem Boden der Opposition und ver­sprechen, ihren Gesinnungsgenossen die Solidarität zu bewahren. Die Genossen verurteilen auf das nachdrücklichste den Gewaltstreich der Vorstandsmehrheit gegen den Genossen Wengels und die Ge­nossin Ziez, deren Hinauswurf aus dem Vorstand wider alles Parteirecht erfolgte. Nicht die Vorstandsmehrheit, sondern nur der Parteitag hat ein Recht, über die Mandate der Genossen zu ent­scheiden."

Sympathiekundgebung des österreichischen Frauenreichs: komitees für Genoffin Zieh. Wie die ausländischen Genossinnen über die Maßregelung der Genossin Ziez denken, das erhellt aus dem nachstehenden Schreiben: Wien , 21. März 1917. Werte Genossin Zieg! In der letzten Sigung des Frauenreichskomitees machte Ge­noffin Popp uns Mitteilung von dem Inhalt Ihres letzten Briefes, und so erfuhren wir nun auch durch Sie selbst die Bestätigung dessen, was wir leider schon früher durch die Zeitung erfahren mußten.

Die Genossinnen erwidern herzlichst Ihre Grüße und nehmen zu­gleich Anlaß, Ihnen, liebe Genossin, die aufrichtigsten Sympathien auszusprechen in einem Augenblick, wo Sie, durch die Verfügung des Parteivorstandes aus Ihrer jahrelangen, für die proletarische Frauenbewegung Deutschlands so erfolgreichen Tätigkeit gerissen, nun tief getränkt und verbittert sein müssen. Nehmen Sie, liebe Ge­nossin, auch die Versicherung entgegen, daß die österreichischen Ge­nofsinnen Sie, was immer auch die Zukunft bringen mag, als eine der verdienstvollsten Führerinnen der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands schäßen und lieben werden.

Mit großem Bedauern haben wir erfahren, daß zugleich mit Ihrer Entfernung aus dem Amte das Frauenbureau überhaupt aufgelöst wurde. Wir können es faum glauben, daß in einer Zeit, besonders wie es die jetzige ist, bei der so notwendigen Aufklärungs- und Organisationsarbeit unter den Frauen und Mädchen der Arbeiter­Klasse Deutschlands , die Zentralstelle für das große Reich für ent­behrlich gehalten werden konnte. Wir bedauern dies um so mehr, weil damit auch jene Stelle verschwunden ist, wo sich die österreichi­schen Genossinnen so oft guten Rat und nüßliche Anregungen ge= holt haben, um sie zu Hause mit Erfolg verwenden zu können. Ge­nossin Popp, als die internationale Korrespondentin Österreichs , wurde in derselben Sizung ersucht, beim Parteivorstand in Berlin anzu­fragen, mit wem wir fünftighin an Stelle des aufgelösten Frauen­bureaus weiter in Verbindung treten können.

Sie herzlich grüßend im Auftrag des Sozialdemokratischen Frauen­reichskomitees, Wien V/ 1, Rechte Wienzeile 97

Gabriele Proft , Sekretärin." Genoffin Zietz' Adresse. Trotz des Ausschlusses der Genossin Zietz aus dem Parteivorstand empfinden die Genossinnen das Be­dürfnis, um Rat und Anregung bei der verdienstvollen Führerin anzullopfen. Das befunden zahlreiche Anfragen nach ihrer Adresse. Wir teilen diese nachstehend den Genossinnen zur fleißigen Be­nügung mit, denn ungeachtet der Aufhebung des Frauenbureaus kann und muß der notwendige Zusammenhang in der proletarischen Frauenbewegung gewahrt bleiben:

Frau Luise Zieh, Berlin , Hasenheide 75.

Gewerkschaftliche Rundschau.

Nach der vorliegenden Statistit der Generalfommission für das Jahr 1915 haben in dieser Kriegszeit eine größere Anzahl Lohnbewegungen stattgefunden. Zwar hatten die Verbands­vorstände bald nach Striegsausbruch beschlossen, die aufgenommenen Streits abzubrechen und während der Dauer des Kriegs nur in den notwendigsten Fällen Arbeitseinstellungen zu unterstützen. Damit war jedoch kein Verzicht auf den Kampf zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse überhaupt ausgesprochen. Ein solcher Verzicht. würde auch ein Widerspruch gegen die Grundsätze der Gewerkschaften gewesen sein. Den Zeitumständen entsprechend waren die Lohnbewe­gungen in der Hauptsache allerdings nicht von Streits und Aus­sperrungen begleitet. Durch friedliche Verständigung und Vergleichs­verhandlungen wurden Lohnaufbesserungen erwirft, die zufolge der Teuerung unabweisbar waren. So war 1915 die Zahl der gewerk­schaftlichen Kämpfe sehr gering; 2221 Personen waren daran be­teiligt, darunter 681 weibliche. Es wurden 30 Angriffs und 30 Abwehrstreits geführt, außerdem fanden 6 Aussperrungen statt. 11 Verbände waren an diesen Kämpfen beteiligt. Die Arbeits­einstellungen waren meist von furzer Dauer, oft währten sie nur einige Stunden. Die 3683 2ohnbewegungen ohne Arbeits­einstellung wurden von 28 Verbänden geführt und umfaßten