Nr. 15

Die Gleichheit

Ich glaube dagegen, daß die Ernährungsverhältnisse nicht wenig bazu beigetragen haben, den Frauen die Augen zu öffnen, sie zum Nachdenken zu bringen und ihnen die Erkenntnis zu erleichtern, daß die Opposition recht hat. Mit dem Beibringen einer anderen Überzeugung muß es bei den Anhängern der Opposition doch nicht gar so leicht sein. Ein Arbeitersekretär in einem Orte, der auch der Genossin Jensen nicht ganz unbekannt ist, hatte die löbliche Absicht, die Hausangestellten zu organisieren. Jedoch war ihm deren Zusammenschluß nicht Selbstawed, sondern er sollte ihm als Mittel dienen, die oppositionell gesinnten Genossinnen, die ihnen am Ort das Leben sauer machten", durch positive" Arbeit von der Beschäftigung mit der Politik abzulenken. Vorsichtigerweise erkundigte sich der Arbeitersekretär aber zuvor in Berlin  , ob die Vorsitzende des Hausangestelltenverbandes nicht etwa gar zur Minderheit gehöre. Nach Genossin Jensens Ansicht hätte der gute Mann seinen Zweck doch eigentlich leichter erreichen können durch die Macht der überredung, aber er traute der Kraft seiner Argu­mente anscheinend nicht. Buise Biez.

Aus der Bewegung.

Tante Baumann achtzigjährig! Genossin Chr. Baumann, von den Hamburger und Altonaer   Genossinnen fosend" Tante Bau­mann" genannt, hat am 12. April ihren achtzigsten Geburtstag gefeiert.

Das alltägliche Proletarierlos wurde auch ihr beschieden: viel Arbeit und Mühe, viel Leid und schwere Kämpfe um des Lebens Notdurft. Aber was Tante Baumann weit über die große Masse der apathisch dahinlebenden Arbeiterinnen erhob, ist ihr flares, selbständiges Urteil über die Dinge des Lebens, ihre gefestigte so zialistische Weltanschauung, zu der sie sich tapfer durchgerungen hat, und bei aller persönlichen Bescheidenheit ihr starkes Selbst­bewußtsein, das ihrem äußern und ihrem ganzen Wesen den Stempel aufdrückt. Dabei ist Tante Baumann eine grundgütige Natur, die sich auch menschlichen Schwächen gegenüber nicht zum Splitterrichter aufwirft, sondern verstehend und verzeihend zu hel fen bemüht ist. Deshalb genießt unsere Jubilarin ein wohlber dientes Ansehen in der Hamburger Arbeiterschaft. Die Einfachen haben die richtige Empfindung für wahren Wert, sie lassen sich nicht dadurch beirren, daß manche Leute, die einige Sprossen auf der sozialen Stufenleiter emporgeflimmt sind, vergessen zu haben scheinen, daß vor Jahren Tante Baumann ihnen nicht nur mit Rat, sondern auch recht kräftig mit der Tat beigestanden hat.

Als junge Frau hat Genossin Baumann die Widerwärtigkeiten zu kosten bekommen, die dem kleinen sächsischen Bahnbeamten das Leben sauer machen. Als ihr Gatte, um diesen zu entrinnen, in Prag   ein fleines Geschäft übernahm, kam das Paar allerdings vom Regen in die Traufe. Nicht allein, daß Baumanns einem Betrug zum Opfer gefallen waren, das Geschäft trug nämlich bitterwenig ein, als Deutsche   und als Protestanten hatten sie schwer unter natio­naler und religiöser Unduldsamkeit zu leiben. Zudem war Ge­noffin Baumann auf der Reise nach Prag   das Kind im Arme ge­storben, und beinahe hätte die fanatisierte Bevölkerung es trug fich vor reichlich fünfzig Jahren aufie des Kindsmordes be schuldigt und verfolgt. Ein menschenfreundlicher Stationsvorsteher nahm sich der ärmsten an und wurde damit ihr Retter. Ihrer fauer verdienten Spargroschen ledig, kehrte die Familie bald nach Deutschland   zurück, und Altona   wurde ihr eine zweite Heimat. Durch Nähen und Bukmachen trug hier Genoffin Baumann er­heblich zum Lebensunterhalt bei.

Inzwischen war die geistig regsame Proletarierin durch das fleißige Studium fozialistischer Propagandaschriften und den Ver­fehr mit Anhängern des Sozialismus felbst zur Sozialistin ge worden. Und seitdem hat sie nie zu denen gehört, die ihre Gefin­mung fest im Busen verschließen". Sie hat mit ihrem Pfund wader gewuchert und durch ihre stille eifrige Tätigkeit ungezählte Anhänger für unsere Sache geworben. Vor und unter dem So­sialistengesek war fie treue Anhängerin der sozialistischen   Ideale; fie war eifriges Mitglieb eines Frauenvereins, dessen Veranstal tungen oftmals als Dedmantel für die verfemte Partei dienen mußten. Da unter dem rückständigen Vereinsgesetz in Preußen, also auch in Altona  , Frauen keinem politischen Verein beitreten durften, war Genoffin Baumann im zweiten Hamburger   Wahl­freis Mitglied der Partei geworden. Als schließlich das Reichs­bereinsgesetz den Frauen das politische Vereinsrecht brachte, war sie eine der ersten, die in Altona   der Partei beitraten, nachdem sie bereits vorher, in den Wahlzeiten zum Preußischen Landtag, dem Frauenwahlverein angehört hatte, der ja immer nur ein kurzes

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Leben haben durfte. Viele Jahre war Genoffin Baumann Kol­porteurin des Hamburger Parteiblatts und hat bei dieser Tätig­feit stets eine emsige Propaganda für die Partei entfaltet. Als Stolporteurin wurde sie Mitglied des Transportarbeiterverbandes, für dessen Ausbreitung fie gleichfalls wirkte.

Dem Genossen Ernst Baumann, ihrem Neffen, und seiner Frau, unserem Rinchen Baumann, ist sie zweite Mutter geworden, nach­dem sie ihren Mann verloren hatte. Und recht vieles hat ihr sicher unsere liebe Mitkämpferin und Freundin zu verdanken, die in der Klarheit ihres Erkennens und der Sicherheit und Bestimmtheit ihres Urteils Tante Baumann gleicht. Viele Jahre haben die bei­den gemeinsam für die Frauen- und die Gesamtbewegung ge­arbeitet. Sie waren zur Stelle, wenn es Hausagitation für die Organisation und die Presse zu treiben galt, wenn Propaganda für eine Versammlung zu entfalten war, oder wenn die Frauen dazu erzogen werden mußten, von ihrem Wahlrecht zum Partei­tag oder einer Frauenkonferenz Gebrauch zu machen. Selbstlos standen sie stets beiseite, um für andere zu wirken. Wie oft war cs ihrem Gintreten zu verdanken, daß zu dem Parteitag von Wandsbek- Altona auch eine Genossin gesendet wurde, in den neun­ziger Jahren die Genossin Kähler. Auch meine erste Delegation zum Parteitag in Hamburg   berbanke ich den beiden. Bu jener Zeit mußte aus vereinsgefeßlichen Gründen in öffentlicher Versamm­lung die Delegiertenwahl vorgenommen werden. In der betref­fenden Wahlversammlung des ersten Kreises erschien Linchen Bau­mann und empfahl, man möge unter den drei zu wählenden De­legierten doch eine Genossin mitentsenden, damit die Genossinnen nicht genötigt seien, von ihrem Rechte Gebrauch zu machen, in be­sonderen Frauenversammlungen zu delegieren. Und siehe da, ihr Appell hatte zur Folge, daß ich mit der zweitgrößten Stimmen­zahl ein Mandat zuerkannt erhielt. Tante Baumann hielt unter­dessen treue Wacht bei Linchens Buben, den sie im Kinderwagen aus Altona   mitgebracht hatten. Eine Kleine Episode, die hell Tante Baumanns Selbstlosigkeit und ihr Interesse für die Frauenbewe gung beleuchtet. Und dies Interesse, insbesondere für die Altonaer  Bewegung, der sie ihre beste Kraft gewidmet hat, ist heute noch so rege wie vor Jahren. Lange nachdem sie gemeinsam mit der Fa milie ihres Neffen nach Hamburg   übergesiedelt war, besuchte sie regelmäßig die wichtigen Parteiveranstaltungen in Altona  , ohne deshalb den Hamburger   Versammlungen fernzubleiben.

Unter den Möten des Krieges hat auch Tante Baumann schwer zu leiden. Die Ernährungsverhältnisse sind in Hamburg   nicht besser als an anderen Orten, und ältere Personen empfinden die Entbehrungen doppelt hart. Der älteste Sohn ihres Neffen, ihr Biebling, steht im Felde, und die Sorge um ihn läßt sie nicht los, abgesehen von dem Schmerz um die allgemeinen Verwüstungen des Krieges. Und dazu kommt die Trauer und das Leid um die Bersplitterung der Partei, an deren Aufbau Tante Baumann mit unermüdlichem Fleiße gearbeitet hat. So wird denn ihr achtzigster Geburtstag fein besonderer Freudentag für sie sein, trotzdem sie ihn in geistiger Frische und verhältnismäßiger förperlicher Rüstig­feit begeht. Um so mehr wünschen wir unserer lieben Genossin und treuen Freundin das Beste zu ihrem Geburtstag. Vor allen Dingen Gesundheit und die Erhaltung der heiteren Gemütsstim­mung, die ein Grundzug ihres Wesens ist. Möge es ihr vergönnt sein, recht bald den Frieden zu schauen und ein rüstiges Vorwärts­schreiten der alten, grundsastreuen Sozialdemokratie. Luise Biez. Stellungnahme der Königsberger   Genoffinnen zur Mak regelung ber Genoffin Zieh und zur Haltung der ,, Gleichheit". Die Genosfinnen Königsbergs haben ihrer grundsätzlichen Über­zeugung und ihrer Auffassung der bekannten Vorgänge in der sozial­demokratischen Bartei in dieser Resolution Ausdrud gegeben: Die Königsberger   Parteigenoffinnen sagen der Genoffin Bieg Dank für ihre charaktervolle Haltung gegenüber dem Parteivorstand. Sie würden es als Schmach empfunden haben, wenn die einzige Vertreterin der Frauen im Parteivorstand sich zur Mitschuldigen seiner berüchtigten Maßnahmen gemacht hätte und in der schwersten aller Zeiten nicht unbeirrt im Sinne des internationalen Sozialismus weiterwirten würde. Sie erklären ferner zu dem gehässigen Kampf gegen die Gleichheit, der die Genoffin Bettin treffen soll, daß sie mit der politischen Haltung der, Gleichheit einverstanden sind, und befunden der Genoffin Bettin ihre freudige Anerkennung für die grundsatz­treue Führung und Förderung, die sie durch die, Gleichheit ge= funden haben." In dem Begleitbrief zu der Resolution, der den Genossinnen Ziez und Betfin zuging, heißt es noch: Das stolze Ban­ner des internationalen Sozialismus nicht in die feldgraue Schmutz farbe gesenkt, sondern es leuchtend und unbeirrt uns vorangetragen zu haben, das danken wir unsern Führerinnen, Ihnen, Genossin Zieß und Genossin Zetkin  .