Nr. 15
27. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen
Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder
Die Gleichbelt erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.
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Jabres- Abonnement 2,60 Mart.
Inhaltsverzeichnis.
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Große Ursachen, fleine Wirkungen? Die Osterkonferenz der sozial demokratischen Opposition zu Gotha . Für die Mehrheitspolitik. Von Elise Jensen. Genossin Jensen zur Antwort. Von Luise Zietz . Aus der Bewegung: Tante Baumann achtzigjährig. Stellungnahme der Königsberger Genossinnen zur Maßregelung der Genoffin Zietz und zur Haltung der Gleichheit". Protest der Parteigenossenschaft Wolfenbüttel gegen die Maßregelung der Genoffin Zieg. Gewerkschaftliche Rundschau. Genossenschaft liche Rundschau. Von H. F. Notizenteil: Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.- Arbeits. losigkeit der weiblichen Erwerbstätigen.
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Große Ursachen, kleine Wirkungen?
Der Weltkrieg und das bedeutsamste geschichtliche Ereignis dieser Jahre: die Revolution in Rußland sind nicht ohne Rüc wirkung auf die pielberufene sogenannte„ Neuorientierung" des politischen Lebens im Deutschen Reiche geblieben. Das recht bescheiderte Maß dieser Rückwirkung ist fennzeichnend dafür, wie rückständig und schwächlich, um nicht zu sagen fränklich die Entwicklung zur politischen Demokratie bei uns ist. Des Reichskanzlers ebenso unverbindliches als verschwommenes Andeuten und Verheißen eines fünftigen größeren Mitbestimmungsrechts des Volkes über seine eigenen Geschicke, das widerspruchsvolle Geraune, Gerede und Ratespiel führender Politiker und Journalisten, ihre tiefsinnigen Weissagungen aus dem Kaffeesatz der höchsten eingeweihten Kreise und einflußreichsten Persönlichkeiten", kurz, all der Nebeldunst einer politisch stagnierenden Atmosphäre hat sich endlich zu fester Wolkengestalt verdichtet. Ein Erlaß des Kaisers an Herrn v. Bethmann Hollweg als Reichskanzler und Präsidenten des preußischen Staatsministeriums hat für Preußen nach dem Ende des Kriegs eine Reform des Wahlrechts und des Herrenhauses feierlich angekündigt.
Es heißt darin, daß die Aufgabe der Regierung sei, den Erfordernissen dieser Zeit mit den rechten Mitteln und zur rechten Stunde zur Erfüllung zu verhelfen.... Noch stehen Millionen Volksgenossen im Felde, noch muß der Austrag des Meinungsstreites hinter der Front, der bei einer ein greifenden Verfassungsänderung unvermeidlich ist, im höchsten vaterländischen Interesse verschoben werden, bis die Zeit der Heimkehr unserer Krieger gekommen ist, und sie selbst am Fortschritt der neuen Zeit mitraten und taten fönnen." Wilhelm II. hofft zuversichtlich", daß das glückliche Ende des Kriegs nicht mehr fern ist", und er wünscht, daß die , Vorbereitungen zur Verfassungsänderung unverweilt abgefchloffen werden", weil ihm die Umbildung des Preußischen Landtags und die Befreiung unseres gesamten innerpolitischen Lebens von dieser Frage" besonders am Herzen liegen.
Der Kaiser verweist auf die Vorarbeiten zur Anderung des Wahlrechts zum Preußischen Abgeordnetenhaus , die schon bei Kriegsbeginn gemacht worden sind. Er fordert mm„ bestimmte Vorschläge des Staatsministeriums, damit bei der Rückkehr unserer Krieger diese für die innere Gestaltung Preußens grundlegende Arbeit schnell im Wege der Gesetzgebung durch
Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin ( 3undel), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.
geführt werde". Seiner Überzeugung nach ist nach den ge. waltigen Leistungen des ganzen Volfes in diesem furchtbaren Kriege für das Klassenwahlrecht in Preußen fein Raum mehr. Der Gefeßentwurf wird ferner unmittelbare und geheime Wahl der Abgeordneten vorzusehen haben. Die Verdienste des Herrenhauses und seine bleibende Bedeutung für den Staat wird fein König von Preußen verkennen. Das Herrenhaus wird aber den gewaltigen Anforderungen der kommenden Zeit besser gerecht werden können, wenn es in weiterem und gleichmäßigerem Umfang als bisher aus den verschiedenen Kreisen und Berufen des Volkes führende, durch die Achtung ihrer Mitbürger ausgezeichnete Männer in seiner Mitte vereinigt."
Es ist nicht unser Amt, an Fürstenworten zu drehen und zu deuteln. Es ist das je nachdem eine Luft oder eine Bein, die wir Traumfündern, Geschichtsklitterern und Lakaienseelen überlassen. Wir nehmen daher auch die kaiserlichen Worte, wie sie gesagt und unseres Dafürhaltens als Ausdruck einer bestimmten starten Stimmung in bestimmter geschichtlicher Stunde ehrlich gemeint find. Wir unterschätzen also keineswegs die Verheißungen des Erlasses. Es hat seine Bedeutung als Refler umwälzenden weltgeschichtlichen Geschehens, daß Wilhelm II. nach rund zehn Jahren das Versprechen einer früheren Thronrede erneuert und eine Reform des Preußischen Landtags in Aussicht stellt. Es hat seinen Wert als Zeichen der Zeit, daß der Kaiser. nach fast drei Jahren unerhörter Volksopfer in dem gegebenen historischen Augenblick erklärt, es sei kein Raum mehr für das Klassenwahlrecht in Preußen. Von sich unendlich dehnenden Schlachtfeldern dröhnt Geschützdonner, und über dem Winterpalais in Petersburg , der ehemaligen Zarenresidenz, flattert teck die rote Fahne. Niemand kann sich mit dem Kaiser des Eindrucks erwehren, daß unsere Erlebnisse der lezten Jahre mit erhabenem Ernst eine neue Zeit einleiten".
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Aber gerade angesichts des erhabenen Ernstes" der Ereignisse, der Geschichte sind wir außerstande, die Bedeutung der kaiserlichen Ankündigung unrichtig einzuschätzen. Wir können nicht an die Seite des Vorwärts" treten, des Zentralorgans der sozialdemokratischen Mehrheitspolitiker, der als Gretchen schämig entzückt" Maßliebchenblätter nach der Antwort auf die Schicksalsfrage abzupft:„ Der Auferstehungstag des dritten Kriegsjahrs 1917- wird er dereinst in der Geschichte als der Auferstehungstag des alten Preußens zu neuer Entwicklung dastehen?" Nicht etwa, weil gegebene und nicht gehaltene Fürstenworte in der Geschichte Preußens und namentlich in der Geschichte seiner Verfassungskämpfe seit Beginn des neunzehnten Jahrhundertsuns mit Argwohn gegen das persönliche aufrichtige Wünschen und Wollen erfüllen, das hinter ihnen steht. Wohl aber, weil diese Geschichte auf die gegensäglichen gesellschaftlichen Mächte hindeutet, die sich in den Verfassungskämpfen auswirken und messen, und die dem persönlichen Wünschen und Wollen auch der Kronenträger Ziele weisen und Schranken sezen. In unserer Zeit tritt es flarer als je zutage, daß über die sozialen und politischen Dinge Massenvorgänge und Massenerscheinungen entscheiden und nicht einzelne führende Persönlichkeiten. Wer vermöchte da die für alle geltende alte Weisheit des Goethe