Nr. 16
Die Gleichheit
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Nuhrkohlenbezirk noch zur Untertagsarbeit der Frauen kommen wird. Dagegen muh Wohl mit der weiteren Vermehrung der ÜbertagSarbeiterinnen gerechnet werden. Wie stark seit etwa zwei Jahren die Frauenerwerbsarbeit im Nuhrkohlengcbiet zunimmt, sei an einer Zusammenstellung über die Mitgliederbewcgung der 38 Dortmunder Krankenkassen dargetan, die sich auf die amtlichen Ziffern stützt und typisch für das ganze Revier sein dürfte. Danach ergibt sich seit dem 1. Juli 1914 bis 1. Oktober 1916 folgende Entwicklung:
Zu-(-ff) respektive Abnahme(—) seit dem 1. Juli 1S14." 8 Kassen. Bei Betrachtung dieser Tabelle muff zunächst beachtet werden. daß die Zahlen nicht die gesamten erwerbstätigen Frauen und Mädchen des Stadtbezirkes umfassen. Es fehlen die zahlreichen Arbeitskräfte, die im Post- und Eisenbahnbetrieb eingetreten sind, vor allem aber die nicht geringe Zahl der auf den Zechen Beschäftigten, wobei insgesamt mit mehreren tausend weiblicher Erwerbstätigen zu rechnen ist. Obwohl also ein erheblicher Teil der Frauen, die neu unter das Joch der kapitalistischen Erwerbsarbcit gekrochen sind. nicht in den Ziffern erscheint, zeigt die Zusammenstellung von Juli 1914 bis zum 1. Oktober 1916 eine Zunahme von 6471 weiblichen Kassenmitgliedcrn, das sind rund 28 Prozent. Im gleichen Zeitraum sind 21620 männliche Versicherte abgegangen. Diese Abgegangenen sind also im Durchschnitt aller Kassen fast zum dritten Teil durch weibliche Versicherte ersetzt worden. Die stärkste Zunahme weiblicher Mitglieder entfällt auf die Fabrik- und Betriebskrankenkassen, wo dem Abgang von 6650 Männern ein Zuwachs von 4194 Frauen gegenüberstand. Auf die drei Orts- und Landkrankcn- kassen entfiel ein Zugang von 2454 Frauen bei einen: Abgang von 10233 Männern. Die Jnnungskassen dagegen verzeichneten nach einer unerheblichen Zunahme versicherter Frauen am 1. Oktober 1916 eine Verminderung um 177 weibliche und 4737 männliche Versicherte. Den Hauptzuwachs an versicherungspflichtigen weiblichen Arbeitskrästen hat also die Industrie erhalten. Er setzte dort im Sommer 1915 ein und stieg dann fast sprungweise, so daß in anderthalb Jahren sich die Zahl der weiblichen Industriearbeiter mehr als verfünffacht hat. Aber auch die Zunahme der weiblichen Versicherten bei den Orts- und Landkrankenkassen ist hauptsächlich erfolgt durch die vermehrte Beschäftigung von Frauen und Mädchen in industriellen Betrieben. Die Gesamtzunahme der weiblichen Versicherten muß mithin in erster Linie auf die vermehrte Fabrikarbeit von Frauen und Mädchen zurückgeführt werden. Im Mitgliederbestand der Kassen ist das Verhältnis der Geschlechter ganz und gar verändert worden: im Durchschnitt aller Kassen kamen am 1. Juli 1914 auf 100 Männer 28. am 1. Oktober 1916 jedoch 61 Frauen I Nach Beendigung des Krieges wird die Ausdehnung der industriellen Frauenarbeit vielleicht zunächst vorübergehend etwas gehemmt werden. Sie ganz aufzuhalten, die weibliche Erwerbstätigkeit wieder auf ihren früheren Stand zurückzudrängen, wird nicht nur im Nuhrbezirk unmöglich sein. Darum müssen alle Kräfte eingesetzt werden sowohl für einen umfassenden und wirksamen Arbciterinnenschutz wie auch für die gewerkschaftliche und politische Aufklärimg und Organisierung der erwerbenden Frauen und Mädchen. 1l.
Stellungnahme der beiden sozialdemokrati. schen Parteien Deutschlands zum Frieden, zur Demokratisierung der Politischen Zustände und zur Revolution in Rußland . Noch ehe daß der Reichstag die Einsetzung eines„VerfassungS- auSschusses" beschlossen hatte, der über die Frage der sogenannten Neuorientierung der politischen Zustände im Deutschen Reiche beraten soll, brachte die Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft eine Resolution ein, die als vorläufiges politisches Aktionsprogramm der Opposition zu betrachten war. Seither hat sich die Opposition in Gotha zur Unabhängigen Sozialdemo kratischen Partei zusammengeschlossen, deren parlamentarische Vertretung im Reichstag die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft ist, ganz gleich, ob sie diesen Fraktionsnamen weiterführt oder nicht. Die geeinte Opposition im ganze Reiche hat mithin die Pflicht. ihren Willen und ihre Macht für die erhobenen Forderungen der Resolution einzusetzen. Diese lautet wie folgt: „Der Reichstag wolle beschließen: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen: ä. schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die Einholung der Zustimmung des Reichstags bei der Einleitung und beim Abschluß von Bündnissen sowie bei Kriegserklärungen und Friedensverträgen sichergestellt und die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit des Reichskanzlers durch die Bestimmung präzisiert wird, daß der Reichskanzler zu entlassen ist, wenn der Reichstag es fordert; L. auf den schleunigen Abschluß eines Friedens auf der Grundlage des Verzichts auf Annexionen jeder Art durch alle kriegführenden Staaten hinzuwirken; L. dem Reichstag schleunigst einen Gesetzentwurf zu unterbreiten, durch den bestimmt wird, daß 1. die Reichstagswahlen künftig nicht innerhalb abgegrenzter Wahlkreise für je einen Abgeordneten, son- dem nach dem Verhältniswahlsystem stattfinden, 2. das Recht, zu wählen oder gewählt zu werden, mit dem vollendeten 20. Lebensjahre eintritt, 3. den Frauen unter den gleichen Bedingungen daS aktive und passive Wahlrecht gewährt wird wie den Männern, 4. der Wahltag entweder ein Sonntag oder ein Feiertag sein muß; v. dem Reichstag schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den Artikel 8 der Verfassung des Deutschen Reiches einen Zusatz folgenden Inhalts erhält: In jedem Bundesstaat muß eine auf Grund des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts nach dem Verhältniswahlsystem gewählte Vertretung bestehen. Das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, haben alle über 20 Jahre alten Neichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts in dem Bundesstaat, in den: sie ihren Wohnsitz haben. Die Zustimmung dieser Vertretung ist zu jedem Landesgesetz und zur Feststellung des Staatshaushaltsetats erforderlich. Noch bestehende erste Kammern(Herrenhäuser) werden aufgehoben. ü. Dafür Sorge zu tragen, daß schleunigst alle zurzeit bestehenden gegen einzelne Parteien, Schichten oder Klassen der Bevölkerung gerichteten Ausnahmebestimmungen aufgehoben werden, insbesondere: alle aus einem bestimmten religiösen oder religionslosen Bekenntnis abgeleiteten, tatsächlich bestehenden Beschrän- kungen der Gleichberechtigung, das Gesetz, betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu ; die gegen den Gebrauch einer nichtdeutschen Muttersprache gerichteten Ausnahmegesetze und-Vorschriften, die preußischen, gegen die Polnisch sprechenden Teile der preußischen Bevölkerung gerichteten Enteignung?- und Ansiedlungsgesetze; die gegen ländliche Arbeiter und das Gesinde in Tinzclstaaten gerichteten Strafvorschriften sowie die Gesindeordnungen, die gegen die Arbeiter gerichteten Beschränkungen in der Verwertung ihrer Arbeitskraft, insbesondere die gegen die Ausübung ihres Koalitionsrechts gerichteten Strafvorschriften des Z 153 der Gewerbeordnung und die Anwendung der Strafvorschriften der Nötigung, der Erpressung und des groben Unfugs gegen die Ausübung des Koalitionsrechts der Arbeiter. ?. Dafür Sorge zu tragen, daß schleunigst eine Sicherstellung des VereinSrechtS, des Versammlungsrechts, des Rechts der freien Meinungsäußerung in Wort und Schrift, des Briefgeheimnisses und der Wahlfreiheit gegen militärische und polizeiliche Eingriffe unter den: Belagerungszustand erfolgt. 0. Dafür Sorge zu tragen, daß schleunigst die sämtlichen wegen politischer Delikte ergangeneu Strafeu aufgehoben werden." Das vorstehende politische Aktionsprogramm umfaßt praktische Gegeuwartsforderungen, die nichts weniger als neu und für Sozial»