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Äie Gleichheit
Nr. 16
Zeit vorbehalten, in der größere Bewegungsfreiheit vorhanden sein wird; jetzt wäre der entsprechende Beschluß praktisch doch undurchführbar. Eine andere, insbesondere für die Genossinnen wichtige Neuerung innerhalb de» OrganisationskorPerS ist der„Frauen- reichsauSschnß", gebildet von den weiblichen Mitgliedern der Bezirksleitungen. Freilich fehlte eS nicht an Stimmen, die für die alte äußerliche Gleichmacherei zwischen männlichen und weiblichen Organisierten eintraten, die Zersplitterung und anderes Unheil als Folge der erhöhten Selbständigkeit der Frauen prophezeiten. Allein die wirtschaftlichen Umwälzungen redeten eine so harte, nicht zu überhörende Sprache, daß die Konferenz mit übergroßer Mehrheit den ursprünglich vom zweiten Berliner Wahlkreis gestellten Antrag auf Schaffung eines Frauenreichsausschusses in wenig veränderter Form annahm. Der Frauenreichsausschuß wird von der Zentralleitung nach Bedarf einberufen, um Maßnahmen zur Förderung der Frauenbewegung zu beraten und anzuregen. Die Beratung muß erfolgen, wenn ein Drittel der Mitglieder sie beantragt. Die Genossinnen im ganzen Lande werden hocherfreut sein, nun einen größeren Spielraum für ihre Betätigung zu haben. Gilt es doch jetzt, nicht bloß größere, sondern auch ganz neue Schichten der weiblichen Bevölkerung aufzuklären, die erst der Krieg aus ihrer bisherigen sozialen Lage in die Lohnarbeit gerissen hat, und die nun die Zahl des besitzlosen Proletariats vermehren. Einen zweiten„Sieg" konnten die Genossinnen auf der Gothaer Tagung buchen: den Beschluß, in der Zeit von, 5. bis 12. Mai den Frauentag für Deutschland abzuhalten, der der Propaganda für das Staatsbürgerrecht der Frau und für den Arbeitermnenschutz dienen soll. Der Vorstand der alten Partei hat seit Kriegsausbruch die Veranstaltung eines Frauentags abgelehnt. Gegenüber dieser Stellungnahme bedeutet die Gothaer Entscheidung eine ausdrückliche Anerkennung des Beschlusses der internationalen Frauenkonferenz von Kopenhagen und damit die Bejahung der Zugehörigkeit zur Internationale. Die bevorstehenden Frauenversammlungen müssen zu wirkungsvollen Kundgebungen werden für die volle wirtschaftliche und politische Gleichberechtigung der Frau. Was die Konferenz ihrerseits zu dem Erfolg beitragen konnte, ist geschehen. Betrachtet man das neue Organisattonsstatut als Ganzes, so scheint sein Rahmen weit genug gespannt, allen Mitgliedern grüßte Betätigungsmöglichkett zu geben. Die einzelnen Wahlkreise, Bezirke und Orte können nunmehr selbständig und unabhängig handeln, allerdings stets nur gemeinsam und in Übereinstimmung mit der zuständigen Organisation. Mag jede Richtung der Sozialdemokratie in ihrem engeren Kreise versuchen, die Mehrheit für sich zu gewinnen. Der Wetteifer, dieses Ziel zu erreichen, kann auf das geistige Leben der Partei nur befruchtend wirken. Reibungen und Zusammenstöße zwischen den verschiedenen Richtungen werden gewiß nicht ausbleiben. Das als richtig Erkannte gibt niemand weder leicht noch gern auf. Je mehr aber die Gruppe Internationale innerhalb der Organisation mitarbeiten wird, desto eher wird sie für manche durch die Zeit gebotenen Notwendigkeiten Verständnis zeigen. Umgekehrt wird der jugendfrische, durch keine Mißerfolge zu trübende Glaube der„Internationalen", man brauche nur ernstlich Aktionen zu wollen, um sie durchzuführen, auf den manchmal etwas schwerfälligen Verwaltungskörper anfeuernd und belebend wirken und das Selbstvertrauen der Mitgliedermassen stärken! auch kann ihre grundsätzliche Klarheit und Schärfe etwaigen Steigungen zu Verschwommenheit und Opportunismus erfolgreich entgegentreten. Daß dies zutrifft, zeigte sich bei dem sehr lebhaften Meinungsäustausch über Landesverteidigung und Imperialismus. Der Referent der Gruppe Internationale zu diesem Punkt riß alle Zuhörer mit, durch die temperamentvolle Art seiner Darlegungen, auch diejenigen, die sachlich ihm nicht zustimmten. In diesen Fragen, wie über den Wert der Schiedsgerichte und der Abrüstung konnte es zu einer Übereinstimmung der beiden Richtungen nicht kommen. Immerhin wird
Wohl die Gruppe Internationale ebenfalls die Überzeugung gewonnen haben, daß das, worüber die Opposition untereinander nicht einig ist, weit geringer wiegt als das, was sie zusammenführte. Die Gegensätze— Überschätzung des Parlamentarismus auf der einen, Verkennung parlamentarischer Möglichkeiten und Nützlichkeiten auf der anderen Seite, allzu geringe Bewertung notwendiger Etappenstationen im Befreiungskampf der Arbeiterklasse, ein durch die großen Ereignisse in Rußland gestärkter und gestützter Glaube an Erfolg allein durch Massenaksionen, ohne dabei zu berücksichttgen, daß seit 1905 Rußland sich in? Zustand dauernder Gärung befindet— all diese Gegensätze kamen in der ausführlichen Diskussion in durchaus sachlicher Weise zum Ausdruck. Es zeigte sich dabei, wie sehr jeder der Redner aus seinen persönlichen Erfahrungen heraus Gegenwart und Zukunft subjektiv beurteilte. Sich über diese subjektive Erfahrung und Wertung zu erheben, dazu fehlte es an deni gemeinsamen theoretischen Boden, und dieser Boden mußte fehlen und wird fehlen, solange Krieg und Belagerungszustand eine offene Aussprache über die aufgerollten Lebensfragen der internationalen Sozialdemokratie unmöglich machen. Viel vermag die neue gemeinsame Organisatton zu schaffen, aber Übereinstimmung in polisischen Fragen kann nur herbeigeführt werden durch ungehemmte, öffentliche Erörterungen in Wort und Schrift. Um den alten sozialdemokratischen Geist auch nach außen zu bekunden, beschloß die Konferenz, der Organisation der nunmehr geeinigten Opposition den Namen zu geben„Unab hängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands ". Unabhängig von der Negierungspolitik, unabhängig von den regierungstreuen Mehrheitssozialisten, unabhängig von allen bürgerlichen Parteien, nur auf sich selbst und ihre alte werbende Kraft gestellt, will die neue Organisation ihre Politik treiben. So sprach es der jugendfrische siebzigjährige Wilhelm Bock in seinem Schlußwort aus, er, der vor 42 Jahren dem Gothaer Einigungskongreß präsidiert hat. Und als er der Hoffnung Ausdruck gab, daß der Kongreß von 1917 dieselbe Wirkung haben möge wie der von 1875, da hatte er dem Gedanken, der alle Anwesenden beherrschte, eine Stimme verliehen: Aus den Trümmern der einst so großen deutschen Partei, die an der Spitze der Internationale marschierte, soll wieder erstehen, erfüllt von sozialistischem Geiste, eine mächtige sozialdemokratische Partei, ein getreues Glied der völkerbefreiendcn Jntemationalel Mit einem dreifachen Hoch auf diese Internationale schloß die Gothaer Tagung, und nur in dieseni Zeichen wird die Arbeiterklasse siegen. Mathilde Wurm .
Zunahme der Industriearbeiterinnen im Ruhrkohlenbezirk. Im eigentlichen Ruhrkohlengebiet gab es früher weibliche Fabrikarbeit nur in geringem Umfang. In der Hauptsache war sie in solchen Betrieben anzutreffen, die auch in anderen Gegenden nur mit Frauen und Mädchen arbeiten. Und die Zahl dieser Betriebe war im Nuhrkohlenbezirk klein. Die Frauenarbeit fehlte vor allen Dingen ganz in der Großeisenindustrie und, im Gegensatz zu Oberschlesien , im Bergbau. Der Krieg hat diesem Stand der Dinge ein Ende gemacht. Die Großindustrie arbeitet heute mit einem Heer von Frauen und Mädchen, und im Bergbau befaßten sich Ende Oktober 1916 die Behörden mit einem Antrag der Zechenbesitzer, nunmehr auch die Frauenarbeit unter Tage zu gestatten. Gegen diesen Plan, der uns weit hinter die schlimmsten Zeiten der Jndnstrieherrschaft zurückwerfen würde, haben die Bergarbeiterverbände entschieden protestiert. Mit Erfolg, denn Frauen wurden bisher unter Tage nicht beschäftigt. DaS ist aber auch nicht nötig. Die ausgiebige Verwendung von Frauen und Mädchen über Tage hat genügend jugendliche und männliche Arbeitskräfte— Invaliden— für den unterirdischen Betrieb freigesetzt. Deshalb ist kaum anzunehmen, daß eS ini